Ich stand im Bad und vollzog eine kleine Katzenwäsche, während Finn durch meine Wohnung streifte und alles neugierig unter die Lupe nahm. Wie ich festgestellt hatte, kannte er die meisten Dinge zwar beim Namen, hatte sie jedoch noch nie in echt gesehen. So auch meinen Toaster, den er sogar so spannend fand, dass er ihn mehrmals in den Händen wendete und darauf bestand, ihn gleich ausprobieren zu müssen. Es war lustig mit anzusehen, wie ein erwachsener Kerl gespannt darauf wartete, dass die Toasts endlich aus dem Gerät heraussprangen. So viel Begeisterung hatte wahrscheinlich noch nie irgendjemand für ein Küchengerät empfunden. Da ich jedoch auch nichts gegen ein Frühstück einzuwenden hatte, war unser Heiße-Schokolade-Trinken daraufhin eben zu einem gemeinsamen Essen ausgedehnt worden. Normalerweise brachte ich am frühen Morgen zwar fast keinen Bissen hinunter, doch was war schon noch normal. Nichts. Das erste Mal in einen Traum zu schlüpfen war wirklich kräftezehrend gewesen. Da war so ein Nutellatoastbrot mit Bananenscheiben genau das Richtige für mich gewesen.
Leider hatte ich es zu meinem großen Bedauern nicht geschafft Finn davon zu überzeugen, dass ich die Vorlesungen heute einfach schwänzen musste. Er war der festen Überzeugung, dass ich mein Leben einfach so weiterzuführen hatte, wie bisher. Mit der kleinen, aber feinen Ausnahme, dass meine Nächte etwas anders ablaufen würden, als zuvor. Und mit dem Problem, dass ich nicht wusste, wie ich Leon nun nach all dem, was vorgefallen war, gegenübertreten sollte. Mal ganz abgesehen von meinen Eltern, die mir die Sache mit dem Brandmal in meinem Nacken noch erklären durften. Doch Finn kannte da keine Gnade. Er hatte mich mitleidslos ins Bad gescheucht und mir sogar angeboten den Tisch abzuräumen, dass ich es noch rechtzeitig zu meiner ersten Vorlesung schaffte. Dieser Kerl hatte echt Nerven! Eine Mutter, die mir sagte, was ich zu tun und was ich zu lassen hatte, hatte mir eigentlich bisher gereicht.
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Nachdem ich mir die Zähne geputzt und mich fertig angezogen hatte, stellte ich mich vor den Spiegel und betrachtete meine Gestalt längere Zeit schweigend. Ich suchte nach irgendwelchen Anzeichen, dass ich mich verändert hatte, doch ich war noch immer die gleiche langweilige, durchschnittliche Emely, wie die Jahre zuvor. Oder besser gesagt eine etwas übernächtigte Ausgabe von ihr. Jedoch war ich nicht aus heiterem Himmel gewachsen, hatte abgenommen oder sah nun so aus, wie eine zweite Ausgabe von Jessica Cold. Wäre ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. Aber ich hätte es mir ja auch gleich denken können. Schließlich war ich kein Vampir, der sich bei der Verwandlung plötzlich als ein wunderhübsches, atemberaubendes Wesen entpuppte. Dies waren eben doch nur erfundene Geschichten.
Etwas gereizt machte ich mich daran meine Haare zu einem losen Dutt hochzubinden, als ich plötzlich vor Überraschung einen spitzen Schrei ausstieß. Ein schwaches, leicht pulsierendes, silbernes Schimmern leuchtete mir aus meinem Nacken entgegen und bereitete mir ein mulmiges Gefühl. Erschrocken ließ ich die Haare wieder fallen und wandte mich hastig zur Tür um, die in diesem Moment von einem alarmierten Finn aufgerissen wurde.
„Was ist passiert? Geht es dir gut? Tut dir etwas weh?"
Unfähig etwas darauf zu erwidern schob ich meine Haare beiseite und drehte Finn den Rücken zu. Das seltsame Licht war nun wieder deutlich im dämmrigen Bad zu erkennen und ich musste die Augen schließen, da sich plötzlich alles um mich herum drehte. Keine Ahnung, warum mein Körper sich ausgerechnet diesen Moment aussuchte, um schlapp zu machen und nicht schon davor, als ich realisiert hatte, dass mein Leben nie mehr so sein würde wie früher und dass mich die Leute, denen ich blind vertraut hatte und die immer für mich da gewesen waren, eiskalt belogen und verraten hatten. Doch es passierte genau jetzt, während ich die Augen geschlossen hielt und das Mal in meinem Nacken trotzdem so deutlich vor mir sah, als wäre es schon seit meiner Geburt ein Teil von mir gewesen. Ich konnte jede noch so kleine, silberne Linie detailgetreu hinter meinen geschlossenen Lidern ausmachen und nahm staunend und ängstlich zugleich die Schönheit des Zeichens in mir auf. Es war eine kleine, mit Schnörkeln verzierte Spirale, von der nach außen hin winzige Blätter abgingen. Unter der Spirale befanden sich zwei parallele Linien, die etwas dicker waren, als der Rest und in deren Mitte seltsame Zeichen standen, die ich nicht entziffern konnte. Wenn man das Mal als ein Ganzes betrachtete, sah es beinahe so aus wie ein silberner Baum aus einem Märchenwald.
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I'm a Dreamer - Erkenntnis
Science FictionJeder kennt sie, jeder beneidet sie, jeder hasst sie. Die Dreamer. Menschen, die aussehen wie du und ich und es doch nicht sind. Menschen, die die Gabe haben, sich in deine Träume zu schleichen und dich dort zu verletzten, wo du es am wenigsten erwa...