Kapitel 6 ~ Schlimmer geht immer

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Fassungslos saß ich im Gras, das noch etwas feucht vom Tau war und blinzelte mehrmals. Ich verstand einfach nicht, was das hier sollte. Die Welt schien beschlossen zu haben ihren eigenen, gerade neu erfundenen Naturgesetzen zu folgen und ich befand mich mittendrin, unfähig mich dagegen zu wehren. Ich fühlte mich wie ein Versuchskaninchen, dem man gerade ein neues Medikament verabreicht hatte. Es war ein Gefühl der vollkommenen Machtlosigkeit dem gegenüber, was noch kommen würde. Besser konnte ich es nicht beschreiben.

Ohne den Blick von diesen stechenden Augen abwenden zu können, starrte ich in das wunderhübsche Gesicht des fremden Jungen, das mir seltsamerweise so bekannt vorkam. Irgendwo hatte ich ihn schon einmal gesehen. Jedoch konnte ich nicht so genau sagen, ob der Typ mit mir studierte, ob er ein Freund von Leon war oder ob ich ihn einfach nur schonmal zufällig irgendwo in der Stadt gesehen hatte. Diese Ungewissheit machte mich ganz verrückt und ließ mich wütend über mich selbst mit einem mulmigen Gefühl zurück. Verbissen versuchte ich mich zu erinnern, wer der Kerl da war, aber es wollte mir beim besten Willen nicht gelingen.

Auf jeden Fall sah mein Gegenüber nicht einmal so übel aus. Seine hohen Wangenknochen und der helle Teint verliehen ihm ein außergewöhnliches Erscheinungsbild. Er erinnerte mich damit leicht an ein Mitglied des alten Königshauses, mit ihrer vornehmen Blässe und den anmutigen Bewegungen. Seine Lippen waren schmal zusammengekniffen und etwas rissig, seine Schultern nicht ganz so breit wie die von Leon, aber trotzdem immer noch beeindruckend und wie es schien war er harte Arbeit gewöhnt. Zumindest ließen seine Oberarme, seine schwieligen Hände und der Dreck unter seinen Nägeln darauf schließen. Alles in allem wieß er auf jeden Fall keine 08/15 Erscheinung auf.

"Hat es dir die Sprache verschlagen? Ich meine, ich weiß wie es ist zu merken, dass man plötzlich all seine Kräfte zur Verfügung hat. Aber ich dachte du würdest dich wenigstens ein winziges bisschen freuen, wenn du jemanden von Deinesgleichen triffst, der dir sogar die Schmerzen des Erwachsenwerdens lindert. Das ist der reinste Luxus", unterbrach der Fremde meine Grübeleien.

Verständnislos starrte ich ihn weiterhin an. Was wollte er? Ich verstand gar nichts mehr.

"Ich bin übrigens Finn. Finn Gosling. Zumindest nehme ich das an. Es stand auf der Kette, die ich bei meiner Abgabe um den Hals trug. Daher nennt mich nun auch jeder so, ob es nun stimmt oder nicht."

Jetzt kapierte ich gar nichts mehr. Er wusste nicht genau wie er hieß? Von was für einer Kette redete er? Was für eine Abgabe?

"Und wer bist du? Ich meine, ich weiß es eigentlich schon. Schließlich habe ich es in deinen Träumen gesehen. Dein Letzter war ja wirklich beeindruckend, mit dem ganzen Ende der Welt Gefasel. Du hast eine rege Fantasie, das muss man dir lassen. Aber ich wollte es einfach gerne von dir selbst hören. Erscheint mir höflicher", plapperte mein Gegenüber munter weiter, als ich nicht sofort antwortete.

Entsetzt klappte ich den Mund auf und wieder zu, als ich langsam verstand. Das konnte doch jetzt nicht... Das war doch jetzt ein schlechter Scherz! Ein sehr, sehr, sehr Schlechter sogar. Hatte mir das Aline eingebrockt? Oder Leon? War mein Gegenüber ein Freund von ihnen, der mich verarschen sollte?

"D... d... du... du bist ein Dreamer?", brachte ich stotternd hervor, plötzlich wieder Herr über all meine Sinne.

"Jap, das bin ich. Was ist denn das für eine Frage? Erstens dürftest du mich im Fernsehen gesehen haben und zweitens müsstest du doch merken, dass ich so bin wie du."

Ich erstarrte. Mein Gehirn weigerte sich das soeben Offenbarte zu verarbeiten. Es war, als hätte es sich in den Urlaub verabschiedet und mich alleine und hilflos zurückgelassen.

"Also du bist mir ja ein komischer Dreamer, Emely Southman. Bist du etwas verwirrt oder hast du einfach nur zu tief ins Glas geschaut?", grinste Finn breit, wobei seine schneeweißen Zähne im fahlen Licht hell aufblitzten.

I'm a Dreamer - ErkenntnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt