Cash POV
„Guten Appetit." Wünsche ich, höflich wie ich ausnahmsweise bin, und wende mich ab. Das Ziel, nach oben zu gehen, wird von Dads Einwand unterbrochen. Der Einwand besteht aus dem Packen am Nacken und der unmissverständlichen Aufforderung, auf die Veranda hinauszugehen. Das klappt ja heute hervorragend. Nicht. „Hast du mal auf die Uhr geguckt?" Frage ich entrüstet und er entlässt mich aus seinem Griff. „Du hast zwei Stunden gesagt." Er schaut mich an, als seien meine Worte für ihn nicht weiter von Bedeutung. „Und, warst du nach zwei Stunden hier?" Ich verdrehe die Augen und nicke. Er knurrt. Zweifelt meine Antwort an. Glaubt mir schlichtweg nicht. Nichts Neues und trotzdem trifft es bei mir einen wunden Punkt. „Du sagst immer, ich soll ehrlich sein. Also entweder du hinterfragst deine Grundsätze oder lässt meine Antwort als das stehen, was sie ist. Nämlich wahr." Er knurrt zornig, unterlässt es jedoch, eine Diskussion anzuzetteln. Er möchte kein Aufsehen erregen. Nicht unter den Umständen, dass dort drinnen alle beisammensitzen und heile Welt spielen. Sich anzupassen scheint wohl eine bisher versteckte Stärke von ihm zu sein. Zumindest stellt er sich nicht annähernd so blöd an, wie ich es vermutet hatte. „Wie wäre es, wenn du dich an die wenigen Regeln hältst, die es hier gibt? So schwer ist das nicht." Er spricht so leise, wie zuletzt beim Vorlesen einer Gutenachtgeschichte. Ich bin erstaunt, wie ruhig und freundlich er klingen kann. Ich dachte, diese Art ist mittlerweile ausgestorben. Hatte die Hoffnung aufgegeben, er würde noch einmal zu seinem Alaska Ich zurückkehren. Irgendwo dort drin scheint es also doch noch zu sein. Umso bedauernswerter, dass er es nicht zeigt, seit wir dieses Grundstück bei unserer Rückkehr betreten haben. „Was sonst?" Ich gebe zu, die Wut, herbeigeführt durch den Frust, in seinem Gesichtsausdruck amüsiert mich mehr als es sollte. Ich habe nie behauptet ein guter Mensch zu sein. Ein guter Mensch würde es nicht so sehr genießen, andere an ihre Grenzen zu bringen. Ich hingegen lebe beinahe schon davon. Ja, ich genieße es, ihn mit sich kämpfen zu sehen. Wissend, dass er sich wegen den anderen am Riemen reißen wird und ich nichts zu befürchten habe, lehne ich mich an die Hauswand und erwarte eine gescheite Erklärung. „Leben wir wieder wie Tiere im Wald." Brummt er und verdreht die Augen, als ich den Mund öffne. Er ist sich der bodenlosen Argumentation seiner selbst bewusst. Sie hat keinen Wert für mich. „Ich habe kein Problem damit gehabt. Du warst derjenige, der unbedingt hierherkommen wollte." Er atmet tief durch, als würde das etwas an seinem Allgemeinzustand ändern und sammelt sich einen Augenblick, ehe er zu Worten greift. „Nur geht es nicht immer nur um dich. Eines Tages wirst du mir dankbar sein! Und jetzt wasch deine Hände und setze dich zu uns an den Tisch. Ende der Diskussion." Irritiert ziehe ich eine Augenbraue hoch. „Du hast diese Diskussion angezettelt, nicht ich. Wenn es nach mir gegangen wäre.." Ich grinse breit, unterbreche meinen Satz absichtlich und schlüpfe an meinem knurrenden Gegenüber vorbei, nach drinnen und suche das Badezimmer auf.
„Entschuldigt meine Verspätung. Ich esse, selbstverständlich freiwillig und ohne vorausgegangene erzieherische Erpressung, gerne mit euch." Mein engelsgleiches Lächeln schreit nach Sarkasmus. Dad setzt sich an den Tisch und bemüht sich, nicht die Fassung zu verlieren. Hat er wirklich gedacht, ich gehe Hände waschen und setze mich anschließend ohne ein weiteres Wort zu den anderen? Das wäre zu einfach. „Fühl dich nicht dazu gezwungen. Wenn du nicht mit uns essen möchtest, respektieren wir das." Erklärt Mom mitfühlend. Ich setze mich und greife nach einem Stück Pizza. „Keine Sorge. Ich weiß, dass ihr meine Entscheidungen respektiert." Ich grinse bis über beide Ohren. Das IHR habe ich bewusst betont und wären wir Teil eines Comics, würde man spätestens jetzt Dampf aus Dads Ohren sprühen sehen. Köstlich amüsiert beiße ich in die Pizza und bedanke mich bei Ethan für seine Mühe, gemeinsam mit Bayan und mir gekocht zu haben. Ja, ich besitze tatsächlich Manieren.
Wann und wo diese zum Vorschein kommen, ist allerdings von meiner Laune abhängig. Ein Grund mehr dafür, dass sie so selten überhaupt bemerkt werden. „Wie gefällt es dir in der Schule? Hast du bereits Freunde gefunden?" Erkundigt sich Mom und versucht dabei von der Spannung abzulenken, die von Dad ausgeht und bei Joshua auf Belustigung stößt. „Es ist ganz nett. Ich hänge aber lieber mit Bayan und seiner Freundin rum als mit den anderen." Ethan und Mom verschlucken sich und husten im Chor, um nicht zu ersticken. Dad hebt irritiert über meine Aussage eine Augenbraue. Die erste Veränderung seiner Mimik, seit er mich mit seinen Blicken zu erdolchen versucht. Ein Fortschritt, schätze ich. Wenn er bis zum Ende des Essens seinen Zorn abgelegt hat, komme ich vielleicht um eine nachträgliche Standpauke drumherum. Sorry, Bayan. Scheinbar ist dein Privatleben eine Möglichkeit, um Pluspunkte zu sammeln. Der läuft derweil rot an und versucht im Boden zu versinken. „Oh. Ich dachte, ihr wusstet davon." Entgegne ich und lehne mich zurück, um die folgenden Minuten in vollen Zügen genießen zu können. „Ich meine, ich wusste von ihr. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass du dich auf diese Weise für sie interessierst." Richtet Mom sich an Bayan erntet amüsierte Blicke von Ethan und Dad. „Er ist ein Teenie, Heather. Du willst gar nicht wissen, was man in dem Alter schon für Interessen hat." Klärt Ethan auf, verzieht das Gesicht zu einer Grimasse und gibt Dad einen Highfive, der sich das Lachen zu verkneifen versucht. Mom errötet, räuspert sich nervös und konzentriert sich plötzlich sehr dabei, die Pizza zu essen. „Ich finde Lizzy ganz okay. Sie ist hübsch und klug. Redet zu viel, aber damit muss er ja klarkommen und nicht ich." Bayan fällt alles aus dem Gesicht, als ich ihren Namen erwähne und schaut sich hektisch um. Fluchtwege gibt es keine und so sinkt er auf seinem Stuhl hinunter und ich brauche ihm nicht einmal andeuten, womit er das verdient hat. Schließlich kann jeder Trottel eins und eins zusammenzählen und somit die Rache für heute Nachmittag erkennen. Früher oder später hätten sie es ohnehin erfahren. So mache ich es mir zunutze und lenke von der Tatsache ab, dass ich mich in aller Öffentlichkeit vor Joshua entschuldigen sollte. Der legt den Arm um Mom und haucht ihr wieder einen Kuss auf die Wange, während er sie aufzieht und erklärt, dass sie noch viel im Umgang mit heranwachsenden Jungs lernen muss. Ich schaue zu Dad, um mir die Erlaubnis zum Aufstehen zu holen und frage mich, ob der finstere Blick noch aus der Wut stammt, die er gegenüber mir hegt oder doch ein Produkt seiner Eifersucht ist. Nein. Sie liebten sich damals nicht mehr. So hatte er es mir all die Jahre erklärt. Das Gefühl verschwindet irgendwann und es kommt auch nicht wieder. All die Abende, an denen ich es mir gewünscht habe, dass sie sich wieder lieben werden, hat er es mir unermüdlich erklärt. Sie kommt nicht zurück, die Liebe. Niemals. „Hau schon ab." Brummt Dad, als er meinen Blick endlich bemerkt, und ich mache mich schnellstmöglich aus dem Staub. Natürlich nicht ohne Bayan, den ich hinter mir herziehe. Dass er mir einen Beinhaken auf der Treppe stellt, quittiere ich mit einem breiten Grinsen. „Sieh es als Befreiungsschlag. Jetzt kannst du endlich mit ihr schreiben." Sein vielsagender Blick reicht mir als Genugtuung. Meine Rache ist genau da angekommen, wie ich es gehofft habe. Erleichtert schließe ich die Zimmertür hinter mir. Es wird höchste Zeit, dass ich tue, worauf ich Lust habe. Keine Verpflichtungen. Keinen Erwartungen entsprechen. Einfach nur Cash sein. Und das bedeutet in diesem Fall mich auf dem Bett breit zu machen und aufs Handy zu starren. Es ist bereits dunkel als ich aufwache und Dad mich zudeckt. Verschlafen blinzle ich, drehe mich zur Seite und schaue ihm dabei zu, wie er zum Fenster geht und hinaus starrt. „Übst du für das Leben als Statue?" Gähne ich und ernte einen wütenden Blick, der jedoch ausnahmsweise von einem Schmunzeln begleitet wird. „Sei lieber ruhig, sonst schläfst du drüben bei deinem Bruder." Schwerfällig schüttle ich den Kopf. „Du hast die Entschuldigung vergessen." Grinse ich und schließe zufrieden die Augen, mache mich auf dem großzügigen Bett noch breiter als eh schon, während Dad sich mit der Schlafcouch arrangiert, mir anerkennend zunickt und ich zurück in einen tiefen Schlaf falle.
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The Alpha And Me -Death Note-
Loup-garouViele Jahre sind vergangen, seit Cash und Zachary das Rudel verlassen haben. Jeder Einzelne geht anders mit den Ereignissen der Vergangenheit um, was an dem einen oder anderen nicht spurlos vorbei geht. Vor allem nicht dann, wenn die Vergangenheit...