Noch am selben Abend durfte Finn auch schon wieder zurück in seine Wohnung. Damit hatte wirklich keiner von uns gerechnet. Vor allem nicht, nachdem er so lange gebraucht hatte, um überhaupt wieder zu Bewusstsein zu kommen. Der seltsame Arzt versicherte uns jedoch, dass Finn mittlerweile das Schlimmste überstanden hätte und er auch nicht mehr für ihn tun könne, wenn er über Nacht hier bleiben würde. Außerdem war Finn ein wirklich sturer Dickkopf und ließ sich nicht davon abbringen nach Hause zu gehen, geschweige denn den Weg zu seinem wartenden Auto alleine zu überwinden. Aline hatte das Auto netterweise vom Parkplatz vor dem Gebäude des Geheimbundes geholt und uns anschließend auch noch zu Finns Wohnung gefahren, was wir tatsächlich ohne weitere Probleme hinbekamen. Was für ein Tag!
Erleichtert schlossen wir die Haustür auf und ließen uns vor dem Fernseher nieder. Für mehr reichte die Kraft einfach nicht. Wir waren alle drei schlicht und ergreifend am Ende unserer Nerven und müde noch dazu. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Für uns alle. So beschlossen wir auch gleich schlafen zu gehen. Aline bestand noch darauf bis morgen in Finns Wohnung zu bleiben, um uns etwas Unterstützung zukommen zu lassen, was ich dankend annahm. Es war schön eine Freundin bei sich zu wissen, die auf einen Acht gab. Seit Finn mir das Leben gerettet hatte, verstanden sich die beiden auch um einiges besser. Sie waren zwar keine Freunde geworden, duldeten sich dennoch zumindest. Das war, wie ich fand, schon einmal ein guter Anfang. Besser, als gar nichts.
Ich versuchte noch Leon anzurufen, jedoch ohne Erfolg. Er ging nicht an sein Handy und war auch nicht zu Hause zu erreichen. Ich hatte wirklich ein schlechtes Gewissen deswegen. Schließlich hatte ich mich, um ehrlich zu sein, einfach unmöglich benommen. Nicht, dass er das nicht auch getan hatte, aber trotzdem. Wahrscheinlich befand sich Leon nun in irgendeiner Bar oder auf irgendeiner Party, um sich voll laufen zu lassen und ein paar Mädels klar zu machen. Wie auch immer, ich hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, konnte jedoch nichts dagegen tun.
So lag ich an diesem Abend noch lange wach und lauschte dem gleichmäßigen Atem von Finn, der sofort eingeschlafen war. Schließlich hatte er vor ein paar Stunden auch noch eine Kugel in der Brust gehabt. Es war daher sowieso ein Wunder, dass er überhaupt noch ins Auto und zu seiner Wohnung zurück gekommen war. Ich dagegen war körperlich so erschöpft, dass ich eigentlich schon längst im Reich der Träume hätte sein müssen, aber emotional so aufgewühlt, dass ich einfach nicht zur Ruhe kam. Eine durchaus beschissene Kombination.
Da war auf der einen Seite meine Familie, der ich viel zu viel Kummer bereitete, auf der anderen Seite Leon, der mittlerweile so undurchsichtig für mich geworden war, dass ich nicht wusste, was ich nun von ihm halten sollte, dann natürlich Finn und Aline, die mir zur Seite standen und mich unterstützten, mein leiblicher Vater, der es auf mich abgesehen hatte, die Polizei, die mich suchte, der Geheimbund, bei dem ich mir nicht sicher war, auf wessen Seite er nun stand, Marianne, die eindeutig ein falsches Spiel spielte und die Legende, in der ich vorkam. Also wenn das nicht reichte, um eine ganze Nacht lang wach zu liegen und vor sich hinzugrübeln, wusste ich auch nicht mehr weiter. Und genau das tat ich auch. Ich blieb bis vier Uhr morgens wach, bevor ich endlich in einen ruhelosen Schlaf fiel.
▪ ▪ ▪
Etwas Feuchtes weckte mich, das meine Wange berührte. Ich brauchte ein bisschen, bis ich wieder zu mir kam. Missmutig wischte ich über die besagte Stelle, nur um gegen einen Widerstand zu stoßen, der ein empörtes: "Auaaaaaaa!" von sich gab.
Verstört riss ich die Augen auf. Was verdammt nochmal war das? Mehrmals rieb ich mir über die Augen, bis ich etwas ausmachen konnte, nur um direkt in das Gesicht von Finn zu blicken. Erst jetzt schaltete ich. Er hatte mich geküsst und ich hatte ihn mitten ins Gesicht geschlagen.
"Upps!", stieß ich erschrocken hervor. Das war jetzt gerade nicht mein ernst gewesen!
"Du bist ja gemeingefährlich. Wird dir dein Freund schon wieder überdrüssig?", beklagte sich dieser und fuhr sich über sein Kinn, auf dem schwach ein roter Abdruck zu sehen war. Mein Freund... ich seufzte etwas verträumt auf. Diese Worte zu hören, waren so unglaublich. Doch dann konzentrierte ich mich schnell wieder auf das, was ich gerade getan hatte.
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I'm a Dreamer - Erkenntnis
Fiksi IlmiahJeder kennt sie, jeder beneidet sie, jeder hasst sie. Die Dreamer. Menschen, die aussehen wie du und ich und es doch nicht sind. Menschen, die die Gabe haben, sich in deine Träume zu schleichen und dich dort zu verletzten, wo du es am wenigsten erwa...