Verzweiflung

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Es vergingen die nächsten Wochen. Giyuu traf sich jeden Morgen mit Sanemi. Sie fischten, gingen auf die Felder, in den Wald oder auch auf den Markt. Der größere zeigte Giyuu immer neue Sachen, zum Beispiel Jagen oder auf dem Markt Wäre verkaufen, doch am liebsten zeigte er ihm die Tiere des Waldes. Er mochte es, die leuchtenden Augen des kleineren zu sehen, wenn er die Füchse, Dachse oder Feldhasen beobachtete.
Und auch Giyuu fühlte sich mit dem weißhaarigen sehr wohl. Die ersten Tage war er noch Recht schüchtern und zurückhaltend, doch mit der Zeit änderte sich das. Er würde mutiger, fröhlicher und ausgeglichener. Er bekam endlich das Gefühl, nicht mehr der Außenseiter zu sein und einen wirklichen Freund an seiner Seite zu haben. Und das machte ihn glücklich. Denn Sanemi war nicht nur ihrgend ein Freund für ihn- er war sein bester Freund.

Gerade saß er mit ihm wieder am Flussufer und beide ließen die Beine im Wasser baumeln. Giyuu hatte sich gegen die Schulter des größeren gelegt, da er von dem vergangenen Tag etwas müde war. Sie waren auf den Feldern und hatten den Bauern geholfen, die Ernte einzuholen. Und nun saßen sie am Fluss und angelten. Nun, eigentlich Angelte nur Sanemi, Giyuu döste vor sich hin.

" Hey.", lächelte Sanemi und strich ihm kurz durch die schwarzen Haare. " Hmm?", murmelte Giyuu zurück. Der weißhaarigen lachte leise und blickte wieder auf das ruhige Wasser. " Ich glaube, wir sollten langsam nach Hause. Es wird schon dunkel und du schläfst ja schon beinahe."
" Huh?.... Oh, ich... muss nach Hause, Tsutako macht sich sonst Sorgen." Sanemi nickte. Sie standen auf, nahmen die Angeln und liefen ins Dorf zurück. Sanemi begleitete seinen Freund noch bis nach Hause, dann verabschiedeten sie sich. " Also dann- Bis morgen.", lächelte Giyuu. " Ja. Ruh dich aus. Bis morgen.", grinste Sanemi.

Dann ging er und der Schwarzhaarige betrat das Haus. Er lief ins Wohnzimmer, wo Tsutako bereits auf ihn wartete. Sie saß am Tisch, über ein paar Blätter vertieft und schien sie konzentriert zu studieren.
" Hallo, Tsutako.", machte sich Giyuu bemerkbar. " Oh, schön dass du da bist... Warte, bevor du dich umziehen gehst... Setzt dich bitte einmal, ich möchte etwas mit dir besprechen."

Der kleine nickte und setzte sich ihr Gegenüber. " Ja?", fragte er gespannt. Seine Schwester legte die Blätter beiseite und räuseperte sich kurz.

" Giyuu... Du weißt doch, das wir bis jetzt sehr gut zusammen gelebt haben, doch ich möchte dir mehr geben können. Weißt du... Ich habe mich schon vor einiger Zeit mit einem Jungen Mann getroffen, Mio. Du kennst ihn doch, nicht wahr? Er ist der Sohn des Schmiedes. Er hat dich damals, als du fünf warst, ab und zu auf den Pferden von ihnen reiten lassen. Ja, und genau er hat mich kürzlich gefragt, ob ich ihn heiraten will. Du weißt, ich werde bald 17 und er ist wirklich ein sehr netter und liebenswerter Mann. Er hat vor, nach Tokio zu reisen, nach unserer Hochzeit. Diese wird schon in einigen Tagen stattfinden. Oh, in Tokio wird es dir gefallen. Und Mio will dir dort richtigen Reitunterricht geben. Du wirst sehen, es wird uns um einiges besser gehen, wenn wir in der Stadt leben. Was meinst du?"

Giyuu krallte seine Hände in seinen Haori. Ja, er kannte Mio und er war wie ein großer Bruder für ihn und er freute sich, dass gerade er um Tsutakos Hand angehalten hatte....

Doch... Nach Tokio ziehen? Nein.... Nein, nicht nach Tokio. Das war viel zu weit weg, er würde sein Dorf nie wieder sehen.... Er würde Sanemi nie wieder sehen!!

" Tsutako.... Ich will nicht weg ziehen.", rief er. Seine große Schwester nickte.

" Das dachte ich mir, jedoch hat Mio in Tokio bereits eine Arbeit gefunden und der Umzug steht fest..."

" Nein!! Ich will nicht weg! Ich habe meinen ersten, besten Freund gefunden. Wir kennen uns nun schon seid einem Monat und ich will ihn nicht verlieren. Ich kann nicht weg. Ich will nicht in die Stadt. Dort ist es laut und voll, dort sind keine Wiesen oder Wälder...oder Flüsse, in denen man angeln kann. Und dort werde ich Sanemi nicht mehr sehen."

" Giyuu!" Tsutako stand auf. Sie kam auf ihn zu und umarmte ihn. Dann strich sie ihm über die Wangen, da er zu weinen begonnen hatte. " Ich verspreche dir... Dir wird es in der Stadt mehr gefallen als auf dem Dorf. Dort wird du neue Freunde finden, mit denen du später sogar deine Schulzeit verbringen wirst. Und du wirst dich verlieben, das Mädchen deiner Träume heiraten..."

" Nein.... Tsutako, versteh das.... Ich möchte keinen neuen Freunde. Ich habe Sanemi.... Und er reicht mir vollkommen. Er versteht mich, mag mich so, wie er ist... Und ich brauche kein Mädchen, was ihn ersetzt."

Er befreite sich aus der Umarmung und lief in sein Zimmer. " Ich... Esse heute nichts mehr, ich hab keinen Hunger.... Gute Nacht.", murmelte er. Damit schloss er die Tür.

" Gute... Nacht, Giyuu...", erwiederte Tsutako seufzend.

Giyuu lag auf seinem Futon. Er weinte nicht, er war nicht wütend.... Er fühlte sich leer und hoffnungslos.
Warum war das Leben so ungerecht? Er freute sich wirklich für Tsutako, sie hatte Mio verdient, er war der beste für sie, doch warum musste auch Giyuu dafür ein Opfer bringen? War es so bestimmt?
Tsutako hatte wegen ihm so lange auf eine Chance warten müssen, auf vieles Verzichtet, damit sie ein besseres Leben haben konnte, hart gearbeitet, während schwierigen Zeiten wegen dem kalten Winter, den vielen Regengüssen und der heißen, mörderischen Sonne im Jahr gekämpft, nur um ihm eine schöne Kindheit zu bescheren... Und nun war Giyuus Moment, Uhr das zurück zu geben... Tsutako hatte es verdient, nun ein Leben zusammen mit ihrem zukünftigen Ehemann und ihrem kleinen Bruder zu führen.

Er.... Musste es Sanemi sagen...

Giyuu seufzte.... Er konnte nicht einschlafen, er fand keine Ruhe. Er musste mit seinem Freund sprechen, jetzt. In seinem Zimmer befand sich eine Schiebetür, welche auf die Veranda führte. Wenn er vorsichtig war, konnte er von ihr aus auf die Straße und direkt zu Sanemis Haus laufen. Er war schon einmal bei ihm gewesen, als sie die Sachen für den Markt abgeholt hatten. Die Familie lebte in einem kleinen Haus, doch sie schienen glücklich zu sein.

Der Junge war entschlossen. Er legte ein Kissen unter die Bettdecke, damit Tsutako nicht bemerkte, dass er weg war. Dann öffnete er leise die Veranda Tür und trat nach draußen. Er begann leicht zu zittern, der Wind war sehr kühl. Der Sommer ging ja allmählich vorbei.

Giyuu kletterte über das Geländer auf die Straße. Dann lief er, so schnell er konnte, zum Haus von Sanemi.

Sein Herz raste, Tränen sammelten sich in seinen Augen. Er war nun wütend, verzweifelt und wusste nicht mehr weiter. Wieso nahm er das alles so hin? Er wollte es doch nicht, weshalb hatte er es sich eingeredet, dass es so besser war?
Er würde Sanemi und das Dorf mit alle seinen Menschen nie wieder sehen. Er würde kommentarlos in die Stadt abreißen, in die Schule gehen, eine Freundin finden, danach heiraten.... Nein, so konnte es nicht sein. Er hatte Tsutako gesagt, dass er nicht weg wollte und dass stimmte. Noch vor einigen Wochen wäre ihm der Umzug egal gewesen, doch nun hatte er Sanemi kennen gelernt.... Und er war ihm ans Herz gewachsen. Er wollte ihn nicht zurück lassen.

Keuchend und mit Tränen überatrömten Gesicht blieb er vor der Hütte stehen, in der Sanemi mit seiner Familie wohnte... Doch... Was sollte er nun tun? Klopfen oder rufen ging nicht, er würde alle aufwecken. Und Sanemi würde vielleicht wütend werden, dass Giyuu einfach so im der Nacht zu ihm kam. Also setzte er sich einfach hin, lehnte sich an die Hauswand und begann zu Schluchzen. Er ließ seine Ganze Wut, Verzweiflung und Trauer heraus.

Wie sollte er es ihm sagen? Egal ob heute noch, morgen oder irgendwann?

Doch da ging auf einmal die Tür auf und jemand trat nach draußen....

Sanegiyuu: The way to my heart Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt