Kapitel 12 ~ Abschiedsworte

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Den Rest der Woche verbrachte ich damit über mein Leben nachzudenken. Dabei kam ich zu dem Schluss, dass diese ganzen, dämlichen Lebensweisheiten von Leuten verfasst worden sein mussten, die absolut keine Ahnung davon hatten, wie beschissen es einem wirklich gehen konnte. Zwar hörten sich ihre Worte schön an, mehr aber auch nicht. Da gab es so Aussagen, wie:

"Leb in der Vergangenheit, wenn du traurig sein willst. Leb in der Zukunft, wenn du ängstlich sein willst. Und wenn du glücklich sein willst, dann genieß den Moment."

Nur was, wenn der Moment einfach nur grausam war und weh tat? Das half mir dann doch auch nicht weiter! Als ob ich jeden Moment glücklich sein konnte. So ein Schwachsinn!

Oder:

"Wonach soll man am Ende trachten? Die Welt zu kennen und sie nicht verachten."

Ja klar, wenn man von allen nur verarscht und verachtet wurde, war das eine super tolle Anweisung. Das bekam man dann sicher richtig gut hin. War schließlich auch das Leichteste der Welt.

Etwas besser gefiel mir da noch die Vorstellung:

"Unser Leben ist wie ein Kieselstein. Es ist hart, rau und hat Kanten, bis die eine Person kommt, die es glatt und rund schleift."

Auch wenn es schon verdammt kitschig war und natürlich gewiss nicht so eintreffen würde, wie beschrieben. Aber irgendwie machte es auch Hoffnung. Wobei ich keine Ahnung hatte, wer diese Person sein sollte und wo ich sie fand. Oder ob ich sie überhaupt irgendwann einmal finden würde. Das war eher das Problem. Aber die Idee an sich gefiel mir. Das hätte zumindest erklärt, warum bisher alles schief gelaufen war, was ich angefangen hatte. Wie beruhigend. Somit hatte ich nun also endlich einen Schuldigen gefunden. Es war diese andere Person, der ich meine Probleme zu verdanken hatte. Sie sollte sich gefälligst beeilen und endlich zu mir kommen. Sonst würde ich noch richtig, richtig sauer werden und sie vor lauter Wut erst einmal mit einem Schlag auf den Kopf niederstrecken, wenn sie sich dann endlich dazu bequemte zu mir zu kommen. So schwer konnte es ja wohl nicht sein den Weg zu mir zu finden. Ich wollte nicht noch länger Pech haben. Das war wirklich frustrierend.

Kopfschüttelnd legte ich die Packung Ben & Jerry Eis weg, die ich bis auf einen kleinen Anstandsrest fertig ausgelöffelt hatte und streckte meine Füße auf dem kleinen Wohnzimmertisch aus. Was ich wieder für Mist im Kopf hatte. Und ich sollte eine Heldin sein, die den Dreamern zur Freiheit verhalf? Also wenn sie keinen anderen als mich gefunden hatten, der diese Aufgabe erfüllen konnte, war das wirklich ein erbärmliches Endresultat. Dann waren sie tatsächlich dem Untergang geweiht. Als ob ich das, was von mir erwartet wurde, jemals hinbekommen hätte. Außer sie suchten nur einen Dummen, der sich durch irgendein Missgeschick zur Lachnummer der Nation machte. Dafür wäre ich selbstverständlich bestens geeignet gewesen und die kompetenteste Ansprechpartnerin, die man sich vorstellen konnte. Doch über all das brauchte ich mir sowieso keinerlei Gedanken mehr zu machen. Ich würde die Stelle als Befreierin der Dreamer nie im Leben antreten. Nur über meine Leiche. Ich war schließlich nicht komplett bescheuert. Hm... nur halb würde ich sagen.

Seit Dienstag war ich wieder nach Hause in meine eigene Wohnung gezogen, da ich es keine Minute länger in diesem winzigen Gästezimmer bei meiner Oma ausgehalten hatte. Nach drei Tagen war mir schließlich die Decke auf den Kopf gefallen und ich kurzerhand geflüchtet. Darüber war ich auch ziemlich froh, da ich so das traurige Gesicht meiner Oma nicht mehr weiter ertragen musste, mit der ich seit dem Vorfall gerade einmal vier Worte gewechselt hatte:

"Ich gehe jetzt. Tschüss."

Zwar hatte ich befürchtet, dass Finn irgendwann wieder vor meinem Haus auftauchen könnte, um mich erneut zu überreden ihm zu helfen, wenn er feststellte, dass ich daheim war, doch das war zum Glück nicht eingetroffen. Stattdessen hatte ich die Nächte auch ohne seine Hilfe gut gemeistert und fand das ganze Dreamerproblem schon gar nicht mehr ganz so tragisch. Zumindest hatte ich es nun weitestgehend akzeptiert, dass ich ein Dreamer war. Hätte ich zu Beginn zwar auch nie von mir erwartet, aber es geschahen eben doch noch Zeichen und Wunder. Schließlich MUSSTE ich wohl oder übel mit dieser Tatsache leben und das Beste daraus machen. Und eigentlich lag die größte Herausforderung im Dasein eines Dreamers wirklich nur darin den Menschen meine wahre Identität zu verheimlichen und zu versuchen die Träume nicht zu nah an mich heranzulassen.

I'm a Dreamer - ErkenntnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt