Die restliche Nacht verhielt Harry sich ruhig, sodass ich endlich zu etwas Schlaf kam. Die Angst blieb jedoch bestehen. Als ich an die Wut in seinen Augen dachte, lief es mir eiskalt den Rücken runter. Ich stieg aus dem Bett und begab mich ins Badezimmer. Mehrfach versuchte ich, den Lichtschalter zu betätigen, doch scheinbar war die Glühbirne defekt. Ich ließ die Tür zum Schlafzimmer offen stehen, sodass wenigstens ein kleiner Lichtschein ins Badezimmer kam. Ich wartete, bis das Wasser der Dusche allmählich warm wurde. Vergeblich. Sie blieb eiskalt. Ein perfekter Start in den Tag. Ich verzichtete auf die Dusche, putzte lediglich meine Zähne und zog meine Kleidung an.
Als ich die Wohnungstür öffnete und den Flur betrat, öffnete sich Harry's Wohnungstür ebenfalls und unsere Blicke trafen sich „Willst du dich entschuldigen?", fragte er mich ernst. „Wofür?", fragte ich. „Dass du die Bullen gerufen hast", sagte er. Ich erkannte erneut die angsteinflößende Wut in seinen Augen. „Harry, du bist viel zu laut und dass du gestern in meine Wohnung gekommen bist, hat ein weitere Grenze überschritten. Ich weiß nicht, was dein Problem ist, aber ich habe dir nichts getan", versuchte ich mich zu rechtfertigen. „Okay, dann hoffe ich für dich, dass du dich ohne Strom und Warmwasser in deiner Wohnung wohlfühlst", sagte er und schloss die Tür hinter sich, nachdem er in seine Wohnung zurückging. Harry war dafür verantwortlich, dass ich heute morgen nicht duschen konnte.
Ich stieg in den Bus und fuhr in Richtung der Universität. Meine Gedanken kreisten sich um Harry und was ich tun könnte, damit sich unser Verhältnis entspannen könnte. Ich habe ihm wirklich nichts getan und ich verstand nicht, warum er es so auf mich abgesehen hat. Es war nicht das erste Mal, dass ich zum Opfer von einem Menschen seines Charakters wurde. In meiner Heimatstadt spielte ich Vereinsfußball und der Kapitän unserer Mannschaft machte mir über Jahre das Leben zur Hölle. Scheinbar zog ich solche Menschen magisch an.
„Louis!", rief Jacob mir zu, als ich gerade die Universität betrat. „Hallo", erwiderte ich. „Was tust du hier? Deine Vorlesungen fallen doch aus", sagte er und ich sah ihn verwundert an. „Meine Vorlesungen fallen aus?", fragte ich nach und er nickte. Ich sah auf mein Handy und entdeckte tatsächliche eine Nachricht, in welcher stand, dass in der aktuellen Woche krankheitsbedingt keine weiteren Vorlesungen stattfinden würden. Super. Ich hatte also fünf freie Tage, ohne dass ich mit ihnen etwas anzufangen wusste. Enttäuscht seufzte ich. „Das ist doch kein Problem. Wenn du magst, zeig ich dir die Stadt", sagte Jacob. Ich nickte. Weder kannte ich die Stadt, noch andere Menschen, mit denen ich hätte meine Zeit verbringen können.
Wir gingen zu seinem Fahrzeug, an dem er mir die Beifahrertür öffnete und mich einsteigen ließ. Ich erzählte ihm auf der Fahrt von Harry, dem gestrigen Abend und dem darauffolgenden Morgen. Das Ganze lief aus dem Ruder und ich brauchte dringend einen Rat. „Scheint, als wöllte er deine Aufmerksamkeit", sagte Jacob. „Warum sollte er meine Aufmerksamkeit wollen?", fragte ich nach. „Vielleicht ist er verliebt", sagte er. „Das ist Quatsch, Harry steht auf Frauen und kann mich nicht leiden. Das hat er mir mehr als einmal gezeigt", erwiderte ich. „Und wie ist es bei dir?", fragte er. „Wie ist was bei mir?", fragte ich ihn irritiert. „Stehst du auch auf Frauen?", fragte Jacob mich, während er zu mir sah und dabei die Straße aus dem Blick ließ.
Die Frage warf mich für einen Moment aus der Bahn. Wir kannten uns kaum und auch, wenn wir uns gut verstanden, haben wir uns nie über derart private Dinge unterhalten. Warum wollte er also wissen, woran ich interessiert sei. Es sei denn, er hätte Interesse an mir, aber warum sollte er das haben? Ich bin 17 Jahre jünger als er und habe nichts vorzuweisen. Er hingegen war erfolgreich, sah wunderschön aus und verfügte offenbar über die finanziellen Mittel, um nicht von einem Stipendium abhängig zu sein.
„Möchtest du die Frage nicht beantworten?", fragte er, nachdem ich mich in meinen Gedanken verloren und noch immer nicht geantwortet habe. „Ich... Also... Ich bin nicht... Nicht an Frauen interessiert", sagte ich deutlich hörbar eingeschüchtert. „Gut zu wissen", sagte er und lächelte mich von der Seite an. „Wo fahren wir eigentlich hin?", fragte ich ihn, um schnell vom Thema abzulenken. „Wir machen eine Tagestour durch London, beginnend am Buckingham Palace", sagte er.
Der Tag verging wie im Flug, sodass langsam bereits die Dunkelheit über uns einbrach. Wir standen gerade vor unserem letzten Ziel, dem London Eye. Jacob sagte, er hätte sich das Beste für den Schluss aufgehoben und dass die Aussicht bei Nacht am Schönsten sei. Wir stiegen in einer der Gondeln ein und starteten unsere Fahrt. Er hatte nicht zu viel versprochen, die Aussicht war fantastisch. Mit leuchtenden Augen bestaunte ich London von oben, als Jacob seinen Arm um mich legte und mich näher an sich zog. Unbewusst riss ich die Augen auf und spannte mich sofort an.
„Alles okay bei dir?", fragte er mich. „Ja", antwortete ich mit leicht zittriger Stimme. Ich wusste nicht, was gerade passierte, aber es überforderte mich. Das letzte Mal, dass eine Person Interesse an mir zeigte, war Jahre her. „Warum spannst du dich dann so an?", fragte er. „Es ist... Es ist ein bisschen... Unbehaglich", gab ich stammelnd zu, denn das war es tatsächlich. „Warum unbehaglich? Weil ich älter bin?", hakte er nach. „Unter anderem. Wir kennen uns kaum und du bist mein Dozent", sagte ich. „Für mich persönlich stellt nichts davon ein Problem dar", sagte er. Meine Atmung wurde zunehmend schneller und mein Körper begann leicht zu zittern.
Er nahm seinen Arm von meinem Körper und rutschte ein Stück von mir weg, als die Gondel den Endpunkt erreichte und wir nach draußen gingen. „Sorry", sagte ich. „Kein Problem, ich werde dich zu nichts zwingen. Aber du gefällst mir, das solltest du wissen", sagte er und wir spazierten noch etwas am Ufer der Themse entlang. Zayn sagte immer zu mir, ich solle spontaner werden und nicht alles ständig hinterfragen. Hätte er die Situation in der Gondel beobachtet, hätte er mir vermutlich eine Standpauke gehalten. Mein großes Vorbild war offensichtlich interessiert an mir und ich verhielt mich lächerlich. Ich war unsicher.
Als wir den Rückweg antraten und arm Ufer zurück zum Fahrzeug spazierten, fasste ich all meinen Mut zusammen und griff nach seiner Hand. Unsere Finger verflochten sich sofort und ich kam nicht umhin, über beide Ohren zu grinsen. „Da wird aber jemand übergriffig", sagte Jacob lachend und zog mich an meiner Hand näher an ihn heran. Wir stiegen in sein Fahrzeug und er hielt wenige Minuten später vor meinem Wohnhaus an.
„Willst du mich noch herein bitten?", fragte er, als wir gerade aus dem Fahrzeug stiegen, doch ich schüttelte instinktiv den Kopf. So weit war ich unter keinen Umständen. „Das ist etwas zu früh", sagte ich, woraufhin er nickte. „Dann lass mich dir einen Gute - Nacht - Kuss geben", sagte er und presste unvermittelt seine Lippen auf meine. Es dauerte einen Moment, bis ich den Kuss erwiderte und er mit seiner Zunge in mein Mund fuhr, während er eine Hand in meinen Haaren vergrub.
Ich versuchte, mich fallen zu lassen, was mir nicht vollständig gelang. Es fühlte sich eigenartig an, ich verspürte kein Kribbeln im Bauch. Als wir uns lösten, spürte ich dafür das Gefühl beobachtet zu werden. Ich drehte mich zur Seite und blickte genau zu Harry, der gerade auf dem Balkon stand und rauchte. Er sah mich emotionslos an. „Das war ein schöner Tag", sagte Jacob und sofort drehte ich mich wieder zu ihm und nickte ihm zu. „Danke", sagte ich und schloss die Haustür auf.
„Warum lässt du deinen Sugar - Daddy nicht mit nach oben? Hast du Angst, er könnte von der Blümchen Bettwäsche abgeschreckt werden?", fragte Harry, der im Rahmen seiner Wohnungstür stand und mich beobachtete, während ich die Treppen nach oben kam. „Die ist von meiner Schwester", murmelte ich wütend vor mich hin und lief an ihm vorbei. „Louis?", fragte er, doch ich ignorierte ihn, schloss meine Wohnung auf und ließ die Tür hinter mir zufallen.
Meine Kleidung stapelte ich auf einem Stuhl und begab mich direkt unter die Dusche. Das Wasser war noch immer kalt. Ich wickelte mir ein Handtuch um die Taille und lief zu Harry's Wohnung. Er öffnete die Tür nach der ersten Betätigung der Klingel. „Kannst du bitte mein Warmwasser wieder anstellen?", fragte ich leise, während er mich von oben bis unten musterte. „Hätte nicht gedacht, dass du tätowiert bist", sagte er, anstatt auf meine Frage einzugehen.
„Harry, bitte. Ich will duschen", sagte ich. „Warum gehst du nicht bei mir duschen?", fragte er, öffnete seine Tür und trat zur Seite. „Ich möchte bitte bei mir duschen. Mit warmen Wasser. Bitte", sagte ich, versuchte so ruhig wie möglich zu bleiben. „Was geht zwischen Sugar - Daddy und Zwerg?", fragte er. „Ich bin kein Zwerg. Ich bin normalgroß. Du bist einfach nur riesig", sagte ich und merkte selbst, dass ich mich dumm anhörte. Ich sollte Harry's Beleidigungen einfach ignorieren.
Er reagierte nicht auf meine Aussage, wir standen uns stattdessen kommentarlos gegenüber, bis er plötzlich nickte. „Gib mir zehn Minuten, dann sollte es wieder laufen", sagte er. „Danke", sagte ich und stapfte zurück in meine Wohnung. Ich stand zehn Minuten später erneut unter der Dusche und erfreute mich am warmen Wasser. Wenn er jetzt noch meinen Strom wieder anstellen würde, wäre ich vorerst zufrieden.
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Neighborhood | L.S.
FanfictionLouis verfolgt seinen Traum und studiert Kriminologie an der City University in London. Eine neue Stadt und neue Herausforderungen für den jungen Mann aus Doncaster. Es hätte so aufregend sein können, wäre da nicht sein Nachbar Harry, der ihm das Le...