Kapitel 21 - Du hast meinen Hals angefasst

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„Lou?", fragte Harry zum wiederholten Male, nachdem ich ihm noch immer nicht geantwortet hatte. „Harry, ich kann das nicht. Ich kann nicht über ihn reden", sagte ich leise, beinahe flüsternd. „Vertraust du mir?", fragte er leise. Ich nickte, ohne wirklich darüber nachzudenken. Ich wusste, dass ich ihm vertrauen konnte. Es war jedoch keine Frage von Vertrauen. „Dann bitte, erzähl es mir. Ich habe einmal eine Panikattacke ausgelöst. Ich möchte das nicht noch einmal", sagte er leise, während sein Blick auf den Boden glitt.

Panikattacke. Ich hatte mir schon gedacht, dass es eine Panikattacke gewesen sein muss. Es ausgesprochen zu hören, war nochmal etwas anderes. Es klang beinahe nach einem psychischen Problem, was ich mir die letzten drei Tage auszureden versuchte. Mehr oder weniger erfolgreich. Ich schüttelte noch einmal den Kopf. „Ich möchte, dass das mit uns beiden funktioniert. Aber das kann es nicht, wenn ich nicht weiß, was eventuelle Auslöser sein könnten", sagte er. Seine Stimme klang zittrig, er wirkte viel unsicherer als sonst.

„Du hast meinen Hals angefasst", sagte ich leise. Ich spannte mich sofort an. Harry nickte leicht. „Was hat er mit deinem Hals gemacht?", fragte er. „Ich hab keine Luft mehr bekommen. Er hat nicht aufgehört, meinen Hals zuzudrücken. Ich dachte, dass ich sterben würde", sagte ich ihm und war überrascht über mich selbst, dass ich tatsächlich im Begriff war, mich ihm zu öffnen. Harry beobachtete mich, hörte mir zu. Ich fuhr fort. „Er hat mich durch den Hausflur gezogen und immer wieder zugedrückt". Ich erzählte ihm vom Öffnen der Haustür, bis hin zum Treppensturz jedes Detail. Es fiel mir schwer, ich machte immer wieder Pausen zwischendurch um mich sammeln zu können.

„Harry, ich hatte Angst. Panische Angst", gestand ich. Harry wollte gerade aufstehen und auf mich zukommen, doch hielt sich selbst zurück und setzte sich wieder auf die Couch. „Er hat deine Tür eingetreten. Hat die Aufmachung unseres Dates gesehen und gefragt, ob wir etwas miteinander haben. Ich habe das verneint, dann wollte er mich in dein Schlafzimmer ziehen. Er wollte mich...". Meine Tränen liefen unaufhörlich über mein Gesicht, meine Stimme brach immer mehr. Harry's Tränen liefen ebenfalls. Ich kam irgendwann am Ende der Erzählung an und atmete tief durch. „Danke für dein Vertrauen", sagte er.

Ich bewegte meinen Körper langsam in seine Richtung, legte meinen Kopf auf seinen Schoß und winkelte meine Beine an. Wir sahen uns schweigend in die Augen, uns beiden liefen noch immer die Tränen. Ich nahm seine Hand und führte sie vorsichtig an meinen Hals, ließ sie kurz darauf los. Harry streichelte ganz sanft über die Haut und ich schloss die Augen, atmete tief durch. Mit jeder Berührung löste sich meine Anspannung allmählich. Meine Angst verflog nicht vollständig, aber sie wurde besser. Harry passte auf mich auf.

Allmählich richtete ich mich auf und drehte mich zu Harry, bevor ich ihn in meine Arme schloss. „Es tut mir so leid, was dir passiert ist, mein Liebling", sagte er, woraufhin ich mich von der Umarmung löste. „Liebling?", fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen nach. „Nicht gut?", fragte er etwas unsicher. „Gefällt mir besser als Zwerg", erwiderte ich und konnte so zumindest etwas die Stimmung lockern.

Es tat überraschend gut, über die Geschehnisse zu reden. Natürlich half es mir nicht bei der vollständigen Überwindung, aber es war schön, sich jemandem anzuvertrauen. In Harry's Gegenwart war ich stärker, er gab mir die nötige Sicherheit. Die letzten drei Tage ohne ihn waren schrecklich. Ich fühlte mich allein und äußerst unwohl, konnte kaum noch schlafen. Nachdem ich ihn einen gesamten Tag ignoriert hatte, traute ich mich nicht mehr auf ihn zuzugehen. Ich hatte Angst, er könnte es nicht verstehen, hatte Angst davor, er wollte nie wieder mit mir reden.

