29. Lily

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Es war sicherlich nicht mein schnelle Rekord den ich zur Grenze aufstellte, doch erreichte ich sie in einer passablen Zeit. 
Je näher ich der Grenze kam, desto mehr von unseren Werwölfen begegnete ich auf dem Weg. Jared hatte also seinen Job auch schon gut erledigt und das Rudel war informiert und bereit. 
Noch in Wolfsgestalt näherte ich mich zu Darmin, welcher in seiner menschlichen Gestalt da stand und sich mit den ungeladenen Gästen an unsere Gäste unterhielt. 
Er hatte mich natürlich schon bemerkt, genau wie die anderen beiden Alphas und ihr Gefolge. 
Aufmerksam näherte ich mich weiter und setzte mich neben Tyler auf den Waldboden.
,,Seid gegrüßt Luna dieses Rudels", sagte die beiden älteren Herrn vor mir und neigten kurz den Kopf vor mir. 
Auch ich nickte kurz mit dem Kopf, behielt sie jedoch genau im Auge. 
Die beiden Herren waren erkennbar schon etwas älter.
Hatten wir hier vielleicht sogar noch welche der Revolutionsalphas vor uns? Also einen der Söhne von Tylers Vorgänger Mason?
Es könnte jedenfalls vom Alter her passen. 
Sie schwiegen einen Moment lang und schienen wohl darüber nachzudenken, was Tyler ihnen zuvor gesagt hatte. 
,,Alpha, die Menschen sind einfach nicht dafür gemacht, so mit uns zu leben."
,,Das weiß doch niemand. Es hat nie jemand wirklich ausprobiert. Viele Jahrhunderte lang wussten die Menschen nicht, dass wir existieren und dann haben wir sie angegriffen und unterworfen. Es gab einfach keine Zeitpunkt in dem wir friedlich zusammen gelebt haben. Und so sehr ich die Taten und Entscheidungen meines Vorgängers verstehen kann. Auch er hat eingesehen, dass er nicht mehr der Richtige ist für die aktuelle Welt und hat daher an mich abgegeben. Wir wollen eine für alle besser Zukunft haben", führte Tyler seine Seite aus.
,,Aber wie soll das für uns besser sein?", fragte einer der Alphas.
Empört darüber, wie man so blind für die Situation sein konnte, schnaupte ich als Wölfin und wandelte mich in meine menschliche Gestalt zurück. 
,,Als ob das nicht offensichtlich ist!", rief ich den beiden Alphas entgegen. 
Diese hatten sogar wirklich die Dreistigkeit mich verwirrt anzusehen.
,,Hat auch nur einer von ihnen Beiden eine Ahnung, wie viele Gefährten und Gefährtinnen sich Umgebracht haben um eben nicht mit einem Werwolf zu leben? Wie viele Werwölfe niemals mit ihrem zweiten Seelenteil leben konnte und sich zum Teil als Folge ebenfalls das Leben nahmen? 
Die Zahl geht über die letzten dreihundert Jahre in die Zehntausende. 
Die Menschen haben Angst vor uns, Todesangst und sie hassen uns für das was wir ihnen antun."
Sie schwiegen und sahen sich gegenseitig an, doch wirkte keiner von ihnen wirklich überzeugt. 
,,Kleines persönliches Beispiel gefällig?", giftete ich folglich die beiden an.
Sie sahen mich irritiert an. 
,,Werwölfe haben meine eigenen Eltern ermordet. Ihre Tat: zum falschen Moment am falschen Ort sein. Ich selbst bin an diesem Tag fast gestorben, was auch einfach daran liegt, dass die medizinische Versorgung in den Städten eine absolute Katastrophe ist. Und dann erlaubt mir mein wunderbarer Gefährte mein letztes verbliebenes Familienmitglied zu sehen und auf dem Weg nach Hause wird auch sie ermordet ohne echten Grund! Was hat auch nur einer von ihnen falsch gemacht?" 
Immerhin hatte sie so viel Empathie betroffen aus zu sehen. 
,,Heute habe ich mit vielen menschlich geborenen Gefährten gesprochen. Die haben zum Teil aus Angst versucht sich selbst das Leben zu nehmen. Die Fluchtversuche werden ja gar nicht mehr mitgezählt. Auch das was die erzählen was in den Städten abgeht ist erschreckend."
,,Da kann ich nur meiner Gefährtin zustimmen", unterstützte Tyler mich: ,,Man muss es sich einmal vorstellen, dass es eine junge Frau, die alles getan hat ihre Schwester, meine wunderbare Gefährtin, aufzuziehen, nachdem beide ihre Eltern verloren hatten, nicht einmal beschützt hat, dass sie an diesem Tag mein geladener Gast war und nur auf dem Weg zurück zu ihrer Unterkunft war. Ein Werwolf hat sich einfach das Recht raus genommen um eine junge Frau umzubringen und wollte sich mir gegenüber sogar ernsthaft verteidigen, dass die Frau ja keine Gefährtin eines Werwolfs war und ihr Leben daher irrelevant für uns ist. Ich möchte, dass ihr euch einmal vorstellt, dass hätte jemand nach dem Mord an dieser Person so über eure Geschwister gesprochen hätten. Hättet ihr es ernsthaft einfach so mit einem schulterzucken  hingenommen, wie es mein eigener Vater, der der Alpha dieses Werwolfs war, tatsächlich von mir wollte und mir auch noch einreden wollte, dass Menschen gar nicht so enge Beziehungen haben wie wir? Meine Gefährtin hat so unendlich stark unter uns Werwölfen gelitten und trotzdem steht sie jetzt hier als meine Luna. Dass das so ist, ist für mich, rückblickend, eher ein Wunder."
Die zwei Alphas sahen sich an. 
Sie schienen nicht wirklich zu wissen, was sie dazu zu sagen haben.
,,Wir gehen Alpha", sagten sie, wandten sich ab, verwandelten sich in ihre Wölfe und verschwanden mit ihren Begleitern.
,,Sie verstehen es nicht", sagte ich leise und Tyler stimmte mir leise zu: ,,Sie wollen es nicht verstehen. Dann müssten sie sich eingestehen, dass sie in ihrem Leben über solche Sachen hinweg gesehen haben und auch damit falsch gehandelt haben." 


Wolfsseele - unerwartete FeindeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt