Kapitel 4 ~ Gute Laune, wo bist du nur? (1)

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Ich stand auf einem kleinen, felsigen Hügel und blickte auf eine graue, dicht besiedelte Stadt hinab. Wenn man diese überhaupt noch als solche bezeichnen konnte. Eigentlich hatte sie den Ausdruck ,,Stadt" bereits gar nicht mehr verdient. Es war eher ein Schlachtfeld aus Asche und Staub, das sich da vor mir ausbreitete.

Auf den Straßen brannten Autos, die wie hunderte Glühwürmchen in der Dunkelheit funkelten und die Häuser bestanden nur noch aus Ruinen, die den Anschein von verfaulten Zahnstummeln erweckten. Verzweifelte Menschen versuchten daraus zu entkommen, doch es war hoffnungslos. Sie waren zu langsam.

In der Luft hing der beißende Gestank von Schwefel, der mir in der Nase brannte und Rauch stieg träge aus den Trümmern hervor. Es war ein einziges Bild des Chaos und der Zerstörung.

Auch die Natur schien beschlossen zu haben, dass dies nun das Ende sei. Dunkle Gewitterwolken, die sich zu gigantischen Bergen auftürmten, hingen am Himmel und Blitze zuckten immer wieder auf die Erde herab. Der Donner grollte in meinen Ohren und ließ den Boden unter meinen Füßen erbeben. Die Nacht war grau und düster und von Verzweiflungs- und Schmerzensschreien erfüllt.

Ich schluckte schwer und drehte mich langsam im Kreis. Panik begann allmählich von mir Besitz zu ergreifen. Doch egal, wo ich auch hinsah, es war dasselbe Bild. Nichts mehr schien so zu sein, wie es einmal gewesen war. Selbst ich hatte mich in meinem Innersten verändert. Es war deutlich zu spüren. Ich war nicht mehr die Person, die ich einmal gewesen war. Nur noch ein Schatten, ein läppischer Abklatsch meiner selbst.

,,Schau es dir genau an. Das ist alles deine Schuld. Dein Werk...", flüsterte eine leise, gehässige Stimme in meinem Kopf, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, "wegen dir werden sie alle sterben. Schau nur zu! Du wirst die Letzte sein, die von ihnen geht. Also lehne dich zurück und genieße das Schauspiel solange du es noch kannst."

~ ● ~

Schreiend wachte ich auf. Mein Herz raste wie wild und mein Atem ging unregelmäßig und keuchend. Ängstlich zog ich mir die Decke bis zum Hals und lauschte angestrengt in die Dunkelheit hinaus. Jedoch war nur das Hupen der vorbeifahrenden Autos und der alltägliche Lärm der Großstadt zu vernehmen. Dennoch ergriff die Panik weiter von mir Besitz und verursachte ein heftiges Ziehen in meiner Brust, das in meinen ganzen, restlichen Körper ausstrahlte. Ich war von Kopf bis Fuß schweißgebadet und meine Klamotten klebten an mir, wie eine zweite Haut. Entsetzt riss ich schließlich die Augen auf, als ich es nicht mehr länger ertrug und versuchte, meine Panikattacke irgendwie unter Kontrolle zu bringen.

,,Nur nicht hyperventilieren! Nur nicht hyperventilieren!", schrie ich mich innerlich selbst an. Aber genau so gut hätte ich mir auch sagen können: ,,Die Biss-Bücher sind total bescheuert. Die Autorin muss bekifft gewesen sein, als sie diese geschrieben hat. Wer ist schon so verrückt und verliebt sich freiwillig in einen Vampir, der ein Scheinvegetarier ist und Ähnlichkeiten mit einer psychisch kranken Diskokugel hat? Und vor allem sieht Kristen Stewart aus, als hätte sie den ganzen Film über Bauchschmerzen. Grässlich! Und sollte ich jemals Robert Pattinson oder Taylor Lautner auf der Straße begegnen, würde ich ihnen auf jeden Fall sagen, dass sie nicht ständig herumjammern sollen wie ein Haufen kleiner Mädchen, wenn sie ihre Tage haben und alle beide Geschmacksverirrungen haben, wenn sie tatsächlich auf Kristen Stewart stehen. Das kommt nämlich echt nicht gut an" und trotzdem hätte es nichts geändert, obwohl ich mich bei dieser Aussage unter normalen Umständen in eine Furie des Schreckens verwandelt hätte. Diese These hatte Aline nämlich eines schönen Nachmittags in den Raum geworfen, als wir uns gemeinsam alle Filme zu den Büchern angesehen hatten. Ich selbst hatte diese Behauptung natürlich daraufhin sogleich widerlegen müssen. Zwar fand ich die Filme an sich auch nicht gerade sehr gelungen, aber die Bücher waren so unglaublich cool, dass sie alles andere doppelt und dreifach wieder wett machten. Außerdem konnte die Autorin ja auch nichts dafür, dass der Regisseur alles kaputt machte, indem er zuließ, dass die Schauspieler so schlecht spielten, als hätten sie allesamt einen Magendarminfekt. Das war so eine Frechheit, dass man diese grauenvolle Sache der Autorin unterstellte, obwohl sie eigentlich nichts mit den Filmen zu tun...

Oh! In meine eigenen Überlegungen vertieft hatte ich mich tatsächlich bis zu einem gewissen Grade abgelenkt, sodass sich die Nachwirkungen meines Traums nun ganz allmählich verzogen. Zum Glück! Das war ja mehr als seltsam gewesen. Woher kam nur diese plötzliche Panikattacke? War es noch immer die Reaktion auf das, was ich gestern in den Nachrichten gehört und gesehen hatte? Die Möglichkeit bestand auf jeden Fall. Ich war schließlich nicht gerade für meine außerordentliche Furchtlosigkeit bekannt.

Die Bilder, die ich gerade eben durchlebt hatte, waren aber auch wirklich zu realistisch gewesen. Ganz so, als sei ich tatsächlich an diesem seltsamen Ort gewesen, an dem gerade eine ganze Stadt in Schutt und Asche zerfallen war. Und das ohne ersichtlichen Grund. Einfach so, als hätte sie kurzerhand beschlossen, dass es an der Zeit war, den Geist aufzugeben. Ich musste schwer schlucken, als mich ein beklemmendes Gefühl überkam, das ich einfach nicht abschütteln konnte. Ob dieser Traum wohl ein schlechtes Omen war? Bedeutete er, dass ich nun ein ganzes Jahr lang nur noch vom Pech verfolgt werden würde?

,,Eliana Kleer! Jetzt mach aber mal halblang! Wie alt bist du? Drei? Jedes kleine Kind weiß doch, dass Träume nicht wahr werden, sondern einfach nur Verarbeitungsprozesse unseres Gehirns sind!", wies ich mich innerlich selbst zurecht. Aber es erzielte leider nicht so ganz den gewünschten Erfolg. Mein Herz tat immer noch als müsste es gerade einen Marathonlauf bewältigen und mein Nebennierenmark machte heute wohl ebenfalls Überstunden, indem es haufenweise Adrenalin produzierte. Na wenigstens etwas an mir, das die Motivation besaß, mehr zu leisten als es musste. Hätte ich diese Kraft irgendwie in mein Studium stecken können, ich wäre garantiert längst fertig gewesen.

Da mir mein gutes Zureden jedoch nicht wirklich weiterhalf, griff ich auf die alt bewährte Methode zurück, wenn mich eine Panikattacke aufgrund eines Albtraums überkam - was leider ziemlich häufig der Fall war. Ich dachte über geniale Fragen des Lebens nach, die mich schon seit geraumer Zeit interessierten. Unter anderem: ,,Wenn man 19 ist und eine Nachtcreme benutzt, die einen 20 Jahre jünger macht, ist man dann am nächsten Morgen tot?" oder ,,Ist es schlimm, wenn man eine Göthestatue im See schillern sieht?"

Unerklärlicherweise half es wirklich mich zumindest wieder so weit unter Kontrolle zu bringen, dass ich es schaffte, meine steifen Glieder zu bewegen und nicht einfach nur wie ein sich totstellendes Opossum im Bett zu verharren. Wow! Was für eine Glanzleistung am frühen Morgen. Umständlich kroch ich anschließend aus den Federn, streckte mich ausgiebig und trottete in Richtung Bad davon. Der verhasste Tag konnte beginnen! Auch, wenn meine Begeisterung sich in Grenzen hielt.

Nachdem ich gefühlte zehn Stunden damit verbracht hatte, im Bad unter dem angenehm warmen, fließenden Wasser zu stehen und alle Rückstände des Traums abzuwaschen, saß ich nun fertig angezogen in der Küche und wartete darauf, dass mein Kaffee endlich fertig war. Ich brauchte das bittere Getränk nämlich gerade dringender, als ein Drogenjunkie sein Heroin. Lustlos rührte ich währenddessen mit einem Löffel in meinem Schokomüsli herum, das jedoch noch unberührt vor mir stand. Vor meinem Kaffee am frühen Morgen ging einfach gar nichts.

Mit einer gewissen Erleichterung stellte ich nach einigen Minuten apathischem Löcher in die Luft starren fest, dass er fertig durchgelaufen war und ich mir somit eine Tasse des schwarzen Getränks eingießen konnte. Gierig nahm ich sofort einen großen Schluck davon und achtete nicht weiter auf den Schmerz, der dabei kurz durch meine Zunge fuhr und sie taub werden ließ. Um ehrlich zu sein, tat es sogar auf eine gewisse Art und Weise gut. So kam ich zumindest endlich wieder ganz zu mir.

Jetzt schaffte ich es auch, ein paar Löffel des mittlerweile eingeweichten Müslis in mich hineinzuzwingen, schob es dann jedoch angeekelt von mir, da ich eigentlich überhaupt keinen Appetit verspürte. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir los war. Vielleicht lag es am nahenden Geburtstag, den ich eigentlich, wenn ich ehrlich war, gut und gerne übersprungen hätte. Ich hasste es im Mittelpunkt zu stehen und verstand auch nicht, was so toll daran sein sollte, ein Jahr älter zu werden. Meiner Meinung nach hätte man eine Party schmeißen sollen, wenn man eines morgens aufwachte und feststellte, dass man ein Jahr jünger geworden war. Aber Aline ließ da natürlich nicht mit sich reden. Sie hatte mir die Party geradezu aufgezwungen. Jetzt bereute ich es zutiefst, irgendwann nachgegeben und einer Party zugestimmt zu haben. Doch für einen Rückzieher war es nun bereits zu spät. Blöd gelaufen.

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