Kapitel 20

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Bob ging es ausnahmsweise ausgesprochen gut an diesem Nachmittag. Es hatte ihn unsagbar erleichtert, Justus endlich in seine Probleme einzuweihen. Zwar hatte dieser wie immer recht unbeholfen reagiert und sofort fieberhaft an irgendwelchen rationalen Lösungsansätzen gebastelt, doch im Großen und Ganzen wusste Bob, dass er Verständnis für ihn und seine Situation hatte. Dass er zumindest versuchte ihn zu verstehen. Ohne ihn zu verurteilen. Mehr wollte er ja auch gar nicht.
Und wieder fühlte sich die Last auf Bobs Schultern ein kleines bisschen weniger an. So nutzte er den Rest des Nachmittags für einen zweiten Versuch in der Bibliothek, um dort alles erdenkliche über diese junge Frau herauszufinden.

Am Abend kam er dann ziemlich erschöpft zuhause an. Sein Kopf brummte vom vielen Lesen und sein Körper war einfach nur müde. Bobs Eltern waren gerade mit dem Abendessen beschäftigt, als er sich still und heimlich an ihnen vorbei in sein Zimmer schlich und dort seine gesammelten Erkenntnisse nachdenklich in einem seiner Notizbücher verewigte.
Sonderlich viel hatte er nicht herausfinden können. Vielleicht auch weil er zur Zeit so unkonzentriert war. Ihm fehlte der Blick für die wichtigen Dinge. Der richtige Riecher für die besten Quellen. Zumindest ein paar grundlegende Details hatte er ausfindig machen können.

Der Name der Geheimnisvollen Dame lautete Cindy Ellon. Sie war früher einmal journalistisch tätig gewesen und hatte für irgendwelche politischen Zeitschriften geschrieben. Dann war sie vor drei Jahren urplötzlich von der Bildfläche verschwunden und seitdem nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetaucht und hatte keine weiteren Artikel veröffentlicht. Mittlerweile mochte sie ungefähr 30 Jahre alt sein.

Bob schrieb eine ganze Weile, saß dabei über seinen Schreibtisch gebrütet und prüfte immer wieder die Uhrzeit. Er zählte schon die Stunden, die er noch würde aushalten müssen, bis sich die drei Fragezeichen am nächsten Morgen wieder zur Lagebesprechung in der Zentrale treffen würden. Es waren noch ziemlich genau elf Stunden. Genau elf Stunden zu viel, dachte sich Bob. Obwohl es ihm wirklich besser ging, wollte er nach wie vor nicht im selben Haus mit seinen Eltern sein. Und vor allem wollte er nicht alleine sein. Diese endlosen Nächte alleine, er war sie so satt. Er könnte sich wirklich an die nächtliche Gegenwart seiner Freunde gewöhnen. Seines einen Freundes im Besonderen. Mit Peter könnte er sich wirklich für immer ein Bett teilen.

Noch immer den Kugelschreiber haltend erwischte Bob sich schlagartig dabei, wie er Peters Gesicht in die untere Ecke seines kleinen Büchleins skizzierte. Er hatte wirklich nicht das geringste davon mitbekommen. Erst, als er das fertige Gesicht sah, stellte er fest, was er gerade getan hatte.
„Gehts noch?", konfrontierte er sich selbst und klappte erschrocken das Buch zu.
Dann presste er es sich gedankenverloren an die Brust. Er war also doch noch da. In seinen Gedanken. In seinem Unterbewusstsein. Dabei hatte er sich die letzten Stunden so gut davon überzeugen können, dass Peter ihm nicht mehr bedeutete, als ein bester Freund einem nunmal bedeutete. Jetzt musste er dies erneut hinterfragen.
Jedes Mal wenn er blinzelte, sah er einen kurzen Ausschnitt der letzten Nacht. Den Kuss. Diesen verdammten Kuss. Der wohl größte Fehler seines Lebens.

Verzweifelt warf er sich auf sein Bett und verkroch sich unter der Bettdecke, darauf hoffend in dieser Höhle alles und jeden einfach kurz vergessen zu können. Die Welt einfach mal still stehen lassen zu können. Jeden Gedanken zum schweigen bringen zu können.
Stattdessen bewirkte sein Ruckzug jedoch das komplette Gegenteil. Denn er war plötzlich felsenfest davon überzeugt, Peters Geruch wahrnehmen zu können. Ja, seine Decke roch nach ihm. Nach Peter. Ganz sicher. Er presste den Stoff fest an seine Nase und atmete tief ein. Es war definitiv Peters Geruch.

Sofort schlug Bob die Decke beiseite, als müsste er sich selbst retten und schwang sich zurück auf die Beine.
„Schluss damit!", befahl er sich streng. Dann öffnete er das Fenster und setzte sich davor, um in den Nachthimmel zu schauen und vor allem um diesen Geruch wieder loszuwerden.
„Peter Shaw du blöder Mistkerl... was hast du nur mit mir gemacht.", flüsterte er niedergeschlagen in die Dunkelheit.

Die drei ??? - und die verlorene Freude Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt