2 | Ballerina

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HAZEL MORILLO

Ich wusste nicht, zum wievielten Mal ich mir die Flüssigkeit in dem kleinen Glas in den Mund kippte, doch mir war im Klaren, dass es seine Wirkung erfüllte und meine Gedanken an Lio gnadenlos verblassen ließ. 

Meine Beine, die sich ehrgeizig durch die Menschenmassen bewegten und sich betäubt anfühlten stießen regelmäßig, gemeinsam mit meinem Oberkörper, an Leute, die ich nicht kannte. Die laute Musik, der Schweiß und der Geruch nach Alkohol um mich herum bildeten eine laute und lebendige Kulisse, durch welche ich mich suchend nach den Toiletten durchdrängelte. Ich hatte Glück, dass ein großes neongrünes Schild über dem Eingang eines Flures hing, sodass es meine Augen nicht übersehen oder gar ausblenden konnten.

Ich lief zügig durch die Menge, bis ich an dem Eingang des kurzen Flurs angekommen war, in dem es schon weniger voll war und ich somit ohne Schwierigkeiten, die richtige Tür fand, welche ich kurze Zeit später aufstieß. Die grellen Lichter, welche in Form von Streifen an der Decke befestigt waren, ließen meine Augen für einen kurzen Moment von den aufblitzenden Lichtern entspannen, jedoch auch leicht brennen, als ob man in die Sonne sah. Meine Schuhe gaben mit jedem Schritt ein deutlich hörendes Aufklacksen von sich, welches, bis ich am Spiegel angekommen war, anhielt. 

Das Bisschen von Schminke, das ich auf meinem Gesicht trug, saß jedoch eigentlich noch sehr gut für die Umstände, außer dass mein Blush bereits etwas verblasst war. Mein Blush ist verblasst. Blush, blasst. Das klingt irgendwie lustig und so -gleich.

Der Alkohol hat mich anscheinend wirklich schon ein wenig verrückt gemacht. Aufatmend kramte ich in meiner Tasche herum. Mein Finger stoßen auf die Hotelkarte, eine Hustentablette, die bereits seit fünf Wochen in dieser Tasche herumgammelte, mein Geld, das Pfefferspray -man weiß nun mal nie was kommt- einen Lippenstift, drei Karamellbonbons und auf mein Handy, dass genau in dem Moment aufleuchtete, soweit ich erkennen konnte.

Von Blush war nichts zu sehen.

Seufzend griff ich nach meinem Handy und sah, dass es sich um eine SMS handelte, die an mich verschickt wurde. Ich hatte vor, auf die App zu klicken, um zu schauen, um was es sich in der Nachricht handelte, doch durch den hohen Anteil Alkohol in mir, wanderte mein Finger stattdessen aus Versehen auf die Telefon-App, die daneben platziert war.

Und dann - blitzte eine Idee in mir auf.

Schlagartig.

Sie war leichtsinnig und kindisch, doch ich denke, dass sie mehr Spaß machen könnte als die gesamten vier Wochen zusammen. Und Spaß ist schließlich das, was ich am meisten brauchte. Besonders nach meiner Trennung.

Man hört oft davon, wie Playboys Mädchen immer wieder hinters Licht führten und ihre Gefühle ausnutzen, als wären sie Spielzeuge, die nach ein paarmal Benutzen nichts mehr wert sind oder Bücher, die, nachdem man sie einmal durchgelesen hat, nicht mehr interessant sind. 

Es wäre also - keine schlechte Sache, das Buch heute von hinten zu beginnen.

Zügig wählte ich einige, zufälligen Ziffern und betätigte die grüne Taste.

Die erste Person, die ich angerufen hatte, war eine ältere Dame, die mich immer wieder gefragt hat, was ich denn sagte und dass sie mich nicht versteht. Hierbei wusste ich nicht, ob ich durch die vielen Shots undeutlich redete oder ob sie einfach leicht schwerhörig ist. Die zweite Person waren vermutlich drei Grundschulklässler, die sich die ganze Zeit beleidigt hatten und sich nicht um den Anruf gekümmert hatten.

Meine Gedanken überschlugen sich mittlerweile fast. Ein Chaos aus den Wörtern „Alle guten Dinge sind drei" bildete sich.

Vielleicht bekomme ich ja nun jemand aus meiner Zielgruppe.

∗ ✾ ∗
UNKNOWN

„Bitte?" fragte ich genervt in mein Handy herein, während ich die eckige Flasche Whiskey mit zwei meiner Finger tonlos auf meinem Schreibtisch drehte und dabei auf die schwarz silberne Uhr starrte, die mit römischen Ziffern glanzlos verziert war. Ich hasste Menschen. Besonders nervige Menschen. Und speziell hasste ich Menschen, die mich nach einem verdammt schlechten Tag belästigten und nicht Ruhe geben wollen.

Meist lasse ich sie töten.

Am anderen Ende der Leitung konnte man ein kurzes, mädchenhaftes Lachen hören. Es klang keineswegs nervig. Es hörte sich eher an, wie der Klang einer Ballerina Statue, die, wenn man an dem Griff drehte, eine ruhige und entspannende Musik von sich gab. Eine Melodie, die man Stunden lang hören könnte.

„Hallo mein Hübscher" tönte eine helle, angetrunkene Stimme aus dem Hörer, die mich für einen Moment aufgrund dessen, wie sie klang, erstarren ließ. Diese Stimme war unglaublich. Sie ähnelte die von einem Engel. Ein Bild kehrte in meine Gedanken, welches davon handelte, wie ein Engel an dem Platz der Ballerina stand und sich hypnotisierend drehte. Im Takt der Melodie.

Eine Melodie, die einen schadenfrohen Unterton hatte...

„Hallo... meine Hübsche"

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Hunting Maze (lovecall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt