Kapitel 32

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Tia

Ich sah die hellvioletten Flecken an meinem Hals... Doch ich sah mich nicht.

Ich sah das Blut, welches sich zu meinen Füßen in der Dusche sammelte... Doch ich sah es nicht.

Ich spürte meine inneren Wunden... Und doch spürte ich mich nicht.

Zusammengekauert saß ich auf dem Boden, der kalten, nassen Kacheln unserer Dusche. Wasser floss über meinen Kopf, über meinen Körper... Über mich.

Es tat weh und gleichzeitig nicht. Ich war da und gleichzeitig war ich weit weg. Weit weg, von dem was gerade passierte.

Weit weg von dem, was Daxton mir angetan hatte.

Bleib bei ihm! Bei ihm bist du sicher...

Jarik's Worte drangen immer wieder, durch den Nebel und die völlige Gefühlslosigkeit, in meinen Kopf.

Bei ihm bist du sicher...

Jarik hatte Daxton vertraut. ICH hatte Daxton vertraut! Ich sollte bei ihm sicher sein...

...und dann vergewaltigte er mich.

Doch er vergewaltigte nicht nur meinen Körper, sondern auch meine Seele. Und während ich nur Taubheit und Leere verspürte, spürte ich gleichzeitig auch den Schmerz.

Nicht den Körperlichen! Sondern viel mehr den Schmerz des Verrats.

Daxton hatte mich verletzt. Er hatte sich an mir vergangen... Und dabei zeigte er weder Reue, noch Schuldgefühle, als er sein Sperma in mich spritzte, als wäre ich ein lebloses Gefäß.

«Hol dir die Pille-danach. Ich habe keine Lust, dass du mein Balg bekommst!» Waren die einzigen Worte, die er an mich richtete, als er mit mir fertig war.

Nachdem er mich benutzt und schmutzig zur Seite warf, dann einfach verschwand und ich mich unter starken Schmerzen ins Badezimmer schleppte.

Er hatte mich innerlich so stark gebrochen, dass ich beinahe so viele Schmerztabletten nehmen musste, dass ich fast ohnmächtig wurde.

Doch leider wurde mir nicht einmal, das gewährt.

Stattdessen blieb mir nichts Anderes übrig, als in die Duschkabine zu kriechen und dabei zu hoffen, dass das Wasser alles wegspülen würde.

Die Wunden. Das Blut. Sein Gestank und seine Spuren.

Das heiße Wasser sollte mich wärmen. Mich trösten. Mich wenigstens verbrennen, damit ich etwas spürte.

Aber es war kalt... Kalt für mich und es machte mich taub, meinen Empfindungen gegenüber.

Außer den Empfindungen gegenüber meines Sohnes!

Ich wusste nicht, wie lange ich dort hockte. Aber ich wusste, dass ich mich beeilen musste. Dass ich mich wieder herrichten musste. Und dass ich wieder eine Fassade aufsetzen musste.

Ansonsten würde Jarik etwas merken. Und Théo würde sterben... Einfach nur weil ich nicht stark genug war, um mich zusammenzureißen.

Also nahm ich all meine Kraft zusammen, stand schwankend auf und drehte das Wasser wieder ab.

Daxton hatte es größtenteils vermieden, mir äußerliche Spuren zu verpassen. Und dennoch wickelte ich das Handtuch, als eine Art Schutz um mich. Um meinen Körper zu verstecken.

Erneut sah ich meinem Spiegelbild entgegen.

Glanzlose, stumpfe Augen blickten mich an. Und erst zu spät realisierte ich, dass das meine eigenen Augen waren.

Blässe und dunkle Ringe unter meinen Lidern vervollständigten mein Bild...

Das Bild von mir. Welches sich nicht länger richtig anfühlte. Es wirkte verzerrt und als ich meine Haare betastete wusste ich, was falsch war.

Sie waren Schuld! Sie waren daran Schuld, dass er mich zu Fassen bekam.

Sie müssen weg!

Mein Gehirn arbeitete wie auf Autopilot, als ich die Schublade unter dem Waschbecken öffnete und eine Frisörschere hervorholte. Sie diente eigentlich nur dazu, um Théo die Haare zu schneiden.

Aber nun... brauchte ich sie selbst.

Ich fühlte nicht einmal ein Zittern. Oder Angst. Oder Reue.

Ich fühlte absolut gar nichts, als ich meine hüftlangen Haarsträhnen nahm und sie abschnitt. Alle. Und ohne zu Zögern.

Bis sie nur noch knapp meine Schultern berührten...

Eine emotionale Fratze sah mir entgegen.

Vielleicht war ich jetzt zu hässlich für ihn, als dass er mich je wieder berühren würde.

Doch diese Hoffnung besaß ich schon gar nicht mehr. Selbst mit den Haaren, die nun wie Fransen auf meinen Kopf wirkten, würde er es immer wieder tun.

So hatte er es mir versprochen...

Ein heller Schrei eines Kindes, riss mich aus meiner Starre. Die Schere viel klappernd in das Waschbecken, als ich sie losließ und schweren Schrittes zurück ins Schlafzimmer ging.

Die Geräusche kamen von Théo und stammten aus dem Babyphone, welches immer noch eingeschalten auf meinem Nachttisch stand.

Er war aufgewacht... Und ich war immer noch seine Mutter. Ich hatte Verantwortung. Ich musste mich um ihn kümmern!

Und als ich sein Zimmer betrat, sah er mir aufrecht stehend, bereits mit verheultem Gesicht entgegen.

Ohne auch nur eine Sekunde länger abzuwarten, ging ich zu ihm und hob ihn aus seinem Bettchen. Sofort schlangen sich seine kleinen Arme um meinen Hals und spendeten mir dadurch auf ganz eigene ihre Art und Weise, Trost.

«Théo.» Flüsterte ich leise und spürte, wie er sich bereits wieder beruhigte. Zudem merkte ich, dass seine Symptome nicht schlimmer geworden waren und er nur geschrien hatte, weil er alleine aufwachte.

Nun war ich ja da, mein Baby.

Ich drückte ihn so eng an mich, wie möglich. Und schnell spürte ich, wie er langsam wieder einschlief.

Seine Tränen waren versiegt, doch als ich mich mit ihm, auf den Armen, zu Boden sinken ließ und meinen Rücken an der Wand anlehnte, flossen stattdessen bei mir die Tränen.

«Es tut mir leid...» Ich roch an seinem Haar und atmete den tröstlichen Geruch meines Kindes ein. «Es tut mir leid, dass ich nicht stärker war.»

Und dann weinte ich.

Ich weinte solange, bis ich Jarik's Auto in der Auffahrt hörte und ich wusste, dass ich nun nicht mehr weinen dürfte.

Keinen Schmerz zeigen dürfte.

Und erst recht keine Gefühle...

Her Man. (Mafia)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt