Mein Blick schweifte ab, ich richtete meine Augen auf die leere Straße, die sich unmittelbar vor dem Altbau befand. Es wirkte beinahe friedlich, obwohl wir uns mitten in London befanden. „Schatz?", fragte meine Mutter hinter mir und legte die Arme um mich. Ich lehnte mich an sie und genoss den Moment. „Wollen wir weitermachen?", fragte sie. Ich nickte. Eigentlich wollte ich nicht weitermachen, denn ich wollte überhaupt nicht hier sein.
„Ich nehm die", sagte Zayn, mein bester Freund, zu meiner kleinen Schwester Lottie, die gerade mit einer viel zu schweren Umzugskiste kämpfte. „Es ist die letzte Kiste", sagte sie und folgte uns in meine neue Wohnung. Zayn stellte die Kiste ab und wir ließen uns erschöpft auf die Couch fallen. Lottie setzte sich zwischen uns und schlang ihre Arme um mich. „Du wirst mir fehlen, großer Bruder", sagte sie. „Du mir auch", erwiderte ich und zog meine Mundwinkel so weit nach unten, wie es nur möglich war.
Meine Mutter gesellte sich zu uns, sie wirkte traurig. Noch nie zuvor befand ich mich länger als zwei Wochen außerhalb meines Heimatorts. Mit Tränen in den Augen stand ich heute Morgen vor dem Haus, in dem ich aufwuchs und verabschiedete mich von ihm, streichelte über die Haustür. Das mag lächerlich klingeln, doch es fühlte sich richtig an. Ich ließ mit dem Umzug meine Freunde und Familie zurück, die ich künftig nicht mehr annähernd so häufig sehen werde, wie bisher. In London kannte ich niemanden.
„Könnt ihr nicht hier bleiben?", fragte ich meine Familie und meinen besten Freund. „Ach Schatz, das wird eine großartige Zeit, du wirst dich schnell einleben", sagte meine Mutter, während sie mir über die Wange streichelte. Das Einzige, was London für mich zu bieten hatte, war das Kriminologie Studium. „Wir würden langsam die Heimreise antreten", sagte meine Mutter und stand langsam von der Couch auf. Ich lief sofort zu ihr und schloss sie in meine Arme. Lottie schloss sich der Umarmung an. „Ihr werdet mir wirklich fehlen. Danke für eure Hilfe", sagte ich und zog auch Zayn in unsere Gruppenumarmung. „Das ist doch selbstverständlich. Meld dich, wann immer du willst". Ich drückte die drei noch fester in meine Arme, dachte für einen kurzen Moment darüber nach, sie nie wieder loszulassen.
Gemeinsam gingen wir nach unten und ich winkte dem Fahrzeug, das sich langsam aus der Einfahrt entfernte und im Horizont immer kleiner wurde. Ich atmete tief durch und begab mich zurück in meine Wohnung, meine vollständig verlassene Wohnung, die von dem Gefühl der Gemütlichkeit noch weit entfernt war. Ich öffnete die erste Kiste und begann, den Inhalt in den jeweiligen Schränken zu verstauen. Die Wohnung verfügte über zwei kleine Räume, war komplett möbliert. Sie sah toll aus und die Möbel entsprachen genau meinem Geschmack. Die Kostenübernahme für die Wohnung war im Stipendium inbegriffen, andernfalls wäre mir ein Umzug in eine andere Stadt niemals möglich gewesen, da meine Familie nicht über die finanziellen Mittel verfügte und auch das Gehalt meines Nebenjobs niemals ausreichend gewesen wäre.
Nach ungefähr zehn ausgeräumten Umzugskisten gab ich für heute auf. Es war spät und morgen stand mein erster Tag an der Universität an. Ich ging ins Schlafzimmer und begutachtete die Bettwäsche, die zu großen Teilen aus kleinen Blümchen bestand. Die Bettwäsche gehörte meiner Schwester und aus diesem Grund war es meine Lieblingsbettwäsche. Ich kuschelte mich in die Decke und schloss die Augen.
Das Wummern des Basses riss mich aus dem Schlaf. Ich nahm mein Handy und sah auf die Uhr, es war 02:00 Uhr nachts. Genervt richtete ich mich auf und versuchte, die Geräusche zu lokalisieren. Sie schienen aus der Nachbarwohnung zu kommen. Ich wollte einen guten Eindruck in meiner Nachbarschaft hinterlassen, weswegen ich mich entschloss, mein Kissen über den Kopf zu drücken und weiterzuschlafen. Für einen Moment schien dies zu funktionieren, doch der Bass wurde immer lauter. Nachdem ich mich noch eine Weile schlaflos im Bett umher wälzte, zog ich eine Jogginghose und ein T-Shirt über. Ich verließ meine Wohnung und blieb einen Moment regungslos im Hausflur stehen. Die Geräusche kamen direkt aus der Wohnung neben mir. Ich sah auf das Klingelschild, auf dem sich handschriftlich der Name ‚Styles' befand. Ein eigenartiger Nachname.
Vorsichtig betätigte ich die Klingel. Ich fühlte mich äußerst unwohl, als ich noch ein zweites Mal klingeln musste, da zunächst niemand reagierte. Nach der dritten Betätigung der Klingel wurde die Tür von einem Mann geöffnet. Ich musste etwas nach oben schauen, denn er war deutlich größer als ich. Er war lediglich mit einer Jogginghose bekleidet, trug kein T-Shirt. Sein Körper war durchtrainiert, bestand zu großen Teilen aus Tätowierungen. Er hatte lockige braune Haare und strahlend grüne Augen.
„Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte er mit rauer Stimme. „Du wohnst hier?", fragte ich. „Na du scheinst ja von der ganz cleveren Sorte zu sein", erwiderte der Mann vor mir. „Ich bin dein neuer Nachbar", sagte ich. „Und du dachtest dir, dass 03:00 Uhr nachts eine gute Zeit zur Vorstellung wäre? Was willst du hier, kleiner Mann?", fragte er. „Unter normalen Umständen würde ich 03:00 Uhr nachts schlafen, aber der dröhnende Bass aus deiner Wohnung hindert mich daran", sagte ich und verschränkte die Arme. „Du willst mitfeiern?", fragte er. „Mir wäre es lieber, wenn du etwas leiser wärst", sagte ich. „Kein Ding", sagte er.
Ich bedankte mich und lief gerade aus der Wohnung. „Wie ist dein Name?", fragte er mich. „Louis Tomlinson", sagte ich. „Harry Styles. Willkommen in der Nachbarschaft, kleiner Mann", erwiderte er und reichte mir die Hand. „Ich bin nicht klein", sagte ich, schüttelte ihm dennoch die Hand. Zufrieden wandte ich mich von ihm ab und betrat meine Wohnung, verriegelte sie hinter mir und kuschelte mich zurück in mein Bett. Harry hatte die Lautstärke der Musik deutlich verringert. Zumindest für eine kurze Zeit.
Gerade, als ich erneut in den Schlaf fiel, begann das Wummern des Basses erneut. Ich drehte mich auf den Bauch und schrie in mein Kissen. Es war meine erste Nacht in der neuen Wohnung und ich wollte schon jetzt am liebsten die Heimreise antreten. Wie konnte man so rücksichtslos sein. Ich zog mir erneut eine Jogginghose und ein T-Shirt über, verließ erneut meine Wohnung. „Was soll das?", fragte ich Harry, der vor seiner Wohnung an der Brüstung des Treppenhauses lehnte und in Richtung meiner Tür sah. Seine Wohnungstür stand offen.
Er kam einen Schritt auf mich zu, baute sich vor mir auf. „Ich muss zum Spätshop", sagte er. „Und warum musst du mich deswegen wecken?", fragte ich mit deutlich genervtem Unterton. „Du musst fahren, ich bin zu betrunken", sagte er. „Was muss ich?", fragte ich entsetzt und schüttelte ungläubig den Kopf. „Rede ich irgendwie undeutlich?", fragte er. „Ich geh jetzt schlafen. Es wäre lieb, wenn du die Musik leiser machen würdest", sagte ich und lief schnellen Schrittes in meine Wohnung zurück. Er wollte ernsthaft, dass ich ihn zum Spätshop fahre. Abgesehen von dem Fakt, dass ich weder einen Führerschein, noch ein Auto hatte, würde mir nichts ferner liegen.
Der Bass dröhnte weiter und ich schrieb Ohropax auf meine Einkaufsliste, bevor ich das Kissen auf mein Kopf legte und meine Ohren damit zuzudrücken versuchte. Natürlich funktionierte das weniger gut, als gehofft, weswegen ich die restliche Nacht lediglich im Halbschlaf verbrachte. Aus diesem Grund verließ ich am nächsten Morgen völlig übermüdet und schlecht gelaunt das Bett. Ich hasste meinen neuen Nachbarn schon jetzt.
Ich stieg unter die Dusche und versuchte, optisch das Beste aus mir herauszuholen. Die Augenringe sprachen dem jedoch entgegen. Ich zog mir eine einfache Jeans, ein weißes Shirt und schwarze Vans an und setzte meinen Rucksack auf, in dem sich sämtliche Schulunterlagen befanden. Pünktlich 08:00 Uhr verließ ich meine Wohnung.
Aus der Nachbarwohnung hörte ich keine Geräusche mehr, offenbar musste selbst ein nachtaktiver Harry Styles schlafen. Ich lief das Treppenhaus nach unten, als sich hinter mir die Wohnungstür der Nachbarwohnung öffnete. „Tomlinson. Guten Morgen", sagte Harry. „Musst du nicht irgendwann schlafen?", fragte ich. „Hat doch bei dir auch ohne Schlaf funktioniert", sagte er und musterte meine Augenringe. „Danke dafür", sagte ich und drehte mich in Richtung der Haustür. „Wo gehst du hin?", fragte er. „Zur Uni", sagte ich. „Sehr gut, bring mir Zigaretten mit", sagte er und warf mir seine leere Schachtel entgegen, bevor er in seine Wohnung zurückging.
Was. Zur. Hölle.
Ich schmiss die Schachtel zurück in die Richtung seiner Wohnung und sie prallte gegen die Tür, blieb auf dem Boden davor liegen. Auf dem Weg zur Uni rief ich Lottie an und erzählte ihr von meiner Begegnung mit dem neuen Nachbarn. „Oh Lou, das klingt ja schrecklich. Wie sind die anderen Nachbarn?", fragte sie. „Entweder stehen die anderen beiden Wohnungen leer oder sie werden von schwerhörigen Rentnern bewohnt. Anders kann ich es mir nicht erklären, warum ich die einzige Person war, die sich über die Lautstärke beschwert hat", sagte ich. „Mach dir keine Gedanken, er wird ja nicht jeden Tag feiern", sagte sie. Ich hoffe, sie behielt recht. Auf Dauer wäre es nicht auszuhalten.
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Neighborhood | L.S.
FanfictionLouis verfolgt seinen Traum und studiert Kriminologie an der City University in London. Eine neue Stadt und neue Herausforderungen für den jungen Mann aus Doncaster. Es hätte so aufregend sein können, wäre da nicht sein Nachbar Harry, der ihm das Le...