Mrs. Carter führte mich nach oben in einen Raum, der mehrere, weiche Sofas vorweisen konnte, ebenso wie eine Kaffeemaschine und einen herrlich prasselnden Kamin. Sie setzte mich in einen der roten, schönen, weichen Ohrensessel, in dem ich beinahe versank und wickelte mir eine warme, flauschige Decke um die Schultern. Erst jetzt bemerkte ich verwundert, dass ich am ganzen Körper begonnen hatte zu zittern. Wie war denn das passiert?
Leons Mutter ging zur Kaffeemaschine hinüber und schaltete diese ein. Schweigend lauschten wir dem zischenden und brummenden Geräusch und warteten, bis der Kaffee endlich fertig durchgelaufen war. Anschließend füllte Mrs. Carter das heiße, starke Getränk in zwei Tassen und rührte etwas Milch und Zucker in ihren eigenen. Von mir wusste sie ja bereits, dass ich beides vehement verweigerte. Lieber trank ich gar nichts, als einen verpfuschten Kaffee. Soetwas Leckeres zu verunstalten war wirklich eine Schande!
Wie gebannt verfolgte ich jede noch so kleine Bewegung von Mrs. Carter. Ich beobachtete, wie die feinen, geschickten Finger ihre Arbeit taten und mit welcher Präzision das alles vor sich ging. Der Vorgang hatte irgendwie etwas Tröstliches an sich. Er gaukelte mir vor, dass es doch noch etwas auf dieser Welt gab, was einigermaßen alltäglich war. Und wenn es nur das Aufbrühen von Kaffee beinhaltete.
"Hier. Für dich. Trink das erst einmal aus. Dann sieht die Welt nur noch halb so schlimm aus."
Ihre warme, melodische Stimme, die hohen Wangenknochen und die wunderschönen Lippen, die mich so sehr an ihren Sohn erinnerten, machten, dass ich mich zumindest so weit beruhigen konnte, um die Tasse entgegennehmen zu können, ohne gleich den ganzen Inhalt dieser auf meiner Hose zu verteilen.
"Danke", hauchte ich schwach und zog die Füße eng an meinen Körper. Ich brauchte irgendetwas, an dem ich mich festhalten konnte. Es fühlte sich nämlich so an, als würde ich haltlos in die Tiefe stürzen. Und der Boden war noch lange nicht in Sicht.
"Kein Problem. Du weißt doch, dass ich immer für dich da bin, Emely", tat Mrs. Carter alles bescheiden ab und schenkte mir eines ihrer verständnisvollen Lächeln. Ich versuchte es zu erwidern, doch es missglückte mir ziemlich übel. Bei mir wirkte es eher wie eine grauenvolle, schmerzerfüllte Grimasse. Schnell nippte ich an dem heißen Getränk, um das Ganze zu überspielen und genoss den bitteren Geschmack, der mir im Hals brannte.
"Es tut mir so leid, dass es so kommen musste. Wir wussten alle, dass es nicht leicht für dich werden würde, aber an das mit deiner Oma hatte niemand gedacht. Das ist so schrecklich... Mein Beileid."
Ich kniff gequält den Mund zusammen und nickte nur langsam. An meine Oma wollte und konnte ich gerade nicht auch noch denken. Da war einfach zu viel, das nun über mir zusammenbrach und ich die letzten Wochen über schlicht und ergreifend einfach nur verdrängt hatte. Und ich hatte wirklich geglaubt ich wäre allmählich darüber hinweggekommen. Wie lächerlich!
Schnell fuhr Mrs. Carter fort:
"Wir wissen alle ja bereits schon seit geraumer Zeit, dass du die Auserwählte bist und es hat mir immer weh getan zu sehen, wie du allmählich erwachsen wurdest. Ich hätte dir das hier so gerne erspart", seufzte Mrs. Carter erschöpft auf und trank ebenfalls einen großen Schluck ihres Getränks. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie alt sie geworden war. In meiner Erinnerung war sie noch immer die hübsche, junge Frau, wie ich sie damals in der fünften Klasse kennengelernt hatte. Eine Frau voller Elan und Freude, die zusammen mit ihrem Mann ein traumhaftes Paar abgab. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die Zeit allmählich Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen hatte. Nun konnte ich jedoch einige Sorgenfalten darin ausmachen und ihre klaren, grün-blauen Augen wirkten auf einmal sehr müde.
"Das ist nicht ihre Schuld. Niemand kann etwas dafür, dass es ausgerechnet mich getroffen hat", tat ich ihre Bedenken erschöpft ab. Ich hatte mich eindeutig schon einmal besser gefühlt. Das hier war so unglaublich anstrengend.
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I'm a Dreamer - Erkenntnis
Science FictionJeder kennt sie, jeder beneidet sie, jeder hasst sie. Die Dreamer. Menschen, die aussehen wie du und ich und es doch nicht sind. Menschen, die die Gabe haben, sich in deine Träume zu schleichen und dich dort zu verletzten, wo du es am wenigsten erwa...