Kapitel 5

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Tja, was fängt man nun mit einem angefangenen Samstagabend an? Es ist zehn Uhr, die letzten Stunden haben mich mehr Nerven gekostet als eine Matheklausur und es lohnt sich weder weg zu gehen noch kann ich schon schlafen.

Mit einem Seufzen mache ich mir über meine Kopfhörer Musik an und nutze die Zeit erstmal, um meine Pflanzen anständig zu wässern. Eva sagt immer liebevoll, mein Zimmer sei ein halber Urwald, und widersprechen kann ich ihr da nicht. Über meinem Schreibtisch ist ein Regal angebracht, auf dem sich Kakteen mit Bildern abwechseln. Daneben in der Zimmerecke hängen Philondendrons in süßen Körbchen von der Decke und mein Bett ist von einem Drachenbaum und einem Einblatt eingerahmt. Am liebsten hätte ich mir auch noch eine Korbmarante und eine Goldfruchtpalme zugelegt, aber Mom hat mir ein Pflanzenverbot erteilt, nachdem ich vor zwei Monaten die Herzblattblume angeschleppt habe. Was ich nicht ganz nachvollziehen kann, immerhin sollte sie froh sein, dass ich ein Pflanzen- und kein Drogenproblem habe.

Als ich einmal damit durch bin, meinen Babys die nötige Liebe zukommen zu lassen, falle ich auf mein Bett und starre an die Decke hoch. Ich habe wirklich keine Lust mich jetzt schon hinzulegen und draußen ist eine herrlich milde Nacht. Ich sollte unterwegs sein und Dummheiten bauen, anstatt auf unangenehme Familienessen mitgeschleppt zu werden. Unruhig wälze ich mich auf die Seite, als mein Kopf beginnt, die Szene am Tisch immer wieder abzuspulen.

Zeit für mich habe ich früher deutlich mehr genossen. Ein Buch lesen, Serie schauen, vielleicht sogar zeichnen. Aber nichts davon lockt mich. Es würde sowieso darauf hinauslaufen, dass mein Kopf immer wieder bei Dingen landet, über die ich nicht nachdenken will. Und die Begegnungen mit Noah sind da noch besser, als Erinnerungen an Dad oder an den Rosenkrieg, der hier die vergangenen Monate stattgefunden hat.

Die Nacht, als Mom von der Affäre erfuhr, ist für mich noch so präsent als wäre es gestern geschehen. Das Geschrei, zerberstendes Geschirr und Mom, wie sie mir mit rotgerändeten Augen auf der Treppe entgegenkam. Ich habe nicht verstanden was los war und habe mich auch nicht getraut zu fragen, als ich sie so gesehen habe. Trotzdem ist es nicht das, was mich innerlich zusammenzucken lässt, wenn ich daran zurückdenke. Nicht der Schmerz, der ihr ins Gesicht geschrieben stand, oder dass sie am nächsten Tag nicht einmal aus dem Schlafzimmer kam. Es war Dads kühle Art, als ich zu ihm runtergelaufen bin und er nicht mehr gesagt hat, als dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Er hat es geschafft mich glauben zu lassen, dass nichts Schlimmes passiert sei, bis Mom Tage später es übers Herz gebracht hat, uns zu erzählen, weshalb Dad ab sofort im Hotel wohnen wird. Er hat es ihr überlassen, den schwierigen Part zu übernehmen, es uns Kindern zu erzählen, obwohl er es war, der den Fehler begangen hat. Und bis heute ist für ihn seine Affäre kaum mehr als eine Sache, die passiert ist. Als hätte er sich nicht bewusst dafür entschieden, sondern wäre ausversehen in seine Sekretärin hineingestolpert. Oh entschuldige. Aber jetzt wo es passiert ist, können wir es ja auch wiederholen.

Mein Magen verkrampft sich und ich kugele mich zusammen, in der Hoffnung die Übelkeit damit eindämmen zu können. Aber nach ein paar Sekunden gebe ich den Versuch auf. Wenn ich hier liegen bleibe wird mich das Thema noch Stunden verfolgen.

Ich springe auf die Füße und tapse zu meinem Fenster. Davor bildet sich im Licht der Straßenlaternen die Dachschräge ab, welche eine Hälfte unseres Wohnzimmers überzieht, und auf höhe des ersten Geschoss endet. Es ist ein kleiner Sprung von meinem Fenster auf die Ziegel, weshalb ich mich als Kind nie getraut habe, dort rauszugehen. Doch inzwischen ist es machbar und mit der Polsterauflage, die ich vor einiger Zeit aus dem Garten geklaut habe, kann man es sich dort richtig gemütlich machen.

Bevor ich mich aber auf Klettertour begebe, grabe ich in einer meiner Handtaschen, bis ich mit einem zufriedenen Grinsen eine E-Zigarette in der Hand halte, die mir Max vermacht hat. Mom war es immer wichtig, Tim und mich zu Nicht-Rauchern zu erziehen. Vielleicht tut es deswegen manchmal so gut, dieses Gebot zu brechen, wenn ich all dem entkommen will.

F*ck Growing upWo Geschichten leben. Entdecke jetzt