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Bayan POV

Ich blinzle, um die Bilder vor meinen Augen verschwimmen zu lassen. Raufe mir die Haare und ziehe die Decke erneut über den Kopf. Atme tief ein. Halte die Luft an und zähle die Sekunden, ehe ich sie wieder entweichen lasse. Öffne und schließe meine Augen in wechselnden Abständen. Falte meine Hände ineinander und versenke meine Fingernägel in der Haut. Warte auf eine Art Schmerz. Ein Stechen oder Pochen. Irgendetwas. Doch nichts. Es bleibt aus. Auch als ich mir auf die Unterlippe beiße, reagiert mein Körper nicht. Ich setze mich auf. Setze die nackten Füße auf den Boden ab und erwarte ein Gefühl der Kälte, das mich zurück ins Bett drängt. Starre sie eine Weile an, als nichts geschieht. Stehe auf und gehe zielstrebig zum Fenster. Öffne es und klettere ohne zu zögern hinaus. Die Höhenangst, die mich schon beim Anblick des Daches in die Knie zwingt, bleibt aus. Ich löse den festen Griff meiner Hände am Fensterrahmen und hole tief Luft. Sitze da, ohne Halt. Schaue hinunter, ohne Angst. Gedankenverloren lasse ich die Erkenntnis an mich heran und klettere erst zurück in mein Zimmer, als sich unter mir die Haustür öffnet. Ausgiebig mustere ich mich im bodentiefen Spiegel meines Kleiderschranks. Stelle mich nur wenige Zentimeter vor ihn und begutachte jede Pore meines Körpers. Stelle jedoch nichts außergewöhnliches fest. Abgesehen von der Blässe, die mich umnachtet. Jemand trommelt an meine Zimmertür. Müde werfe ich einen Blick dorthin, lasse die Stimme im Außen unbeachtet und werfe mir den tiefdunklen Hoodie über. Gefolgt von der Jeans und meinem Rucksack, den ich schultere. Wieder fällt mein Blick in den Spiegel und streiche mir durch die Haare, als würde das etwas an meinem jämmerlichen Anblick ändern. Verharre länger als es wohl normal wäre und erlöse meine Zimmertür dann von ihrem Schicksal als Musikinstrument. „Bist du schwerhörig, du Spinner?" Keift Cash mich wild gestikulierend an. Ich mustere ihn ausgiebig. Der helle Hoodie, darunter das weiße T-Shirt. Die tiefdunkle, zerrissene Jeans. Schaue in seine Augen. Frage mich, wie man trotz so wenig Schlaf keinerlei Augenringe haben kann. Ich trage sie als stetigen Begleiter mit mir umher unabhängig von meinem stetigen Schlafmangel. Inspiziere dann seine seichten Sommersprossen und frage mich, ob die schwarze Mütze, die seine verstrubbelten Haare versteckt, ihr wohl gefällt. Oder ist es doch eher seine extrovertierte, immerzu gesprächsbereite Art? Ich finde keine Antwort und zwänge mich an ihm vorbei, um ins Bad zu gelangen. Blinzle kaum, während ich meine Zähne putze und anschließend die Haare kämme. Lasse die Bilder vor meinen Augen Achterbahn fahren und gebe mich ihnen hin, während vor der Tür ein weiteres Trommelkonzert beginnt. Ich stehe vollkommen neben mir. Höre die Worte nicht, die gegen die hölzerne Fassade gebrüllt werden und lausche ihnen auch nicht als ich hinaustrete und nun nicht nur in die Augen meines Bruders, sondern auch in die von Mom sehe. Vielleicht sind sie es. Seine eisblauen Augen, die je nach Gemütszustand tiefdunkel oder hell funkelnd ihre Einzigartigkeit unter Beweis stellen. Sie tuscheln darüber auf den Fluren. Die anderen Mädchen. Warum sollte Liz anders denken? Wieder drängle ich mich an meinem Bruder vorbei. Dieses Mal mit der Absicht, die Treppen hinunterzulaufen und aus der Haustür zu stürmen, bevor Zachary mich sieht. Oder besser noch, Joshua mir über den Weg läuft. Zu meinem ganz persönlichen Glück sind es ausgerechnet beide, die ich im Flur antreffe und mir den tiefen Seufzer der außerordentlichen Freude darüber, nicht verkneifen kann. Ohne sie eines Blickes zu würdigen ziehe ich Jacke und Schuhe an und versuche mich an ihnen vorbei, nach draußen zu drängen. Schnaubend verschränke ich die Arme vor der Brust als mein Versuch kläglich an ihrem neu erfundenen Teamwork scheitert. Haben sie ihr Kriegsbeil nun doch begraben und halten in Zukunft Händchen? Lächerlich, wenn Joshua tatsächlich denkt, Mom damit für sich zu gewinnen. Warum sonst sollte er sich ausgerechnet jetzt mit Zachary verbünden und gegen mich stellen? Ich schaue zu ihnen auf und erwarte eine Erklärung. „Du bist suspendiert." Entgegnet Joshua ernst und ich verdrehe erneut die Augen. Das musste ja so kommen. Zugegeben, ich habe keine Sekunde mehr über den gestrigen Tag nachgedacht. Abgesehen von der Tatsache, dass mein Bruder mir eins ausgewischt hat, natürlich. Er kann von Glück reden, dass zu viele wachsame Augen auf uns ruhen. Ansonsten hätte ich ihm spätestens beim Trommelkonzert an meiner Zimmertür eine Verköstigung meiner körperlichen Kräfte gegeben. „Ms. Summer hat mich angerufen." Erklärt Mom, an das Treppengeländer gelehnt. Ich mustere sie desinteressiert und auch wenn sie mir leidtun sollte, geschieht in meinem Brustkorb nichts weiter als das schwerfällig schlagende Herz, das meinen Körper aufrechterhält. Sie hat mehr verdient als das. Als mich. Das kleine Wunder auf tapsigen Pfoten, dass ihr Herz damals eroberte. Wir stürzten sie ins Unglück. Zogen sie tief hinab und konnten ihr wohl bis heute nicht das zurückgeben, was sie uns zuliebe geopfert hat. Vielleicht wäre es besser gewesen, man hätte uns dem Schicksal überlassen. Dann wären wir nicht mehr am Leben. Kollateralschaden. „Ich wollte dich vorwarnen, aber du hast mich ja ignoriert." Brummt Cash leise und zuckt mit den Schultern, als könne er keiner Fliege etwas zuleide tun. Ich pfeife innerlich nach der Wut, die es mir ermöglichen würde, ihm eine runterzuhauen und keinerlei Reue zu empfinden. Doch sie bleibt mir fern. Ich kann nicht einmal ihre Existenz wahrnehmen. In meinem Herzen herrscht nichts als Leere und so stehe ich bloß teilnahmslos da und schaue ihn an. Bereite mich darauf vor, die folgende Standpauke an mir abprallen zu lassen. Doch es geschieht nichts. Mom steht nur da und schaut mich an. Erst als ich mich dafür entscheide, wieder nach oben zu gehen, stellt sie sich mir in den Weg. „Wir machen heute einen Ausflug." Mit verschränkten Armen steht sie da. Wirkt plötzlich so entschlossen wie schon lange nicht mehr. Überzeugt davon, ihr Vorhaben umzusetzen und keine Lücken für Diskussionen zu lassen. „Wenn es sein muss." Brumme ich gleichgültig und versuche mich an ihr vorbeizudrängen. „Jetzt." Setzt sie fort und wäre ich meinen Emotionen noch nahe, hätte man spätestens jetzt alles aus meinem Gesicht fallen sehen. Kann es noch schlimmer werden? Ich nehme die Frage genauso schnell wieder zurück, wie ich sie gestellt habe. Natürlich kann es das. Es ist mein Leben. Mein zerrüttetes, unbedeutendes, kleines Leben. Es würde sich immerzu noch schlimmere Szenarien ausdenken. Ich fordere es besser nicht heraus. Ich seufze, prüfe ein letztes Mal ihre Entschlossenheit und stimme ihrem dämlichen Vorhaben dann kleinlaut zu. Habe ich mit zwei Türstehern im Rücken doch ohnehin keine andere Wahl. Abgesehen davon, dass ich mich Mom nicht widersetzen und sie damit nur noch mehr verletzen will. Sie war ein nicht einkalkuliertes Übel meinerseits. Ich habe nicht gewollt, dass sie verletzt wird. Dann bin ich ihr wenigstens diesen Ausflug schuldig. So schlimm wird es schon nicht werden. Ein Gedanke, der genauso schnell stirbt, wie er aufgekommen ist. Denn als ausgerechnet Cash und Zachary sich uns anschließen wäre ich am liebsten einfach davongelaufen. Stattdessen sitze ich länger als es mir lieb ist mit meinem Bruder auf der Rücksitzbank des Wagens und schaue Mom dabei zu, wie sie sich mit Zachary unterhält. Viel zu enthusiastisch, wenn man mich fragt. Aber wie wohl mittlerweile jeder weiß, fragt mich niemand. Cash tippt die gesamte Fahrt über auf seinem Handy herum. Ich schaue auf meins. Immer und immer wieder. Weiß es doch eigentlich besser und halte mich doch daran fest, es könnte jemand Interesse daran haben mir zu schreiben. Zachary schaut durch den Rückspiegel zu mir. Sieht nachdenklicher aus als ich ihm zugestehen will und erwidere seinen Blick mit einem Mittelfinger. Dann lege ich es weg. Allerdings nur so weit, dass ich jederzeit sehen könnte, wenn mir doch jemand schreibt. Ich schaue aus dem Fenster. Beobachte die vorbeiziehende Landschaft und frage mich, wann es aufhört. Wann wird es mir egal sein? In einigen Tagen? Wochen? Oder wird es Monate dauern? Wann lerne ich, mich nur noch auf mich zu verlassen? Joshua kann es bis heute nicht. Ist viel zu emotional. Er versucht es zwar immer wieder, scheitert dann aber kläglich. Beinahe bemitleidenswert. Wenn ich ihn mögen würde, zumindest. Und Ethan? Niemand spricht über seinen Alkoholexzess. Alle tun so, als ginge es ihm gut. So wie immer eben. Kein Wunder. Tut er schließlich so, als käme er klar. Vielleicht kann er es mir beibringen. Diese Verletzlichkeit auszumerzen, meine ich. Müde schaue ich Cash an als dieser mir in die Seite boxt. Mom erklärt, die Handys einsammeln zu wollen. Während mein Bruder sich sträubt, übergebe ich es ihr ohne weiteres und löse dabei mehr Irritation aus als erwartet. Es macht bei mir ohnehin keinen Unterschied, ob ich es bei mir behalte oder nicht. Es ist nur die naive Hoffnung, die sich an mir festklammert. Nicht mehr und nicht weniger. Auch sie wird eines Tages aufgeben. Es nicht bei mir zu haben beschleunigt diesen Prozess hoffentlich. Cash hingegen diskutiert noch eine Weile, ehe Zachary seine Hand nach ihm ausstreckt und er ohne weitere Widerworte ebenfalls sein Handy abgibt. Was auch immer dieser Kerl mit ihm in Alaska gemacht hat. Es scheint Wunder bewirkt zu haben. Cash ist ein zahmes Haushündchen geworden. „Wir machen Stockbrot, erzählen uns Gruselgeschichten und können uns einen Film ansehen." Schwärmt Mom, während sie zwischen uns hin und her sieht. Wir schenken ihr beide bloß einen skeptischen Blick. Ein Umstand, der sie nicht weiter zu stören scheint. Warum auch? Sie konnte spontan einen Tag frei bekommen und setzt ihr Vorhaben, alles von Grund auf zu verändern, in die Tat um. Ich an ihrer Stelle würde wohl genauso enthusiastisch sein. Abgesehen davon, dass ihr Vorhaben an der Wand zerschellen wird, die Cash und ich zwischen uns hochgezogen haben. Eine, die nicht groß genug sein könnte, wie ich finde. Als wir endlich halten sind wir mitten im Wald. Der einst hergerichtete Parkplatz hat seine besten Tage bereits lange hinter sich. In diese Gegend verirren sich nur selten Wanderer und schon gar keine regelmäßigen Besucher. Dafür ist es viel zu weit ab von jeglicher Zivilisation. Beruhigend. Mit Zachary Sawyer, der mich damals bereits hat töten wollen, mitten im Nichts zu sein. Was auch immer Mom dazu gebracht hat, diesen Ort auszuwählen, es öffnet keine Türen. Stattdessen schwöre ich mir bereits beim Aussteigen, ihn keine Sekunde aus den Augen zu lassen. Man weiß ja nie. „Wir haben etwa einen einstündigen Fußmarsch vor uns." Erklärt Mom und stapft los, ohne unsere Reaktion abzuwarten. Kein Wunder, sie würde ohnehin nur Widerworte ernten. Mit den Händen in den Hosentaschen stapfe ich diesem zusammengewürfelten Haufen namens Familie hinterher und male mir aus, wie erholsam ein Tag in meinem Bett gewesen wäre. Stattdessen bin ich hier. Hervorragend.

The Alpha And Me -Death Note-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt