"Das war echt gut", lobte mich Aline nun schon mindestens zum zehnten Mal, auch wenn ich meinen Erfolg nicht wirklich genießen konnte. Nein, er erschien mir auf einmal nur noch halb so toll und wurde von dem Streit mit Leon überschattet. Und von noch ein paar tausend anderen Dingen, die ich gar nicht alle hätte aufzählen können.
"Das war Anfängerglück", tat ich ihre Worte ab und beobachtete, wie meine beste Freundin, die gerade dabei war die mindestens dreiundzwanzigste Frühlingsrolle zu verschlingen, tadelnd eine Augenbraue in die Höhe zog. Ich selbst hatte es bisher nicht geschafft mehr als auch nur eine dieser eigentlich echt leckeren Teigtaschen hinunter zu zwingen und den Rest nicht angerührt. Ich konnte einfach keinen Bissen mehr essen.
"Ach was! Du bist gigantisch! Ein echtes Naturtalent. Hör auf dich immer so klein zu reden", schmatzte sie kauend weiter und griff nach der nächsten Frühlingsrolle, "aber um ehrlich zu sein habe ich auch nichts anderes von dir erwartet. Schließlich bist du die Auserwählte und meine beste Freundin noch dazu. Das sagt doch schon alles."
Ich wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als dass sich auch nur ein kleiner Teil ihrer positiven Einstellung und Zuversicht auf mich übertragen hätte. Das wäre um einiges schöner gewesen, als das nagende Gefühl des Selbstzweifels und des schlechten Gewissens, das sich in mich verbissen hatte und einfach nicht verschwinden wollte.
"Wenn du meinst", erwiderte ich daher auch nur knapp und stocherte mit der Gabel in meinen noch immer nicht angerührten Frühlingsrollen herum.
"Willst du die nicht mehr?", fragte Aline daraufhin sehnsüchtig und schielte auf meinen Teller.
"Nimm sie dir", gestattete ich großzügig und sie kam meinem Angebot sogleich nach. Meine Güte war die heute aber am Verhungern! Aber mir sollte es recht sein. Ich hätte sowieso nichts mehr davon gegessen.
"Was war das vorhin jetzt eigentlich genau zwischen dir und Leon im Kampfunterricht? Ihr Zwei habt euch ja beinahe zerfleischt. Das war schlimmer, als an deinem Geburtstag. Und das muss etwas heißen. Hast du ihm Jessy streitig gemacht oder was ist passiert?", wendete sich meine beste Freundin nun genau dem Thema zu, dem ich eigentlich gehofft hatte entkommen zu sein, als wir es uns in der Mittagspause in meiner Wohnung bequem gemacht hatten. Tja, Pech gehabt. Da hatte ich mich wohl zu früh gefreut.
"Ja, klar. Ich bin seit neustem mit Jessy verlobt, hast du das etwa noch nicht mitbekommen?", tat ich entsetzt.
"Oh, entschuldige! Mann bin ich eine schlechte Freundin! Darf ich trotzdem auf eure Hochzeit?", spielte Aline mit und ich musste, ohne es verhindern zu können, leicht schmunzeln. Die Vorstellung von Jessy und mir war aber auch einfach zu absurd.
"Nicht viel absurder, als die Vorstellung von Leon und dir", stichelte meine innere Stimme sofort los, was ich gekonnt ignorierte.
"Klar bist du eingeladen. Du bist meine Trauzeugin. Wir haben auch schon unsere Flitterwochen auf den Malediven geplant und wollen sieben Kinder adoptieren", spann ich das Ganze weiter.
"Super! Dann organisiere ich schnell den Junggesellinnenabschied", ereiferte sich Aline und wir prusteten beide gleichzeitig los. Auf so einen Mist konnten aber auch nur wir beide kommen. Das war so typisch. Aber was wäre das Leben auch ohne Humor gewesen? Auf jeden Fall nur halb so schön.
Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten, fuhr Aline jedoch unbeirrt fort:
"Ne, jetzt mal im Ernst. Was war das vorhin? Die Stimmung war ja bedrückender, als auf einer Beerdigung."
Ich musterte interessiert meine Finger. Eigentlich war ich gerade nicht sehr erpicht darauf über den ganzen Schlamassel zu reden, der den Namen "Mein Leben" trug. Aber Aline ließ nicht locker:
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I'm a Dreamer - Erkenntnis
Fiksi IlmiahJeder kennt sie, jeder beneidet sie, jeder hasst sie. Die Dreamer. Menschen, die aussehen wie du und ich und es doch nicht sind. Menschen, die die Gabe haben, sich in deine Träume zu schleichen und dich dort zu verletzten, wo du es am wenigsten erwa...