Kapitel 26

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Am nächsten Morgen werde ich wohl zum ersten Mal nicht von Mom geweckt, obwohl es bereits nach zwölf ist und durch die Lamellen des Rolllandens Sonnenlicht strömt. Was daran liegen könnte, dass Mom selbst noch schlafend neben mir in ihrem Bett liegt.

Mit einem Lächeln betrachte ich ihr Gesicht, welches mir friedlicher vorkommt als seit Monaten. Genauso wie ich mich so gelöst fühle, wie seit der Trennung meiner Eltern nicht mehr.

Nach all den Emotionen gestern Nacht hat Dad bestimmt entschieden, dass es für uns alle an der Zeit ist, eine Mütze Schlaf zu bekommen. „Alles weitere lässt sich auch noch morgen besprechen", hat er gesagt und mir liebevoll über den Scheitel gestrichen, bevor er sich ins Auto gesetzt hat und nach Hause gefahren ist. Es hat sich falsch angefühlt, ihn gehen zu lassen. Aber gut, zu wissen, dass er keine halbe Stunde entfernt ist.

Als nächstes ist Tim kommentarlos verschwunden und so sind nur Mom und ich übriggeblieben. Wir haben uns angeschaut, dann hat Mom die Augen verdreht und „Männer. Kaum kommen Tränen ins Spiel, ziehen sie sich aus der Affäre" gemurmelt, bevor wir beide in Gelächter ausgebrochen sind. Es war wie früher und weil ich dieses Gefühl nicht gehen lassen wollte, bin ich oben an den Schlafzimmern angekommen einfach zu Mom unter die Bettdecke gekrochen. Sie hat ohne einen Kommentar die Decke um mich herum festgesteckt, wie ich es früher immer zum Einschlafen gebraucht habe, und ist dann neben mir eingeschlummert.

Jetzt winde ich mich ungeschickt aus dem Deckenknäul, in dem Versuch Mom nicht zu wecken. Sie hat sich den Schlaf verdient. Scheiß auf Zeiten, zu denen man nicht schlafen sollte. Diese Regel fand ich schon immer bescheuert. Auf Zehenspitzen schleiche ich mich aus dem Zimmer und recke mich, während ich die Treppen runter tapse. Eigentlich wollte ich mir nur ein Glas Wasser holen, aber bei der Musik, die mir aus der Küche entgegenklingt, halte ich überrascht inne. Ich glaube ich träume noch.

Fest zwicke ich mich in den Oberarm, während ich ungläubig meinen Bruder dabei beobachte, wie er ein Stapel Toast zum Esstisch balanciert. Aber nein, ich bin wach. Und das hier grenzt an einem achten Weltwunder.

„Willst du Mom und mich jetzt auch noch auf Toast-Diät setzen, oder was wird das?"

Bei meinen Worten zuckt Tim erschrocken zusammen. Über seinen Gangsterrap hinweg, hat er mich nicht kommen gehört. Glücklicher Weise rettet er den Toast jedoch mit einem kleinen Hechtsprung auf den Tisch, bevor der Turm in sich zusammenfällt.

„Mann May! Schleich dich doch nicht so an."

Ich bin mir nicht sicher, ob es Empörung oder Verlegenheit ist, die Tim eine zarte Röte auf die Wangen zaubert, aber ich beschließe meinen Bruder ausnahmsweise vom Haken zu lassen und inspiziere, was er vorbereitet hat.

Drei Gläser Orangensaft stehen bereits auf dem Tisch neben verschiedensten Aufschnitt und Aufstrich. Dazu hat er eine Schale Beeren angerichtet und weil ich die Geste so süß finde, weise ich ihn nicht darauf hin, dass ich diese eigentlich für meinen Joghurt geholt habe. Stattdessen lasse ich ihn weiterzappeln, während ich wortlos durch die Küche laufe, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und das köstlich duftende Rührei inspiziere, das auf dem Herd wartet.

„Wie du siehst gibt es nicht nur Toast, Ms Hohe-Ansprüche."

Trotz der Stichelei ist Tims Stimme die Nervosität anzuhören. Er wartet auf mein Urteil und der Moment ist zu göttlich, um ihn nicht noch ein bisschen auf die Folter zu spannen. Also nehme ich mir, das Gesicht zu einer undeutbaren Miene versteinert, einen Löffel von dem Rührei und will ihm gerade schon ein Kompliment für die ganze Mühe machen, da entfährt mir ein Fluch.

„Heilige Scheiße, Tim! Das ist ja viel zu viel Salz."

Ich schaffe es gerade so bis zum Spülbecken, bevor ich den Biss ausspucke und mir gleich ein Glas mit Wasser fülle, um gründlich nachzuspülen. In der Zwischenzeit hat sich die Röte auf Tims Wangen verfestigt, während er es mir gleichtut und ein Löffel von dem Rührei probiert, ohne auch nur die Miene zu verziehen. „Weiß nicht, was du meinst. Schmeckt doch gut. Nicht so lasch, wie das was du immer kochst."

F*ck Growing upWo Geschichten leben. Entdecke jetzt