„Kannst du mir einen Gefallen tun, Lou?", fragte er. Ich nickte, während ich mich an ihn lehnte. „Laut bitte nicht mehr weg. Lass uns auch in so einer Situation miteinander reden. Die letzten drei Tage waren schrecklich, ich war krank vor Sorge. Lou, ich verspreche dir, dass ich immer für dich da sein werde, aber bitte nimm das Angebot auch an", sagte er. „Es tut mir leid, Harry. Ich bin schrecklich, du hast was Besseres verdient", sagte ich leise, denn es war wahr. Und das wussten wir beide. „Du bist das Beste, was mir jemals passiert ist. Du bist nicht schrecklich, ganz im Gegenteil. Aber friss bitte nicht alles in dich rein". „Warum tust du dir das an, Harry?", fragte ich ihn. „Da würden mir einige Gründe einfallen", sagte er mit einem leichten Schmunzeln und zog mit seinem Zeigefinger mein Kinn ganz langsam und sanft nach oben, sah mir direkt in die Augen.

Als ich mit dem Kopf nickte, um ihm zu signalisieren, dass es okay ist, verband er unsere Lippen miteinander. Der Kuss fühlte sich viel intimer als zuvor an. Ich fühlte mich geborgen wie nie. „Ich würde dir niemals wehtun", sagte er, als wir uns wieder voneinander lösten. „Danke Harry. Danke für alles. Und entschuldige bitte, dass ich unser Wochenende kaputt gemacht habe", sagte ich ihm. Ich fühlte mich schuldig. „Entschuldige dich nicht für etwas, was du nicht beeinflussen kannst".

„Ich hol kurz Zayn", sagte ich und stand von der Couch auf. „Er ist doch vorhin gegangen?", fragte Harry, doch ich schüttelte den Kopf. „Er hätte mich niemals mit der Situation allein gelassen", sagte ich und öffnete die Wohnungstür. Ich sah meinen besten Freund an, der an der Brüstung gegenüber meiner Wohnungstür lehnte. „Habt ihr euch wieder lieb?", fragte er sanft lächelnd. Ich nickte zögerlich, versuchte ebenso zu lächeln. Zayn setzte sich zu Harry auf die Couch, ließ jedoch zwischen ihnen einen Platz für mich frei, den ich sofort einnahm und mich wieder an Harry lehnte.

„So, jetzt bin ich einmal hier. Was wollen wir machen?", fragte Zayn und unterbrach das peinliche Schweigen, was zwischenzeitlich entstanden ist. „Ihr könntet heute Abend in den Pub kommen, ich habe einen Auftritt", sagte Harry. „Und was machen wir bis dahin?", fragte Zayn weiter. „Wollen wir einfach spazieren gehen?", fragte ich. „Das ist eine Sache zwischen euch beiden, ich würde hier warten und dann gehen wir gemeinsam los. Okay?", fragte er. Ich nickte ihm zu und zog meine Jacke und meine Schuhe an.

Die Stimmung zwischen Harry und mir war noch immer etwas bedrückt und ich fühlte mich etwas eingeschüchtert. Ich hatte mich ihm gegenüber geöffnet, was ich nie zuvor getan habe. Ich habe mich angreifbar gemacht und das gefiel mir nicht. „Was geht in deinem Kopf vor?", fragte er. „Irgendwie fühlt es sich eigenartig an, dass du das alles weißt. Nicht einmal Zayn weiß es. Du musst mich für einen kompletten Idioten halten, schließlich bin ich selbst Schuld an der Sache mit Jacob", gestand ich ihm. „Hör auf damit, Louis! Dich trifft überhaupt keine Schuld!", sagte er ernst.

„Doch, Harry. Ich habe mich anfangs drauf eingelassen", sagte ich leise. „Genau. Anfangs. Das hat ihm nicht das Recht gegeben zu tun, was er getan hat. Dich trifft keine Schuld! Er ist der komplette Idiot, nicht du", sagte Harry beinahe noch ernster. „Aber ich hätte es merken müssen", sagte ich. „Was hättest du merken müssen? Dass er so etwas vorhat? Woher hättest du das wissen sollen? Er war dein Vorbild und dieses Arschloch hat das ausgenutzt". Ich nickte zögerlich. „Liebling, dich trifft wirklich keine Schuld", sagte er und streichelte mir durch mein Gesicht.

Wir liefen schweigend entlang der Themse. Es war kalt, doch die Sonne schien. Es war ein wunderschöner Herbsttag. „Harry, es wird niemals komplett einfach mit mir. Bist du dir sicher, dass du dir das freiwillig antun willst?", fragte ich ihn, auch wenn ich Angst vor der Reaktion hatte. Natürlich wollte er sich das nicht freiwillig antun. Niemand, der bei klarem Verstand war, würde das wollen.

Er blieb stehen und griff nach meiner Hand, um mich ebenso zum Stehenbleiben zu animieren. Ich drehte mich zu ihm und sah ihm in die Augen. „Ich weiß, dass es nicht einfach wird. Aber ich weiß, dass du es wert bist", sagte er und presste seine Lippen auf meine. Ich schlang die Arme um ihn und platzierte meinen Kopf in seiner Halsbeuge.

„Ich liebe dich", flüsterte ich.

Neighborhood | L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt