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„Dort haben wir gekämpft." Erinnert er sich, schlendert zwischen den Bäumen umher und analysiert unsere Wegstrecken von damals. Von einer Nacht, die unser ganzes Leben auf den Kopf gestellt und in Schutt und Asche gelegt hat. Asche, die neues Leben brachte, aber zahlreiche andere nahm. „Hast du jemals welche gesehen?" Ich lege den Kopf schief. „Welche wie uns oder Ethan." Ich schüttle den Kopf. Ich glaube, Enttäuschung in seinen Augen zu sehen, doch seine nichts aussagende Mimik verwirft diesen Gedanken sofort wieder. Es spielt auch keine Rolle. Nichts von ihm spielt eine. Die Welt dreht sich nicht um ihn, obwohl er genauso aus dem Dunkeln aufgetaucht ist, wie sein Vater. Eine Beobachtung, die ich nie für möglich gehalten hätte, würde ich sie nicht selbst täglich machen. Sie alle schauen durch ihn hindurch. Den Jungen, der so unberechenbar schien. Sie alle fixieren den Mann, der sie jahrelang geführt und dann fallen gelassen hat. „Ich habe immer geglaubt, dass Mom mit Ethan zusammenkommt. Als ich klein war, mein ich." Verwundert über den Themenwechsel mustere ich Cash, der sich an einen Baum lehnt und auf die Kleinstadt hinunterschaut. „Ich habe bis vor einer Woche fest damit gerechnet." Er lacht auf. Gleichgültig schaue ich ihn an. Ich bin ein Felsen. Ein verdammt trostloser Felsen mitten im Wald. Mitten im Nichts. Ich sollte mich schämen. Eindeutig. Ich wende den Blick ab. Schlucke die Worte hinunter, die sich mir reflexartig in den Mund gelegt haben und verbanne sie aus meinem Kopf. „Vielleicht war ich auch einfach nur naiv." Er grinst breit, verfolgt das Thema mit einer Leichtigkeit, die mich lange im Stich gelassen hat und schlendert weiter in Richtung zuhause. „Vielleicht waren sie es auch, ohne dass du es mitbekommen hast." Prüfend schaut er zu mir zurück und lässt sich von meiner missmutigen Miene nicht von seiner Detektivarbeit abbringen. „Ist doch egal, oder nicht?" Entgegne ich gleichgültig und sehe Cash dabei zu, wie er mit den Schultern zuckt und das Thema gezwungenermaßen verblassen lässt. Er hätte sich vermutlich noch länger darüber unterhalten, doch für mich macht es keinen Sinn, über so etwas zu philosophieren. Es ist nun einmal nicht so. Punkt. „Hier haben wir immer geschnitzt. Du Tiere und ich Waffen." Er deutet auf einen Baum. Wieder die emotionslosen Erinnerungen. Wieder nicke ich bloß. „Gibt es sie noch? Die Schnitzereien." Ich schüttle den Kopf. Enttäuschung blitzt in seinen Augen auf. Was hat er gedacht? Dass ich sie in einer Kiste aufbewahre und regelmäßig ansehe? Wohl kaum. Alles an Erinnerungen habe ich mit der Zeit verbrannt. Es hat mich zerfressen, sie zu sehen. Aus den Augen aus dem Sinn. Allerdings nicht aus dem Herzen. Die Schmerzen blieben. Nur die Triggerpunkte verringerten sich. Es ist immer noch so surreal gemeinsam mit ihm hier entlangzulaufen. Ich meine, ich habe jahrelang auf ihn gewartet und gerade als ich damit aufgehört habe steht er plötzlich da. Wie geht man damit um? Ich meine, was soll ich mit ihm hier? Einen Neuanfang schaffen? Doch für wie lange? Ein paar lächerliche Tage, bis er dann wieder verschwindet?

"Warum seid ihr zurückgekehrt?" Platzt es aus mir heraus und der noch zuvor so lockere Cash wird plötzlich eiskalt. Seine finstere Miene mustert mich eine Weile stumm. Ich kann aus ihr nichts ablesen. Nicht erkennen, woran oder denkt oder was er wohl fühlt. „Weil sie uns fortgejagt haben." Emotionslos starrt er durch mich hindurch und ich frage mich, ob es an mir liegt, dass ich ihn nicht lesen kann. „Lass uns zurückgehen." Knurrt er und stapft los, ohne auf eine Antwort von mir zu warten. Ich schaue ihm eine Weile nach. Frage mich, was er zu verbergen hat. Als ich zu ihm aufgeschlossen habe, suche ich nach passenden Worten. Worte, die ihn dazu bringen, mir alles zu erzählen. Was genau passiert ist und was sie vorhaben. Doch gerade als ich beginnen will zu sprechen, treten wir aus dem Wald hinaus und werden entdeckt. Es ist Ethan, der uns als erstes sieht und uns entgegenläuft. Cash lässt sich unbemerkt zurückfallen und lässt mir den Vortritt, eine Standpauke abzuholen. Doch Ethan wuschelt mir bloß erleichtert durch die Haare und zwingt mich in eine Umarmung, die ich mürrisch brummend über mich ergehen lasse.

„Nächstes Mal sagst du mir Bescheid, wenn du einen kalten Krieg gegen Joshua führen willst, klar?" Schmunzelnd schaue ich zu ihm auf. Ich habe gehofft, er würde so locker reagieren. Er denkt eben weiter als bis zum nächsten Zaunpfahl und so hat er sich vermutlich am wenigsten Sorgen von allen gemacht. „Und du wolltest einen Ausflug machen?" Wendet er sich an Cash, der bereits mehre Schritte zurückgewichen ist. Während Ethan alles andere als eine Gefahr ausstrahlt schaut er sich nach eben genau dieser um. Als wäre es für ihn nur logisch, dass gleich ein Donnerwetter über ihm zusammenbrechen würde. Für mich unverständlich, wenn man bedenkt, dass er sich aktiv selbst dafür entschieden hat zu verschwinden und Ethan genauso lange kennt, wie ich. Andererseits, wer weiß was in Alaska geschehen ist. Wie die anderen dort wohl waren? So zornig und hitköpfig, wie Zachary? Dann wäre seine Reaktion alles andere als übertrieben. „Er hat mich von der Schule abgeholt." Komme ich Cash zuvor und Ethan schaut erfreut zwischen uns hin und her. „Dann warten wir mal ab, wer die größere Standpauke bekommt. Dein Vater und Joshua tun sich da nämlich nicht viel." Er zwinkert aufmunternd und wir folgen ihm schweigend die letzten zweihundert Meter nachhause. „Deine Mutter ist mit dem Auto in der Stadt, um nach dir zu suchen." Erklärt Ethan noch, bevor wir über die Düne hinwegschreiten und ich mich auf den bevorstehenden Konflikt vorbereite. Es ist mehr als ungünstig, dass Mom nicht anwesend ist. Andererseits habe ich so wenigstens die Möglichkeit, ihm auf meine Art gegenüberzutreten. Ohne dauernd daran denken zu müssen, was Mom von mir halten wird. Ich weiß nicht, wen ich als wütender einstufen soll. Zachary, der bereits auf dem Hof steht und uns mahnend beobachtet oder Joshua, der knurrend aus dem Haus gestürmt kommt. Cash schrumpft innerhalb der nächsten Meter um die Hälfte. Ich hingegen verdopple meine Größe dank meiner Bereitschaft, diesen Konflikt auszutragen und erfreue mich an dem Anblick von Joshua, der bereits wenige Meter vor mir von Ethan gepackt und mühselig gestoppt wird. „Sie sind noch Kinder. Die machen solche Dinge nun mal." Erklärt er eindringlich, doch Joshua lässt sich nicht überzeugen. Das tut er nie. Egal was man ihm in diesem Moment sagen würde, er würde sich dagegen auflehnen. Das hat er schon immer. „Was ist verdammt nochmal so schwer daran, sich an Abmachungen zu halten?" Brüllt er mich an und ich atme tief ein, ehe ich den Kopf schief lege und eine Augenbraue hochziehe. „Sag du es mir." Entgegne ich ruhig und kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Wir dachten, dir ist sonst was widerfahren!" Er tobt vor Wut und Ethan hat sichtlich Mühe, ihn an Ort und Stelle zu fixieren. Zachary schließt zu ihnen auf, entscheidet sich jedoch dagegen etwas zu sagen. Er steht bloß mit verschränkten Armen da und beobachtet die Diskussion mit eiserner Miene. „Komisch, Ethan hat das nicht. Woran das wohl liegt? Logisches Denkvermögen?" Entgegne ich gelassen und grinse breit als Cash mir stolz auf die Schulter klopft. Immerhin dafür eignet er sich hervorragend. Zuspruch. Etwas, was Zachary mit einem Kopfschütteln zwar kurz darauf unterbindet, aber nicht ungeschehen machen kann. Ich höre die darauffolgenden Worte von Joshua nicht, da er sich im gleichen Moment von Ethans Griff befreien kann und ich einige Schritte zurückweichen muss. Als seine Hand meinen Hoodie erreicht und mich an diesem hindert, ihm auszuweichen halte ich die Luft an. „Es reicht, Joshua." Mischt sich Zachary nun von der Seite ein und als Joshua ihn ignoriert und mir irgendwelche Vorwürfe entgegen brüllt, packt er seinen Arm und fixiert ihn knurrend. Ein einziger Wimpernschlag verstreicht und schon hat sich der Konflikt verlagert. Joshua lässt von mir ab, widmet sich Zachary, der wiederum von Ethan Unterstützung erhält, um zu schlichten und ich bin fein raus. „Ich habe kein Problem mit dir. Aber wenn du Bayan anpackst und Heath das erfährt..." Joshua unterbricht seinen Gegenüber harsch. „Nenn sie nicht so." Während Zachary die Augen verdreht und sich erstaunlich gut von Emotionen zu distanzieren scheint, deute ich Cash, dass wir uns aus dem Staub machen. Wir haben gerade einmal zwei Meter überbrückt, da brüllt Joshua uns hinterher und Cash bleibt wie versteinert stehen. Irritiert schaue ich ihn an. Meine reflexartige Reaktion wäre gewesen, noch schneller zu laufen. „Du packst sie nicht an." Knurrt Zachary nun noch deutlicher und zu der Erleichterung aller, außer Joshua versteht sich, tauchen auf der Straße plötzlich Scheinwerfer auf. Mom. Ich nutze den Moment und schiebe Cash unsanft vor mir her ins Haus, nach oben und in mein Zimmer. Eilig drehe ich den Schlüssel im Schloss, nachdem ich die Tür zugeworfen habe und geselle mich zu Cash, der bereits am Fenster steht und die hitzige Diskussion auf dem Hof beobachtet.

„Ich dachte, Zachary reißt dir den Kopf ab und dann den Rest von dir in Stücke." Denke ich laut, während ich Mom dabei beobachte, wie sie sich einen Überblick zu schaffen versucht. „Da kann Joshua sich eine Scheibe von abschneiden." Füge ich hinzu, doch Cash starrt bloß unvermittelt hinaus. „Er ist voll entspannt geworden und du zur Memme." Witzle ich und stoße den Schwarzhaarigen auffordernd an, welcher sich für ein Nicken als Antwort entscheidet und sich dann vom Fenster abwendet. „Ich gehe in mein Zimmer." Irritiert beobachte ich ihn dabei, wie er aufschließt und ohne nochmal zurückzusehen das Zimmer verlässt. Komischer Vogel. Ich krame die angebrochene Chipstüte aus meinem Nachttisch und mache es mir auf der Fensterbank gemütlich. Im Hof sind zwar nur noch Joshua und Mom zu sehen, die sind dafür aber filmreif am Diskutieren.


The Alpha And Me -Death Note-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt