Eisiges Schweigen trifft nicht mal annähernd die Stimmung im Haus, als die nächste Woche anbricht. Mom bleibt hartnäckig, was den Hausarrest angeht, auch nachdem ich das Bad blitzblank geschrubbt habe. Tim wiederum scheint uns beiden aus dem Weg zu gehen, was ich ihm nicht verübeln kann, denn ich fühle mich wie ein Dampfkessel der kurz vor der Explosion steht.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen nochmal mit ihm über den misslungenen Ausflug mit Dad zu sprechen. Ich würde gerne eine bessere große Schwester für ihn sein. Gleichzeitig fühle ich mich momentan, als könnte ich nicht mal eine schlechte große Schwester sein. Alles, was ich mir wünsche, ist eine Pause von dieser Familie, also verbringe ich noch mehr Zeit als sonst auf meinem Zimmer. Den Rollladen habe ich dabei stets runtergelassen.
Die Mühe könnte ich mir wahrscheinlich sparen. Ich bezweifle, dass Noah gerade in irgendeiner Form Interesse an Kontakt mit mir hat. Leider kann ich das von mir nicht behaupten. Obwohl David und Eva aus der Entfernung alles geben, um mich auf andere Gedanken zu bringen, wälzen sich die Erinnerungen an die vergangene Woche immer wieder durch meinen Kopf. Es hätte so viele Möglichkeiten gegeben, sich anders zu verhalten, sich anders zu entscheiden, sodass ich jetzt nicht im permanenten Halbdunkel meines Zimmer sitzen müsste. Aber es ist nicht nur die Scham, die mich in den Wahnsinn treibt. In erster Linie vermisse ich Noah. Er hat mir für einen Moment das Gefühl gegeben, als könnte alles seinen Platz finden, auch wenn nichts mehr wie früher ist. Und jetzt ist alles noch chaotischer als zuvor.
Die Schule nimmt neben all diesem Wirrwarr weiter ihren Lauf. Mathe ist eine Katastrophe, dafür komme ich bei den restlichen Fächern durch die Extrazeit, die mir der Hausarrest verschafft, gut mit. Entsprechend gehe ich fast gerne hin, auch wenn das wahrscheinlich vor allem damit zusammenhängt, dass die Mittagspause die einzige Zeit ist, in der ich meine Freunde sehen kann. Mom hat sich meinen Stundenplan abfotografiert und überprüft gewissenhaft, ob ich nach der Schule direkt heimkomme. Während ihrer Spätschicht ruft sie mich sogar per Videocall an, um sicher zu gehen.
Am Freitag bin ich schließlich so verzweifelt, dass ich Eva dazu anstifte, die letzte Stunde mit mir zu schwänzen, nur um zumindest für eine Stunde mal nicht daheim oder in der Schule zu sein. Wie ich Mom dazu bewege, mich dafür zu entschuldigen, ist ein Problem der Zukunfts-May. Eva wiederum hat es deutlich leichter. Da sie volljährig ist, kann sie sich einfach selbst entschuldigen, und so braucht es nicht viel Überzeugungskraft, um sie dazu zu bewegen, in ein Café zu gehen.
Mit jeweils einem dampfenden Chai Tea Latte vor uns sitzen wir zehn Minuten später auf einer gemütlichen Sitzbank, hinter uns die Fensterscheibe und der prasselnde Regen draußen. Das Wetter hat sich zu einem konstanten Dauernieseln mit Unterbrechungen von richtigen Regenschauern eingependelt, was nicht treffender meine Stimmung untermalen könnte. Innerhalb von ein paar Tagen scheint sich die ganze Welt auf Herbst eingestellt zu haben. Selbst die anderen Kaffeebesucher sind in Tönen von beige über braun zu grau gehüllt. Der einzige Farbklecks ist Eva in ihrem pinken Pullover, in dem sie trotz ihres mitleidigen Blick, der leider Gottes mir gilt, hervorsticht.
„Ist es wirklich so schlimm?"
Ich schnaube, bevor ich vorsichtig an meiner Tasse nippe. „Keine Ahnung, wie definierst du denn schlimm? Mom kommuniziert eigentlich nur noch über Notizzettel mit mir, die meistens irgendeine Haushaltsaufgabe beinhalten. Dads Anrufe haben nach vier Tagen endlich aufgehört und wenn ich Tim über den Weg laufe, weicht er meinem Blick aus, als hätte er Sorge, er wäre der nächste, mit dem ich mich anlege."
„Ach was, Tim und du legt euch doch ständig miteinander an. Ich bin sicher, er merkt nur, dass es dir nicht gut geht, und weiß nicht, was er tun soll."
Vielleicht hat Eva damit recht. Auf der anderen Seite hat sich Tims und meine Geschwisterbeziehung bisher immer dadurch ausgezeichnet, dass wir uns in den Haaren liegen und einander trotzdem liebhaben. Jetzt ist da ein komisches Schweigen, selbst wenn ich ihm das Nutella vor der Nase wegschnappe. Früher hätte er mir deswegen den Krieg erklärt.
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F*ck Growing up
Teen FictionMay will nichts lieber, als ihr letztes Schuljahr richtig mit ihren Freunden zu genießen. Das gestaltet sich allerdings schwer, seitdem sich ihre Eltern haben scheiden lassen, ihre Mutter Schicht arbeitet und sie im Haushalt mithelfen muss. Da hilft...