Das Klingeln aus der Küche ließ mich abrupt aufspringen, sodass Crazy etwas beleidigt von dannen zog, die es sich gerade auf meinen Beinen bequem gemacht hatte. Ich kümmerte mich jedoch nicht weiter um die kleine Dramaqueen, sondern sprintete zum Backofen, wo ich schlitternd zum Stehen kam. Ungeduldig nahm ich ein paar Topflappen zur Hand und zog die dampfende Pizza aus dem Ofen hervor, wobei ich dabei jedoch nicht die Möglichkeit bedachte, dass diese sich in der Mitte durchbiegen und mir aus der Hand gleiten könnte. Kurzerhand machte mein Essen daraufhin eine etwas unfreiwillige Bekanntschaft mit dem Fußboden. Heute lief aber auch wirklich gar nichts, wie ich es wollte.
Fluchend ging ich in die Hocke und kratzte mein ehemals so ansehnliches Essen vom Boden auf einen Teller. Zum Glück hatte ich erst gestern in weiser Voraussicht die Küche gewischt. Denn hätte es so ausgesehen wie davor, hätte ich nun eine Pizza mit grauem Fell vor mir gehabt. Dieser Staub war aber auch wirklich lästig. Kaum hatte man ihn beseitigt, kehrte er an anderer Stelle auch schon wieder zurück. Es war ein aussichtsloser Kampf, den wir Menschen gegen den Schmutz der Jahre in unseren Häusern führten. Aber wir hielten noch immer tapfer dagegen an und so lange wir lebten, würden wir uns auch nicht geschlagen geben. Welch tapfere Wesen wir doch waren. Unglaublich.
Etwas sauer über meine eigene Schusseligkeit schnappte ich mir nach meiner erfolgreichen Pizzarettungsmission ein Messer und eine Flasche Wasser, da mir die Lust auf Cola bis auf weiteres erst einmal vergangen war und kehrte wieder vor den Fernseher zurück. Das erschien mir nach dieser Aktion eindeutig das Beste zu sein. Nachher stolperte ich noch über meine eigenen Füße, konnte mich gerade noch abfangen, aber brach mir die Nase, weil ich mit voller Wucht mit dem Kopf gegen die Küchenzeile krachte. An dem heutigen Tag schien nichts unmöglich zu sein. Ich hätte mich wohl für das neue Gesicht der Werbekampagne von Toyota bewerben sollen. Den Satz: ,,Nichts ist unmöglich - Toyota" hätte ich sicher sehr authentisch rübergebracht.
Mit dem Teller auf dem Schoß machte ich es mir im Schneidersitz auf dem angenehm kühlen Leder bequem und schob mir ein Stück der dampfenden Pizza in den Mund. Mmhhmm! Der Thunfisch in Kombination mit den Zwiebeln und der fruchtigen Tomatensoße war ein Traum. Es schmeckte trotz der Kontaktaufnahme mit dem Fußboden noch immer köstlich. Eindeutig eine gute Wahl.
Ich seufzte zufrieden auf. So, wie es im Moment war, hätte es von mir aus immer sein können. Ich konnte mir wirklich nichts Besseres vorstellen, als hier auf meiner Couch zu liegen, sich von dem Fernsehprogramm berieseln zu lassen, Fast Food zu mampfen und nach langen, anstrengenden Stunden an der Uni einfach nur abzuschalten. Ein Tag hätte ausschließlich aus 24 Stunden Feierabend bestehen sollen. Aber leider gestattete eimem das Leben das natürlich nicht.
Die Titelmelodie der Tagesschau ließ mich aufhorchen. Als ich aufsah, entdeckte ich Günther Heberling, den neuen Nachrichtensprecher, auf dem Bildschirm und stellte überrascht fest, dass es bereits 20 Uhr war. Wie schnell die Zeit doch verging, wenn man nicht mehr an der Uni war. Das war wirklich unglaublich. Hier, in meiner Wohnung, herrschte das genaue Gegenteil von dem Phänomen vor, das Frau Bauer während ihrer Vorlesungen bei mir hervorrief. Aber es war ja auch ein altbekanntes Gesetz, dass Dinge immer das Bedürfnis hatten, sich gegenseitig auszugleichen. Daher konnte die Zeit nach den eineinhalb Stunden Soziologiefolter auch gar nichts anderes tun, als einfach nur so dahinzufliegen.
Ich verlagerte mein Gewicht und kratzte mich am Hinterkopf. Etwas an den heutigen Nachrichten weckte meine Neugier. Ich beugte mich nach vorne, um einen besseren Blick
auf die Flimmerkiste zu haben und knabberte abwesend an einem großen Stück Pizza herum.Zuerst konnte ich nicht genau sagen, was mein Interesse so plötzlich auf sich gezogen hatte. Es war einfach reine Intuition, die mich dazu zwang, meine volle Aufmerksamkeit dem Bildschirm zu widmen. Es war ein seltsames, ungutes Gefühl, das mich dabei überfiel, auch wenn sich augenscheinlich nichts geändert hatte. Die Härchen auf meinen Armen standen mir auf einmal zu Berge und es fröstelte mich. Suchend schaute ich mich um und fragte mich, ob sich die Klimaanlage irgendwie von selbst eingeschaltet hatte. Aber Fehlanzeige. Sie war noch immer aus.
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I'm a Dreamer - Erkenntnis
Ciencia FicciónJeder kennt sie, jeder beneidet sie, jeder hasst sie. Die Dreamer. Menschen, die aussehen wie du und ich und es doch nicht sind. Menschen, die die Gabe haben, sich in deine Träume zu schleichen und dich dort zu verletzten, wo du es am wenigsten erwa...