Kapitel 19

529 49 15
                                    

Tim und ich wechseln kein Wort auf der Busfahrt nach Hause. Wir sind uns einvernehmlich einig, dass wir beide nicht reden wollen, und das ist wohl das Beste, was bisher heute geschehen ist.

Obwohl also kein Wort meine Lippen verlässt, rasen meine Gedanken. Immer wieder spielt sich die Situation mit meinem Dad in meinem Kopf ab und obwohl ich nichts bereuen will, merke ich, wie ich zweifle, ob es richtig von mir war, ihm all das vor den Latz zu knallen. Wir hätten so einen schönen Tag haben können. Wäre da nicht Judi. Oder mein Stolz.

Als wir unsere Straße entlang laufen bin ich zerrissen zwischen Schuldgefühlen, Wut und Trauer und würde gleichzeitig am liebsten nichts fühlen. Unsere Familie ist ein riesiges Chaos, das mir nur Kopfschmerzen bereitet. Mit meinen Freunden zu sein, mit Noah zu sein, ist wiederum so einfach.

Es ist keine bewusste Entscheidung, als ich mitten im Schritt vor der Auffahrt der Millers stehen bleibe. Es ist ein ursprüngliches Bedürfnis, ein Drang, und es ist mir nicht Mal peinlich, als sich Tim fragend umdreht.

„Geh schon mal vor, ich komme später nach."

Für eine Sekunde wirkt es so, als wolle Tim etwas sagen. Vielleicht, dass er sich nicht allein Mom und ihren tausend Fragen zu unserem Tag mit Dad stellen will. Oder, dass er seine große Schwester braucht. Die Gedanken lassen mein Herz laut in meinen Ohren wummern, aber letztendlich dreht er sich nur mit einem Schulterzucken um.

Ich schaue ihm nach, bis er durch unsere Haustür verschwunden ist, dann atme ich tief durch, bemüht mit der Luft auch all die aufgewühlten Emotionen aus meinem Körper zu entlassen. Das gelingt erstaunlich gut, denn sobald ich auf Noahs Haustür zugehe, gibt es eh nur noch ihn in meinem Kopf.

Das Warten zwischen dem Klingeln und Schritten, die sich der Tür nähern, kommt mir wie eine Ewigkeit vor, gibt mir aber zumindest die Zeit, mir einen Vorwand einfallen zu lassen, sollte Noahs Mutter die Tür öffnen. Aber ausnahmsweise ist das Glück auf meiner Seite. Mein Atem stockt, als die Tür aufschwingt und ich einem verdutzen Noah gegenüberstehe. Er hat das babyblaue Shirt an, dass er auch beim letzten Mal getragen hat, als ich an seiner Tür geklingelt habe. Dazu hängt die Hundemarke um seinen Hals, die mich immer um den Verstand bringt, weil ich ihn am liebsten daran zu mir ziehen und küssen würde.

„May, was machst du hier?"

Noahs Frage ignorierend, trete ich einen Schritt auf ihn zu. „Bist du allein?"

Ich weiß selbst nicht, ob sich die Frage auf seine Eltern oder die blonde Schönheit bezieht, die vorhin bei ihm war. Aber als er nickt, fällt mir ein riesiger Stein vom Herzen und ich atme erleichtert aus.

„Gut."

Ohne weiter nachzudenken, folge ich meiner Fantasie und ziehe seinen Kopf an der Kette zu mir runter. Es ist forsch und unter normalen Umständen, hätte ich mich sowas nie getraut. Aber gerade zählen einzig Noahs Lippen auf meinen und wie sie alles andere zum Verstummen bringen.

Von meinem Überfall erholt sich Noah erstaunlich schnell und zieht meinen Körper zu sich heran. Ob er das bei der Frau vorhin auch gemacht hat? Ob sie auch ihre Hände in seine Locken hat wandern lassen? Ich möchte nicht daran denken, aber das scheint mein Unterbewusstsein nicht zu interessieren. Also muss ich etwas tun, um es zum Verstummen zu bringen.

Stolpernd schiebe ich Noah ins Innere des Hauses. Ich spüre und höre den überraschten Laut, der aus seiner Kehle aufsteigt, doch es ist mir egal. Alles, was ich will, sind seine Hände und Lippen überall zu gleich und ich bin verzweifelt genug, es mir einfach zu nehmen.

Unsere taumelnden Schritte werden je von einer Wand gestoppt, als ich Noah direkt neben die Garderobe dirigiere und die Haustür hinter mir mit dem Fuß zu stoße. Gleichzeitig lasse ich meine Hände über seine Arme, seine Brust bis zu seinem Bauch wandern. Alles an ihm fühlt sich perfekt an. Der Bizeps, der sich unter meiner Berührung anspannt. Die breiten Schultern, an die ich mich so gerne kuschle. Der trainierte Oberkörper, von dem ich einfach nicht die Finger lassen kann.

F*ck Growing upWo Geschichten leben. Entdecke jetzt