Kapitel 15

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Als ich am nächsten Morgen aufwache, ziert ein Lächeln mein Gesicht, das wahrscheinlich die ganze Nacht nicht verschwunden ist. Ich fühle mich seltsam ausgeruht und zufrieden, trotz dem leichten Hämmern in meinem Kopf, und schwebe geradezu aus meinem Bett.

Ich kann nicht fassen, was gestern passiert ist. Als könnte ich den Küssen nachfühlen, berühre ich meine Lippen und muss mir im nächsten Moment ein lautes Lachen verkneifen. Noah hat mich geküsst. Oder ich ihn. Eigentlich auch egal, wie herum es war. Er wollte es, genauso wie ich. Oh mein Gott. Oh mein Gott!

Ich hüpfe im Kreis und versuche so leise wie möglich zu sein, während die Freude einfach so aus mir herausplatzt. Glücklicherweise sind meine Rollläden noch verschlossen, denn wahrscheinlich hätte Noah es sich ganz schnell anders überlegt, wenn er sehen würde, wie ich hier einen Freudentanz aufführe. Aber ich kann nichts dagegen tun, während alles in meinem Körper prickelt und ich mich so fühle, als könne ich einen Baum ausreißen.

Es dauert bestimmt zehn Minuten, bis ich wieder durchatmen und mir selbst sagen kann, dass alles normal ist. Ein ganz normaler Sonntag, der auf einen ganz normalen Samstag folgt, an dem ich Noah geküsst habe. Ich beiße mir heftig auf die Lippe, um nicht wieder über das ganze Gesicht zu strahlen.

Dann schlüpfe ich in eine Leggings und einen Sweater und mache mich auf den Weg nach unten. Weit schaffe ich es allerdings nicht, da lassen mich Stimmen aus Tims Zimmer innehalten.

„Na mein Junge, ist alles in Ordnung bei dir?"

„Ja Dad, alles in Ordnung. Mom ist halt Mom und May macht May-Sachen."

Wow, was für eine aussagekräftige Antwort. Ich verkneife mir ein Lachen, während ich über Tim die Augen verdrehen muss. Gleichzeitig macht mein Herz einen kleinen Satz. Er telefoniert mit Dad. Keine Ahnung, wann ich Dads Stimme das letzte Mal gehört habe, aber als er auflacht, fühle ich ein Ziehen in der Magengrube. Ich vermisse es Dads lautes Lachen zu hören, wenn er abends seine Sitcom schaut. Oder das Funkeln in seinen Augen zu sehen, wenn er Tim und mich morgens beim Frühstück aufzieht.

Unsicher bleibe ich im Gang stehen, während die beiden anfangen, über eins von Tims Spielen zu reden. Dad konnte das schon immer. Sich für alles begeistern, was uns wichtig ist. Auch wenn es daraus besteht, virtuelle Menschen abzuschießen. Ich konnte mit ihm über das Tanzen reden, wie mit keinem anderen Erwachsenen. Und egal was für ein Problem ich hatte, er war immer der Fels in der Brandung.

Mir fallen Noahs Worte ein, während ich die Türklinke zu Tims Zimmer anstarre. Dass ich selbst entscheiden darf, welche Beziehung ich zu Dad haben will, unabhängig von Mom. Und bevor sich wieder ein Knoten aus verletzten Gefühlen und familiären Loyalitäten in meinem Kopf bilden kann, drücke ich die Klinke einfach runter und manövriere mich durch das Chaos auf Tims Boden.

Ich kann Dads Bild auf dem Bildschirm sehen, bevor ich den Sichtbereich der Kamera betrete, mit der Tim videochattet. Er sieht gut aus. Gebräunt, gut gelaunt und jünger als ich ihn in Erinnerung habe. Es ist kaum zu leugnen, dass der Strand, den man hinter ihm sehen kann, und das Leben im Ausland ihm guttun. Ich wünschte nur, es würde uns ebenfalls beinhalten.

„Was zum...?" Tim fährt bei meinem plötzlichen Auftauchen herum, aber seine Stirn glättet sich, sobald er mich erkennt. Dad wiederum neigt sich neugierig zur Seite, als könne er dadurch mehr sehen, was logischerweise nicht der Fall ist. Ich muss den letzten Schritt machen, damit er mich entdecken kann.

„Was ist los, Tim?"

Fast als würde er einen Geist sehen, schüttelt Tim den Kopf, während er mich abschätzend betrachtet. „Nichts. May ist nur gerade in mein Zimmer geplatzt."

F*ck Growing upWo Geschichten leben. Entdecke jetzt