Kapitel 3 ~ Der Nachrichtenhorror (1)

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Mit einem Aufseufzen schloss ich die Tür zu meiner kleinen Dreizimmerwohnung im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses auf, die ich mir mit meinem mickrigen Kellnerjob und der Hilfe meiner Eltern gerade so leisten konnte. Sie war nicht sehr neu, aber dafür äußerst gemütlich und wie ich fand nett eingerichtet. Für mich reichte der Platz auf jeden Fall voll und ganz aus. Ich konnte mich also nicht beklagen.

Der Boden bestand aus blauen Fliesen, was meine absolute Lieblingsfarbe war, weshalb auch meine kleine Couch, die Teppiche im Wohnzimmer und mein Bett diese aufwiesen. Insgesamt hatte ich also ein Schlafzimmer mit einem Schreibtisch - an dem ich jedoch meistens nicht lernte, da ich mich eher auf den Küchentisch beschränkte -, eine offene Küche mit integriertem Essbereich und angrenzendem Wohnzimmer und mein Bad, in dem sich eine Badewanne und ein kleines Waschbecken befanden, zur Verfügung. Zusätzlich besaß die Wohnung sogar noch einen winzigen Balkon, von dem aus man einen guten Blick auf die Spree hatte. Zwar war dieser so klein, dass gerade einmal zwei Stühle darauf Platz fanden, aber es war besser als nichts. Für mich auf jeden Fall das perfekte Heim.

Als ich die Eingangstür gerade einen Spalt breit geöffnet hatte, erschien ein orange-getigerter Kopf im Türrahmen, der sich mir freudig entgegenstreckte. Ein lautes Miauen war daraufhin zu vernehmen, das ziemlich vorwurfsvoll klang.

"Tut mir leid, Crazy. Ich konnte leider nicht früher kommen", entschuldigte ich mich bei meiner Katze, bückte mich zu ihr hinab und fuhr ihr vorsichtig über das seidig weiche Fell. Als Antwort strich diese mir sogleich eifrig um die Beine und rieb ihren Kopf an meiner Hand.

"Ich habe dich auch vermisst", seufzte ich schwer. Warum ich ständig mit meiner Katze redete, die mich mit großer Wahrscheinlichkeit sowieso nicht verstand, wusste ich auch nicht so genau. Womöglich aus Langeweile oder aber einfach nur aus dem puren Wunschdenken heraus, Crazy sei womöglich doch etwas Besonderes. Aber das war wohl so eine seltsame Angewohnheit der Menschen. Sie interpretierten Sachen in Dinge hinein, die eigentlich gar nicht da waren. Ich meinerseits war auf jeden Fall froh, meine kleine Crazy zu haben, die mich oft über meine Einsamkeit hinwegtröstete, wenn ich es einmal wieder mit mir selbst kaum aushielt. Denn ab und zu konnte ich wirklich unausstehlich sein.

Schon als Kind hatte es Zeiten gegeben, in denen ich nicht so genau wusste, ob dieses innere Gefühl der Zerrissenheit nun von einer psychischen Störung herrührte oder aber einfach nur meinem eigenbrötlerischen Wesen entsprang. Das Einzige, was ich mit sicherer Gewissheit sagen konnte, war, dass es durchaus anstrengend sein konnte, sich in seiner eigenen Haut nicht wohl zu fühlen und das Gefühl zu haben, nirgends dazuzugehören. Was eigentlich seltsam war, da ich eine super Familie hatte, die Beste überhaupt.

Meine Eltern hatten mich daher sogar einmal ein halbes Jahr lang zu einem Psychologen in Therapie geschickt. Sie wussten sich damals einfach nicht mehr anders zu helfen, da mich immer wieder Appetit- und Antriebslosigkeit quälten. Leider waren die Sitzungen mit Frau Seltsam jedoch von wenig Erfolg gekrönt gewesen, wie ich gestehen musste. Ich hatte zwar irgendwann so getan, als würde es helfen - unter anderem, um meine Eltern zu beruhigen - doch in Wahrheit hatte es absolut gar nichts bewirkt. Es fühlte sich noch heute oft so an, als würde etwas in mir fehlen und ich suchte verzweifelt nach dem verlorenen Puzzelstück, das mich endlich vervollständigte, konnte es jedoch einfach nirgends finden.

Etwas Nasses an meinem Bein holte mich ins Hier und Jetzt zurück. Crazys rosa Zunge fuhr immer wieder eifrig über meinen linken Knöchel, was mir ein helles Lachen entlockte. Es kitzelte furchtbar.

Meine orange-getigerte Schönheit war gerade einmal zweieinhalb Jahre alt und machte ihrem Namen dennoch alle Ehre. Zu Beginn war sie immer wie ein wild gewordenes Huhn durch die Gegend gerannt und hatte alles umgerissen, was sich ihr in den Weg stellte, weshalb sie den Spitznamen ,,Crazy Chicken" trug, den ihr Leon liebevoll verpasst hatte. Und noch heute verteilte sie mit Vorliebe ihr Essen in der ganzen Wohnung, kletterte an Vorhängen hinauf und lief mir so lange zwischen den Füßen herum, bis ich in einem unachtsamen Moment über sie stolperte, sodass ich beschlossen hatte, sie von Katinka in Crazy umzutaufen.

I'm a Dreamer - ErkenntnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt