Kapitel 24

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Ich muss gefühlte Ewigkeiten einfach nur dagesessen und ins Nichts gestarrt haben, als ein leises Rascheln hinter mir mich aufschrecken lässt. Mit steifen Gliedern lasse ich den Blick durch die Dunkelheit gleiten, während sich die folgende Stille unheimlich um mich legt. Ist da wer? Angespannt spitze ich die Ohren, während mir nur zu deutlich bewusst wird, dass ich allein an einem verlassenen See sitze, ohne dass auch nur jemand weiß, wo ich bin. Aber bestimmt habe ich nur ein Tier gehört, welches durch das Unterholz huscht. Ein Igel oder... erneut erklingt ein Rascheln gefolgt von einem Fluch, der unmöglich von einem Tier stammen kann.

Erschrocken fahre ich hoch und nehme meine Hände aus den Jackentaschen, auch wenn ich bezweifle, mich gegen irgendjemanden verteidigen zu können. Wer treibt sich mitten in der Nacht bei eisigen Temperaturen an einem See herum? Nun ja, abgesehen von verzweifelten Mädchen, die von zu Hause weggelaufen sind.

Alle Antworten, die mir auf diese Frage einfallen, lassen das ungute Gefühl in meiner Magengegend nicht verblassen. Ganz im Gegenteil. Mein Blick huscht zu dem Weg, auf dem ich hierhergekommen bin. Mein Fahrrad liegt ein gutes Stück entfernt und als ein weiterer Fluch erklingt, muss ich feststellen, dass wer auch immer mir hier Gesellschaft leisten will, aus der gleichen Richtung kommt. Einfach verschwinden kommt also nicht in Frage und ein Blick um mich, offenbart mir, dass verstecken wohl auch nicht funktionieren wird. Außer dem Schilf gibt es weit und breit nichts und ins Wasser zu waten hört sich nach keiner guten Idee an. Mei Herz will gerade einen Schlag zulegen, als ein erneuter Fluch erklingt und mir die Stimme seltsam vertraut vorkommt. Das kann doch nicht...?

„Tim?" Die Fassungslosigkeit ist mir anzuhören, als ich eine dunkle Gestalt einige Meter entfernt erspähe.

„May? Gott verdammt, endlich habe ich dich!"

Es braucht, bis ich mehr als dunkle Schemen ausmachen kann und tatsächlich in das grimmige Gesicht meines Bruders blicke.

„Kannst du dich vielleicht das nächste Mal an einen nicht ganz so weitläufigen Ort verstecken? Dich hier zu finden hat Ewigkeiten gedauert."

Genervt schüttelt er den Kopf, als er den Strand betritt und mit etwas Abstand zu mir stehen bleibt. Ich kann ihn nur ungläubig anstarren, während ich mich wieder auf mein Treibholz plumpsen lasse.

„Ja klar, dein Wunsch ist mir Befehl." Der beißende Ton hilft mir, meine Fassung wiederzugewinnen, und als ich meinen Bruder erneut mustere, bin ich dieses Mal diejenige, die den Kopf schüttelt. „Was machst du hier?"

„Ach, ich habe mir gedacht eine nächtliche Runde Schwimmen tut bestimmt gut, wenn meine Schwester verschwunden ist und zuhause alles Kopf steht." Tims Augenrollen macht klar, dass er kein einziges Wort ernst meint. „Ich habe natürlich nach dir gesucht, du Dummkopf."

Ich schnaube. „Du weißt genau, wie die Frage gemeint war. Wie hast du mich hier gefunden?"

„Du hast mich mal vor Jahren hierhergebracht, als Mom und Dad sich böse in den Haaren lagen." Tim zuckt mit den Schultern und ich kann ihn nur überrascht anschauen, während er fortfährt. „Da habe ich mir gedacht, es wäre einen Versuch wert, hier nach dir zu suchen. Du und dieser See scheint irgendwie ein Ding zu sein."

Die Worte rufen Erinnerungen hervor, an die ich seit Ewigkeiten nicht mehr gedacht habe. Ich kann mich an den Tag erinnern. Wie Mom und Dad durchs Haus gebrüllt haben und Tim mich mit seinen acht Jahren aus großen Augen angeschaut hat. Ich wollte ihn einfach nur weg bringen, damit er sich nicht anhören muss, was unsere Eltern sich an den Kopf warfen. Wir sind hier her geradelt und um diesen kummervollen Ausdruck von Tims Gesicht zu wischen, haben wir angefangen ein Unterschlupf im Waldstück zu bauen. Den halben Tag haben wir Hölzer gesammelt, bis wir ein kleines Tipi unser Eigen nennen konnten und breit lächelnd darin Pläne geschmiedet haben. Erst der Hunger hat uns wieder nach Hause getrieben, wo Mom und Dad vor lauter Sorge aufgehört hatten zu streiten.

F*ck Growing upWo Geschichten leben. Entdecke jetzt