Als ich am nächsten Tag aufwache fühlen sich meine Augenlider schwer und geschwollen an. Aber auf eine gute Art und Weise. Auf diese ich-habe-alles-rausgelassen Art und Weise.
Obwohl ich mich, wenn es nach mir ginge, genauso gut umdrehen und noch eine Runde schlafen könnte, strample ich mich von meiner Decke frei und setze mich auf, bevor meine Augen mir doch einfach wieder zufallen. Wann bin ich gestern überhaupt ins Bett gekommen? Es hat sich wie eine Ewigkeit angefühlt, die Noah und ich in dem Kissenmeer mitten in unserem Vorgarten verweilt sind. Dabei haben wir kein Wort miteinander gesprochen, während er mir den Halt gegeben hat, von dem ich mir gar nicht bewusst gewesen bin, wie dringend ich ihn benötigt habe.
Ich weiß nicht, ob ich bei der Erinnerung lächeln oder mir peinlich berührt die Hände vors Gesicht schlagen soll. Aber was feststeht, ist dass ich ihm ein Dankeschön schulde. Zum einen, da er mich vor einem gebrochenen Bein oder sonst was gerettet hat, zum anderen für... naja alles andere.
Ich will mich gerade Richtung Bad schleppen, um mit einem Schwung Wasser im Gesicht richtig wach zu werden, bevor ich doch noch zu spät für den Rave dran bin, als es mir siedend heiß einfällt. Das Dach!
Obwohl ich schon weiß, welcher Anblick mich erwartet, haste ich zum Fenster und stöhne verzweifelt, als ich die verrutschten Ziegel sehe. Wie in Gottes Namen soll ich das Mom erklären? Vielleicht mit einem Brief, während ich im Flieger nach sonst wo sitze.
Aufgewühlt reibe ich mir über die Stirn, aber mir fällt nichts ein, wie ich das verbergen kann. Das Dach ist von der Straße gut einsehbar. Selbst wenn Mom es nicht selbst entdeckt, werden es ihr die Nachbarn sagen. Und kann ein Dach undicht werden, wenn die Ziegel verrutscht sind?
Das Einzige, was noch schlimmer wäre, als Mom zu beichten, dass ich aufs Dach geklettert bin und ein Loch hinterlassen habe, ist ihr das Ganze zu erklären, während wir einen Wasserschaden im Wohnzimmer haben.
Unruhig tigere ich im Zimmer auf und ab, aber letztendlich hat es keinen Sinn. Ich muss mit ihr reden. Da ich aber auch in zwei Stunden bei Max sein muss, wenn ich mit den anderen auf das verlassene Airfield fahren will, entscheide ich mich, erstmal duschen zu gehen, um dem ganzen zumindest wach und bei vollem Verstand entgegentreten zu können. Außerdem erscheint es mir sinnvoll, fluchtbereit zu sein, für den Fall, dass Mom einen Tobsuchtanfall bekommt.
Es ist wohl aber auch etwas Zeit schinden dabei, als ich mich besonders gründlich dusche, mir ausführliche Gedanken über mein Outfit mache und mich sogar schminke und die Haare glätte, bevor ich auch nur einmal nach unten gegangen bin. Aber irgendwann gibt es keine Ausreden mehr und ich schaue mich selbst mit einem Seufzen aufmunternd im Spiegel an. Mit dem schwarzen korsettartigen Oberteil, kombiniert mit einer zerrissenen schwarzen Shorts und einer Netzstrumpfhose sehe ich so aus, als könnte ich es mit jedem aufnehmen. Dazu noch meine Dr. Martens und ich bin bereit für den Rave. Für meine Mom allerdings trotzdem nicht.
Ich verziehe meinen Mund, der in ein dunkles Rot gefärbt ist, und zwicke mich einmal selbst. Los geht's, May.
Ich fühle mich tatsächlich fluchtbereit, als ich mit meiner Tasche nach unten laufe und in meine Schuhe schlüpfe, bevor ich das Wohnzimmer betrete. Mein Magen ist zu einem ängstlichen Knoten zusammengeballt und obwohl es über zwölf Stunden her ist, dass ich etwas gegessen habe, bin ich Welten davon entfernt Hunger zu haben. Mom wird ausrasten. Selbst wenn ich den Teil mit dem vom Dachfallen weglasse.
Jetzt gerade sitzt sie allerdings entspannt auf dem Sofa und blättert in einem Magazin. Sie hat ein süßes Sommerkleid an und mir schießt sofort ihr Satz von gestern in den Kopf. „Ich verhalte mich nicht nur wie eine verbitterte Exfrau, ich sehe auch wie eine aus."
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F*ck Growing up
Teen FictionMay will nichts lieber, als ihr letztes Schuljahr richtig mit ihren Freunden zu genießen. Das gestaltet sich allerdings schwer, seitdem sich ihre Eltern haben scheiden lassen, ihre Mutter Schicht arbeitet und sie im Haushalt mithelfen muss. Da hilft...