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/Am nächsten Morgen/

Mit wachsamen Augen schreite ich den Waldrand entlang. Ich halte inne, um den glänzenden Morgentau zu beobachten und strecke mich ausgiebig, ehe ich meinen Weg fortsetze. Eichhörnchen rennen frohlockend zwischen den Bäumen hin und her und klettern mit Leichtigkeit hinauf als sie mich bemerken. Neugierig schauen sie zu mir hinunter und widmen sich dann ohne jegliche Form von Angst ihrem Spiel zwischen den Ästen. Entzückt beobachte ich sie noch einen kurzen Augenblick und setze dann meinen Weg fort. Die Spuren des Damwilds sind bereits einige Stunden alt. So nah am Waldrand halten sie sich nicht in den Morgenstunden auf. Sie bekomme ich nur tief in der Nacht zu Gesicht und so bleibt mir bloß der Anblick eines Hasen, der erschrocken innehält als er mich sieht, dann aber seinem Tagwerk unbeeindruckt weiter nachgeht. Seit Jahren haben Wölfe hier nicht gejagt. Das spiegelt sich in der ganzen Tierwelt wider und so bleibt mir sogar jetzt in meiner Wolfsgestalt der Anblick dieser nicht verwehrt. Ein Igel kreuzt meinen Weg und ich erinnere mich schmunzelnd daran, wie meine erste Begegnung mit einem solch gut bewaffneten Kerlchen gelaufen ist. Noch bevor mich jemand hat vorwarnen können, war meine Schnauze bereits mit Stacheln übersät. Seitdem bin ich einem Igel nie mehr zu nahegekommen. Ich schlendere auf die Dünen hinaus und konzentriere mich auf meinen feinen Geruchsinn. Immer wieder hat dieser mir verraten, dass sich der ein oder andere Wolf ganz in der Nähe aufhielt. Der Geruch war allerdings bereits wenige Stunden oder Tage später bereits nicht mehr wahrnehmbar und so stellt sich auch dieses Mal heraus, dass es nichts als wandernde Einzeltiere sind, die die Wälder um uns herum durchstreifen. Ich schaue auf das Meer hinaus und genieße dabei den Wind, der durch mein Fell streicht. Ich genieße die Idylle an diesem Ort viel zu selten. Kein Nachbarhaus weit und breit. Der nächste, der sich Nachbar bezeichnen kann, ist Logan. Stolz schaue ich zu meiner Heimat hinüber. Ja, Heimat. Dieser Ort, der mich so vieles gelehrt hat, ist ein zuhause geworden und ich denke nicht eine Sekunde daran, dieses Fleckchen Erde jemals wieder zu verlassen. Neugierig erkenne ich, wie sich die Haustür öffnet und Jayden hinaustritt. Fröstelnd zieht er den Reißverschluss bis zum Anschlag seiner Jacke hoch, sieht sich kurz um und geht dann ohne Umweg zu seinem Motorrad. Er hat meine Entscheidung nicht gut angenommen. Das habe ich auch nicht erwartet und trotzdem geht es nicht spurlos an mir vorbei. Durch Joshua habe ich jahrelang einen guten Kontakt zu ihm gepflegt. Nicht selten habe ich auch ihm von meinen Sorgen erzählt und er hat mir seine, durchaus zu hinterfragende, Sicht auf die Dinge mitgeteilt. Wir haben stundenlang gezockt, ich habe mir seine Werke angesehen und diese mit ihm überarbeitet und geflucht haben wir auch gemeinsam. Nun scheint all das verflogen zu sein. Es mag bei vielen Menschen so sein, dass sie bloß etwas Zeit brauchen bis sie wieder zueinander finden. Ob Jayden dazu gehört, weiß ich bis heute nicht. Er hat sich bisher immer sehr klar von Menschen distanziert, die seine Werte nicht vertreten haben oder ihn enttäuschten. Es sah bei ihm immer so leicht aus, sich von Menschen zu trennen. Vertrauen fassen und erhalten gehörte dabei noch nie zu seinen bevorzugten Wegen. Umso mehr hoffe ich, dass unser Familienleben einen Unterschied für ihn ausmacht. Dass er mit mir anders umgeht, wie mit Freunden und Liebschaften. Dass er eines Tages bereit ist, mich anzuhören und wieder zu dem Umgang zurückzukehren, den wir bis zu Zacharys Rückkehr gepflegt haben. Es geht alles viel zu schnell. Auch für meinen Geschmack. Doch jetzt ist sie getroffen, die Entscheidung. Sie bleiben. So lange, wie sie eben wollen. Und das, weil ausgerechnet Bayan sich dafür ausgesprochen hat. Vielleicht ist meine Menschenkenntnis doch nicht so gut, wie ich es mir eingeredet habe. In meiner Welt wäre er schließlich alles andere als dazu bereit, sie an sich heranzulassen. Doch mein Leben steckte schon immer voller Überraschungen und so nehme ich es eben, wie es gekommen ist. Die Begründung, weshalb sie zurückgekommen sind, lasse ich nicht an mich heran. Ich laufe vor ihr davon. Denn wenn ich sie bewusst in meinen Gedanken habe, kann ich sie auch niemandem mit guten Gewissen verschweigen. Teile ich sie aber mit, wird spätestens Joshua überkochen vor Wut und wir hätten wieder die Zustände von damals. Das gilt es mit allem, was mir bleibt, zu verhindern und so lasse ich den Grund, den Zachary mir nannte, einfach fallen. Es wird ohnehin nicht mehr zur Sprache kommen und wenn Joshua zurückgekehrt ist und sich alles etwas beruhigt hat, werde ich ihn in einem geeigneten Moment darauf ansprechen. Falls das dann überhaupt noch eine Rolle spielt. Zachary kommt es sicherlich auch zugute, wenn es nicht mehr von Belangen ist. Ihm kommt es wohl genauso gelegen wie mir, wenn wir es einfach so stehen lassen. Zumindest hoffe ich das. Alles andere, würde zu einer blinden Katastrophe führen. Ich trotte gedankenverloren in Richtung zuhause, während ich Jayden dabei beobachte, wie er am Horizont verschwindet. Auf dem Hof angekommen schüttle ich mich einmal ausgiebig und verwandle mich zurück, ehe ich das Haus betrete und der Duft frisch gebackener Brötchen mir um die Nase spielt. Ethans Hobby, das Backen, ist eine herrliche Eröffnung des Tages und ich genieße es jedes Mal ein wenig mehr, wenn ich die Brötchen auf dem Tisch sehe. „Guten Morgen." Begrüßt Ethan mich mit einem breiten Lächeln auf den Lippen und schwenkt die Pfanne mit dem Rührei währenddessen als habe er nie etwas anderes getan. Ich erwidere seine Begrüßung und nehme Platz. Mit gemischten Gefühlen nehme ich die gedeckten Plätze wahr. Ja, sie bleiben. Das bedeutet zwangsläufig auch, dass wir gemeinsam essen. Ich werde mich daran gewöhnen. Ich muss es. Wir alle müssen es. Irgendwie. „Wann bringst du deine herzallerliebste Freundin mit hierher?" Frage ich neugierig, wie jedes Mal, wenn er sie uns wieder einige Wochen vorenthalten hat. Und wie jedes Mal, verweist er auf ein beliebiges Wochenende. Schmunzelnd nehme ich sein Vorhaben zur Kenntnis. Ich habe schließlich auch keine guten Argumente, die für uns sprechen. Ich meine, diese Kombination an Familienstruktur muss man erstmal erklären können. Sie weiß schließlich nichts von unserem Doppelleben und soll es auch unter keinen Umständen erfahren. Unter Wölfen ist unser Zusammenleben nichts Ungewöhnliches. Unter Menschen ist es dann wohl doch nicht so verbreitet und so bleiben mir die Argumente erstmal aus, bis hier etwas Ruhe und Gewöhnung eingekehrt ist. Der Wille, ein perfektes Bild von seinem Umfeld abzugeben, begleitet ihn schon seitdem ich ihn kenne. Dabei ist er selbst Argument genug, um an seiner Seite zu sein. Ich hoffe für ihn, dass er das noch erkennen wird. „Ich habe heute erst meinen zweiten Tag, warum sollte ich schon Hausaufgaben machen müssen?" Fragt Cash, während er mit Bayan die Treppen hinunterkommt. Ja, genau. Die Beiden kommen gemeinsam nach unten und setzen sich auch nach einer kurzangebundenen Begrüßung nebeneinander an den Tisch. Ethan und ich tauschen irritierte Blicke aus, belassen es aber dabei und lauschen stattdessen dem Gespräch der Beiden. „Weil es in der Mittelstufe niemanden interessiert, was der Schüler denkt." Ich nehme Ethan das Rührei ab und stelle es auf den Tisch, während ich den pessimistischen Satz von Bayan hinunterschlucke und mich frage, warum ich auf die Idee gekommen bin, dass ihm innerhalb weniger Stunden die getroffene Entscheidung zum positiven verändern sollte. Es war wohl die Hoffnung. Die kleine, naive Hoffnung. „Also ich habe Aufjedenfall keine gemacht." Entgegnet Cash mit zuckenden Schultern und staunt nicht schlecht, als er das vielfältige Frühstück bemerkt. „Das ist definitiv besser als halb gefrorenes Wild." Stellt er fest und entlockt Ethan und mir damit ein entzücktes Schmunzeln. Es müssen Welten sein, die dieses Leben, von dem in Alaska unterscheiden. Kein Wunder, dass er kaum abwarten kann und sich gleich darauf von allem etwas auf den Teller schaufelt. Als Zachary wenige Sekunden später das Esszimmer betritt, lässt er es allerdings unberührt und schaut unschuldig zwischen uns hin und her. „Du darfst gern schon essen." Gebe ich ihm zu verstehen, doch Cash schüttelt den Kopf und faselt etwas von, unhöflich. Ich lasse seine Worte stehen und begrüße Zachary mit einem Lächeln. Mehr bleibt mir nicht übrig. Der gestrige Abend steckt mir noch in den Knochen. Er setzt sich an die Stirnkante und wir eröffnen das Essen, woraufhin nun auch Cash sich dem Frühstück widmet. Bayan hat ihn die ganze Zeit irritiert gemustert und auch mir entgeht nicht der Einfluss, der sich durch Zacharys Anwesenheit ergibt. Ich bin mir sicher, dass er ohne sein Auftauchen bereits zu Essen begonnen hätte. Er hat ihn wirklich um hundert Grad gedreht. Das habe ich monatelang nicht geschafft. Ich habe mit Cash jeden Tag erneut darüber diskutiert, dass wir Hausregeln haben und das diese einen Sinn verfolgen. Vielleicht hat Cash bloß seine Zeit gebraucht. Einige Jahre weit ab von der Zivilisation. Sich ausleben können, als das, was er ist. Als Zachary vorschlägt, die Beiden bei der Schule abzusetzen, da er ohnehin in die Stadt wolle um seinen alten Arbeitgeber zu besuchen, schauen beide Jungs mich auffordernd flehend an und ich nehme ihren Wunsch schmunzelnd zur Kenntnis. „Schon in Ordnung, ich bringe sie hin und Ethan holt sie heute Nachmittag ab. Kümmere du dich ganz in Ruhe, um deine Angelegenheiten." Zachary nickt mir dankend zu und ich nehme das aufrichtige Lächeln von Bayan zur Kenntnis. Ja, eine solche Geste ist für ihn schon großes Kino. „Eure Hausaufgaben müsst ihr heute aber ohne Aufsicht machen. Ich muss noch die Werkstatt aufräumen und das ist im Hellen deutlich angenehmer." Mahnt Ethan, während er sich das Rührei in den Mund steckt und mit der Gabel in Richtung der Jungs zeigt. „Können wir die nicht abends machen?" Schlägt Bayan brummend vor und Cash plädiert dafür, sie gar nicht zu machen. „Dann mache ich mit euch Hausaufgaben. Ich habe heute Nachmittag ohnehin Zeit." Bevor ich mich zu diesem Angebot von Zachary äußern kann, stimmt Ethan bereits zu und da ich ohnehin nicht da sein werde, belasse ich es dabei. Ich kenne den Ablauf sowieso. Die Hausaufgaben gebe ich sehr gern an andere ab. Die Diskussionen erspare ich mir.

The Alpha And Me -Death Note-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt