Drei Stunden später sitze ich erschöpft im Raumschiff von Noahs Eltern und bin auf ausgelaugte Weise sehr zufrieden. Es macht mir nicht einmal etwas aus, allein mit Noah im Auto zu sitzen, da Eva und Allie mit den Jungs zurück in die Stadt fahren. Wahrscheinlich fehlt mir einfach die Energie, um mir Gedanken über die Situation zu machen. Stattdessen schaue ich nur stumm aus dem Fenster und genieße die angenehme Schwere meines Körpers.
„Deine Freunde sind echt cool drauf."
Noah bricht die Stille, seitdem wir losgefahren sind, und ich wende träge den Kopf zu ihm.
„Danke. Du hast dich aber auch gut integriert."
Das stimmt. Egal, was wir gemacht haben, Noah war auf eine angenehme unaufdringliche Art und Weise dabei, sodass er kaum als der Neue aufgefallen ist. Aber um ehrlich zu sein, hätte mich auch alles andere gewundert. Noah hat schon immer schnell Freunde gefunden. Bei ihm sieht es so leicht aus, einfach man selbst zu sein und damit gut anzukommen. Dabei wirkt er noch selbstbewusster und gefestigter in sich als vor ein paar Jahren. Das Studium hat ihm eindeutig gut getan und ich komm nicht darum, mich zu wundern, was ihn wieder hier her verschlagen hat. Ich würde nichts lieber tun, als die Ferne zu suchen. Eine Sache, die ich wohl mit meinem Vater gemein habe.
„Wieso bist du hier?" Die Worte sind mir über den Lippen, bevor sie ganz in meinem Kopf angekommen sind. Allerdings wird mir schon eine Sekunde später klar, dass die Frage ohne Kontext ziemlich dumm ist. Und dass ich ihn fast das gleiche schon vor ein paar Tagen auf dem Dach gefragt habe.
„Meinst du generell hier oder in diesem Auto? Ich meine nämlich, dass du auf beides die Antwort kennst." Noahs Mundwinkel zucken, aber er hält den Blick auf die Straße gerichtet, was es etwas angenehmer für mich macht, während ich rot anlaufe.
„Ich meine, weshalb besuchst du deine Eltern einen ganzen Monat? Du scheinst dich größtenteils zu langweilen und ich kann mir nicht vorstellen, dass du in deinem Studium keine Freunde gefunden hast, mit denen du deine Semesterferien besser verbringen könntest."
Stattdessen sitzt du hier mit mir in einem Auto, und bringst alles in meinem Leben noch mehr durcheinander, als es eh schon ist. Die letzten Worte kann ich mir zum Glück gerade so verkneifen. Dafür schlägt mein Herz so laut, dass ich befürchte, es könne mich verraten. Aber Noah scheint mit ganz anderen Dingen beschäftigt als mit meinem kleinen Hysterieanfall. Sein Gesicht wirkt seltsam ernst, während er weiter stur geradeaus schaut, und es kommt mir vor, als würde er das Lenkrad etwas fester umklammern.
„Keine Ahnung, ich habe zu Hause... vermisst." Seine Stimme klingt schwer, als würden die Worte noch mehr Bedeutung beinhalten als auf den ersten Blick ersichtlich. Ich weiß nicht, ob es zu aufdringlich ist, nachzufragen, also gebe ich nur ein leises „Oh" von mir und schelte mich innerlich, so was Intimes gefragt zu haben. Wir hatten es immerhin endlich so weit geschafft, Zeit in angenehmem Schweigen miteinander zu verbringen. Jetzt legt sich die Stille erdrückend über uns und lässt mich die Hände ineinander krallen.
Dumm, dumm, dumm, May. Wie...
„Hier zu sein fühlt sich wie ein kleiner Urlaub vom Erwachsensein an." Mein Kopf schießt zu Noah herum, als dieser mit gesenkter Stimme fortfährt.
„Klar, Mama und Papa machen erstmal ein großes Ding draus, wenn ich hier bin." Ein belustigtes Schnauben entkommt ihm. „Aber irgendwann beruhigen sie sich und dann ist alles... wie vor ein paar Jahren."
Mit einem Schulterzucken und einem Schmunzeln, richtet Noah den Blick auf mich und die Ehrlichkeit in seinen Augen reißt mir den Boden unter den Füßen weg.
„Alles ist so vertraut und doch so anders und egal wohin man schaut, findet man eine unbeschwerte Erinnerung. Versteh mich nicht falsch, ich liebe mein jetziges Leben und die Freiheit, die man hat. Aber manchmal wird mir auch alles zu viel. Der Stress in der Uni, das verantwortlich sein, für was passiert. Es ist schön herzukommen und eine Auszeit zu haben. Auch wenn das heißt zu merken, was alles nicht mehr Teil meines Lebens ist."
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F*ck Growing up
Teen FictionMay will nichts lieber, als ihr letztes Schuljahr richtig mit ihren Freunden zu genießen. Das gestaltet sich allerdings schwer, seitdem sich ihre Eltern haben scheiden lassen, ihre Mutter Schicht arbeitet und sie im Haushalt mithelfen muss. Da hilft...