Kapitel 2 ~ Langweilig, langweiliger, Frau Bauer (1) ✔

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Die Vorlesung war so ermüdend, wie ich es erwartet hatte. Hätte man mir vor der Stunde einen Baldriantee gekocht, Schlaftabletten gegeben und anschließend einen Betäubungspfeil in den Arm gejagt, es hätte mindestens denselben Effekt erzielt.

Mit halb geschlossenen Augenlidern saß ich auf meinem Platz, den Kopf in die Hände gestützt und kritzelte gedankenverloren vor mir auf dem Papier herum. Dabei entstand ein buntes Durcheinander aus verschiedenen Mustern, Wörtern, Blumen und Herzchen. Dieses wirkte wie ein Mantra in künstlerischer Form auf mich. Man konnte richtig gut dabei abschalten.

Wie so oft setzte ich in der Vorlesung von Frau Bauer alles daran, mich mit etwas zu beschäftigen, das nichts mit Soziologie zu tun hatte. Und da schien mir eine Blockverschönerung die geeignetste Lösung zu sein - na gut, die Zeichnungen sahen zwar eher aus, als hätte sie ein Zweitklässler mit Schüttelfrost zu Blatt gebracht, aber für meine Verhältnisse war es auf jeden Fall annehmbar. Wie man unschwer erkennen konnte, schien mein Plan heute dabei sogar aufzugehen. Ich bekam rein gar nichts von dem mit, was da vorne am Rednerpult ablief.

Abwesend ließ ich meinen Blick über die Reihen schweifen und beobachtete ein paar Leute dabei, wie sie an ihren Smartphones hingen, sich gegenseitig etwas erzählten, Löcher in die Luft starrten, auf ihren Laptops Filme schauten, strickten oder unter dem Tisch sogar Karten spielten. Diese Tatsache verdeutlichte das bestehende Interesse an diesem Fach. Es war gelinde gesagt nicht vorhanden.

Dafür war es wirklich äußerst beeindruckend festzustellen, wie kreativ meine Leidensgenossen und -genossinnen das Geschwafel von Frau Bauer ausblendeten. Wir hatten bei dieser Frau eindeutig schon viel gelernt. Ich hätte zwar nie gedacht, dass ich das jemals sagen würde, aber sie hatte uns Stunde um Stunde beigebracht, wie man einen anderen Menschen komplett ignorierte. Man sollte die Dinge schließlich positiv sehen oder wie war das nochmal gewesen?

Mit einem Aufseufzen drehte ich mich zu Leon und Jessica um, die augenscheinlich eine andere Beschäftigung gefunden hatten, als die restlichen Personen in diesem Raum. Eine ziemlich Unkonventionelle, um ehrlich zu sein. Ich vergrub meinen Kopf genervt in den Händen und hätte am liebsten laut aufgestöhnt. Zwar hatte ich selbst bereits nach den ersten Worten von Frau Bauer: ,,Nach Bourdieu dient der soziale Habitus dazu..." kurzerhand abgeschaltet, jedoch konnte ich die Ablenkungstätigkeit der beiden Turteltäubchen hinter mir nicht so wirklich gutheißen. Zumindest nicht hier und unter so vielen Leuten!

Eng umschlungen, als seien sie zwei Kaugummis, die sich nach einmaligem Zusammenpressen nicht mehr voneinander trennen konnten, stellten sie ihre Zuneigung offen zur Schau. Jessicas Hände ruhten dabei auf der Innenseite von Leons Bein, wobei dieser das Ganze sogar noch übertraf, indem er seine Hand hinter ihren Rücken schob, ziemlich weit unten, um genau zu sein. Die größte Aufmerksamkeit der Zwei galt dabei jedoch dem Mund des jeweils anderen. Ungeniert küssten sie sich mitten in der Vorlesung. Bäh! Allein beim Zusehen musste ich einen Würgreiz unterdrücken. Das war ja schon beinahe nicht mehr jugendfrei.

Mittlerweile hatte ich schon wirklich viel mit Leon und seinen ganzen Freundinnen durchgemacht. Und das war absolut keine Übertreibung. Dennoch war das hier an Aufdringlichkeit kaum zu übertreffen. Hm... wobei... möglicherweise doch. Melanie, Leons damalige Verflossene auf der Abiabschlussfahrt, war schon ein richtiger Kracher gewesen. Sie hatte ihm stockbesoffen ein Lied gewidmet, anschließend wie wild mit ihm rumgemacht und am Ende auf seine neuen, weißen Nikeschuhe gekotzt. Da brauchte ich wohl nicht zu erwähnen, dass er noch am selben Abend Schluss gemacht hatte. Das Beste daran war jedoch gewesen, dass diese dämliche Kuh mir im Nachhinein die Schuld an allem gegeben hatte. Laut ihr hatte ich meinem besten Freund nämlich gesteckt, dass sie gleichzeitig etwas mit Kevin aus der Stufe unter uns gehabt hatte. Diese Tatsache war mir zwar auch neu gewesen, aber gut. Ein weiterer Grund, den ich Leon hatte nennen können, um Melanie hinter sich zu lassen und andererseits seinen miserablen Geschmack, was Frauen betraf, verdeutlichte.

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