Kapitel 11

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Wyldfyre steht mir gegenüber, bereit, meine Angriffe abzuwehren. Ich bin jetzt schon außer Atem, wobei wir erst seit etwa einer Viertelstunde trainieren. Nun ja, immerhin besser als zu versuchen Lloyds komischen Hindernissparcour zu meistern und dabei kläglich zu scheitern - so wie die letzten Male. „Versuche es nochmal", muntert Wyldfyre mich auf. Ich seufze auf, tue dann aber das, was mein Gegenüber verlangt und stelle mich in Kampfposition. Wyldfyre gibt ein Zeichen, welches mir zeigt, dass ich loslegen kann und ich schlage auf sie ein. Sie wehrt meine Angriffe mit Leichtigkeit ab. Dann fängt Wyldfyre an zurückzuschlagen, was das Ganze nochmal erschwert. Ich versuche die Routine aus treten, ausweichen, schlagen und wieder ausweichen aufrechtzuerhalten, doch nach etwa einer halben Minute finde ich mich auf dem Boden wieder. „Perfekt", seufze ich ironisch. Wyldfyre hält mir die Hand hin. „Beinahe", lacht sie. „Aber hey, du übst erst seit... keine Ahnung, etwa zwei Wochen hier." Sagt sie mit einem aufmunternden Lächeln. Ich überlege kurz. „Ich glaube ich bin seit 13 Tagen hier." Antworte ich. „Eben, und du hast die Grundlagen schon drauf. Du musst dich nur besser verteidigen und aufmerksamer sein." Schlägt Wyldfyre vor.

Gestern sind die anderen - Rumi, Wyldfyre, Sora, Arin - und ich zu meiner alten Wohnung und haben meine Sachen rübergebracht. Ich besitze nicht vieles, hauptsächlich Bücher und Filme auf CDs. Und Möbel wie schränke, mein Bett, ein Sofa und sowas eben. Zudem noch mein Fernseher. Diesen habe ich in meinem neuen Zimmer aufgestellt. Schließlich würde ich aufgrund der Jungs, die immer zockten niemals in Ruhe einen Film schauen können - es sei denn, ich habe einen eigenen Fernseher. Nun ja, ich habe genau das, einen eigenen Fernseher. Dann habe ich mich am späten Nachmittag noch darum gekümmert, dass ich es irgendwie vermieten kann. Ich meine, mit Vermieten kriege ich auf eine längere Zeitspanne hin mehr Geld, was ganz nützlich ist.

„Okay, nochmal", ermutige ich mich selbst flüsternd und gehe in meine Ausgangslage. Ich stürzte mich auf Wyldfyre. Sie wehrt meinen Angriff mit den Unterarmen ab. Mein größter Fehler ist es bisher, dass ich immer zögere. Meine Angst, Wyldfyre wirklich zu verletzen, ist so groß, dass ich nicht volle Power auf sie losgehe. „Komm schon Jade, du hast eh nicht die Kraft sie zu verletzen", denke ich und hebe mein Bein, um nach meiner Gegnerin zu treten. Wyldfyre hält mein Bein fest. Als sie es aus versehen etwas zu stark wegschleudert, bin ich kurz davor so richtig auf die Fresse zu fliegen. Mein Oberkörper biegt sich vom starken Stoss automatisch nach hinten. Augenblicklich fällt mir ein, was ich gestern geübt hatte und ich versuche mich mit einem Flickflack zu retten. Tatsächlich gelingt es mir einigermaßen, ich lande auf den Füssen - auch wenn etwas wackelig - und der einzige Schmerz ist in meiner Hand. (Perfekt war der Flickflack wohl doch nicht, aber es hätte wahrscheinlich schmerzvoller geendet, wenn ich einfach hingeflogen wäre.) „Ach du scheisse, sorry Jade", ruft Wyldfyre und kommt zu mir hinüber. „Ist alles okay? Es tut mir so leid, das war keine Absicht, echt! Aber du hast dich echt gut gerettet! Ich will gar nicht wissen wie das geendet hätte, wenn du gestern nicht gelernt hättest, wie man einen Flickflack macht." Sie redet so schnell, dass ich kaum mitkomme und umarmt mich fest. Mein Herz klopft bis in meinen Hals. Nach einigen Sekunden lässt Wyldfyre mich wieder los. „Keine Sorge, meine Hand tut nur ein bisschen weh, ich bin wohl dumm aufgekommen." Erkläre ich. „Scheisse, sorry." Entschuldigt Wyldfyre sich nun zum gefühlt hundertsten Mal. „Schon okay, ist echt nicht so schlimm", winke ich ab.

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Seit meinem Beinahe-Sturz (von dem weder Wyldfyre noch ich wissen wollen, wie das ausgegangen wäre), ist etwa eine halbe Stunde vergangen. Wyldfyre kickt mir knapp vor das Gesicht, wobei ich im letzten Moment ausweichen kann. Ich richtenmich wieder auf, doch bis ich realisiere, was genau Wyldfyre vor hat, ist sie bereits daran, über mich hinüber zu springen und mich von hinten anzugreifen. Eine Sekunde später lüge ich auf dem Boden. Ich spüre nur, dass Wyldfyres Schuh auf meinem Rücken ist. „Bei einem richtigen Kampf wäre ich vielleicht schon tot." Dieser Gedanke löst etwas in mir aus. Wie eine Art Selbstschutzmechanismus. Bei den Dingen, die ich daraufhin tue, überlege ich keine Sekunde lange. Ich handle einfach. Ich warte ein paar Sekunden, bis ich mich mit einem kräftigen Ruck zur Seite drehe. Wyldfyre gerät aus dem Gleichgewicht und bewahrt sich gerade noch davor hinzufallen. „Woah", Wyldfyre sieht mir schockiert in die Augen. Wieso? Ich springe auf und schlage auf sie ein. „Jade?" Fragt sie. Ich will ein „ja?", erwidern, doch ich bringe keinen Ton heraus. „Jade?... Jade?" Wyldfyres Stimme wird immer leiser und mein Sichtfeld verschwimmt nach und nach. Schwarze Flecken machen sich vor mir breit und nicht existierende, dunkle Wolken, die mich an gruselige Schatten erinnern, treten in mein Sichtfeld. Ich höre noch ein letztes Mal meinen Namen. Dieses Mal verzweifelter als davor. Und irgendwann wird alles schwarz.

Jade || Roman ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt