Am Samstag steht der Ausflug mit Dad an und Mom ist deswegen schon seit gestern Abend völlig neben der Spur. Ich glaube, ein Teil von ihr freut sich insgeheim darauf, Dad wiederzusehen, während der größere Teil ihn gerne nach Timbuktu verbannen würde. Zumindest schaut sie gegen elf ständig aus dem Fenster, weil Dad jede Sekunde vorfahren könnte. Tim und ich wiederum sitzen auf der Couch, einen Rucksack mit Schwimmsachen dabei, so wie es uns Dad aufgetragen hat.
Ich gebe mein Bestes einfach ruhig dazusitzen und scrolle wie Tim durch die Social Media. Trotzdem passt mein Innenleben deutlich besser zu Moms Verhalten, die unter dem Vorwand Blumen zu gießen, durch das ganze Haus tigert, bevor sie wieder einen Blick zur Auffahrt wirft. Ich freue mich auf Dad. Dieses Zugeständnis habe ich mir seit dem Telefonat letzte Woche gestattet. Gleichzeitig habe ich Angst. Angst, dass es nicht mehr wie früher ist, uns die Gesprächsthemen fehlen oder er gar von mir enttäuscht ist. Im letzten halben Jahr ist so vieles passiert. Ich bin nicht mehr die Tochter, die er gekannt hat. Und obwohl ich gerne darauf stolz wäre, dass ich mich weiterentwickelt habe, überwiegt in diesem Moment die Furcht, dass ich nicht mehr die Tochter bin, die Dad liebhat.
Keine Ahnung, wer also mehr zusammenzuckt, als es plötzlich an der Haustür klingelt. Mom, die es zehn nach elf aufgegeben hat, nach Dad Ausschau zu halten und sich unruhig zu uns auf die Couch gesellt hat. Oder ich, die versucht hat sich einzureden, dass das ganze keine große Sache ist, und doch jede Sekunde auf das Klingeln gewartet hat. Mom ist jedenfalls die Erste von uns auf den Füßen.
„Wie immer zu spät." Mit einem Murmeln streicht sie ihre Bluse glatt, bevor sie entschlossenen Schrittes zur Tür marschiert. Tim und ich wechseln einen kurzen Blick, bevor wir ebenfalls aufspringen.
„Matthias."
„Hallo Susi, schön dich zu sehen."
Moms Stimme wirkt wie Frost neben Dads freundlichem Tonfall und bei Moms Spitznamen zucke ich zusammen. Keine gute Idee, Dad. Aber als wir an der Haustür ankommen, hat sich Mom noch nicht auf Dad gestürzt, um ihm die Augen auszukratzen, was ich als einen guten Start für dieses Wiedersehen empfinde. Vor ein paar Monaten wäre das noch nicht denkbar gewesen. Trotzdem schiebe ich mich als Vorsichtsmaßnahme zwischen Mom und Dad und bin überrascht, als Tim mir nicht von der Seite weicht.
Dads Blick, der davor nur Mom gegolten hat, richtet sich auf uns und aus dem höflichen Lächeln auf seinen Lippen, wird ein glückliches Strahlen. „Da sind ja meine zwei Großen! Tut es gut, euch zu sehen."
Bevor wir uns versehen können, werden wir in eine Bärenumarmung gezogen und ausnahmsweise, bin ich über Tims pubertäres Verhalten froh, der sich sofort mit einem anklagenden „Dad!" zu winden beginnt. Dazu bin ich in meiner Schockstarre nämlich nicht in der Lage.
„Jaja, schon gut." Dad lässt uns wieder los, wuschelt Tim aber nochmal durch die Haare, als könne er nicht von seinem Sohn lassen. Verständlich, immerhin hat er Tim wochenlang nicht mehr live und in Farbe gesehen. Mir wiederum wirft er ein zurückhaltendes Lächeln zu und ich hasse selbst die Widersprüchlichkeit, dass ich enttäuscht bin, nicht mehr zu bekommen, und gleichzeitig froh, der Umarmung entkommen zu sein.
„Seid ihr zwei denn so weit? Sollen wir direkt los?" Dad wirkt mit seinem aufgekratzten Tonfall deutlich mehr wie das Kind als Tim oder ich. Keine Ahnung, ob das früher auch schon so war. Meine Erinnerungen kommen mir grau und verschwommen vor, als lägen ganze Leben dazwischen und nicht nur ein paar Monate.
„Ja." Mit seiner einsilbigen Antwort drückt sich Tim an Dad vorbei und stapft auf den grauen Toyota zu, in dem Dad mich früher zur Tanzschule gefahren hat. Das Auto kommt mir vertrauter als die Person vor mir vor und der Gedanke hätte mich beinahe trocken auflachen lassen. Aber ich schlucke es im letzten Moment hinunter und ermahne mich mit einem tiefen Atemzug das Ganze aufgeschlossen anzugehen. Dabei ist es Noahs Stimme in meinem Kopf, die mir Mut zuspricht.
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F*ck Growing up
Teen FictionMay will nichts lieber, als ihr letztes Schuljahr richtig mit ihren Freunden zu genießen. Das gestaltet sich allerdings schwer, seitdem sich ihre Eltern haben scheiden lassen, ihre Mutter Schicht arbeitet und sie im Haushalt mithelfen muss. Da hilft...