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Gelangweilt kicke ich den Fußball immer wieder gegen die meterhohen Zäune, die den Fußballplatz einrahmen und schaue immer wieder auf die Uhr. Mathe verpassen hin oder her. Allein hier draußen zu sein macht nicht annähernd so viel Spaß, wie erhofft. Ich denke gerade darüber nach, einfach nachhause zu gehen, da erregt Liz meine Aufmerksamkeit. Wie ein begossener Pudel schleppt sie sich durch das Schultor und schaut sich ängstlich um. Sie sind schrecklich aus. Die Wangen gerötet und von Tränen übersät. Die Haare zerzaust. Nein, nass. Sie ist von unten bis oben klitschnass. Verwundert über diesen Fakt stehe ich da und brauche nicht lange, um eine Vermutung zu stellen. Ich pfeife energisch, winke ihr zu als sie sich umsieht, doch anstatt zu mir zukommen oder wenigstens stehenzubleiben rennt sie ins Gebäude. Ich laufe ihr nach. Gestehe ihr nicht zu, mich einfach stehenzulassen. Cash Sawyer lässt man nicht unbeachtet. Zielstrebig laufe ich zu meinem Spind und krame meinen Sportbeutel heraus, suche daraufhin die Mädchentoilette und tatsächlich, Liz hat sich in die Kabine zurückgezogen. „Komm raus. Du musst dich vor mir nicht verstecken." Erkläre ich und räume den Sportbeutel sorgfältig aus. Ein Glück habe ich auf eine Jogginghose bestanden und eine kurze Trainingshose abgelehnt. Abgesehen von der Tatsache, dass ich damit viel cooler aussehe, ist es für Liz sicherlich deutlich angenehmer mit einer Jogginghose durch die Schule zu laufen als mit einer offensichtlichen Sporthose. „Komm schon raus. Vom Heulen wird es auch nicht besser. Außerdem ist noch Unterricht und dich sieht keiner." Versuche ich sie zu überzeugen und schaue mich nach einem Besen um. Als ich fündig werde, nutze ich meine wenigen Physikkenntnisse und verkeile ihn so in der Tür, dass sie sich nicht öffnen lässt. Gerade in dem Moment tritt Liz heraus und wischt sich mühsam die Tränen aus ihrem Gesicht. Sie sind von nahem noch viel schrecklicher aus. „Mit einer Bürste kann ich nicht dienen. Aber ich habe Schuhe, Socken, Hose, Pullover und eine Mütze." Stolz präsentiere ich ihr die Klamotten und nicke energisch, als sie mich fragend mustert. „Na los. Oder willst du so rumlaufen?" Sie schüttelt den Kopf, flüstert ein kleinlautes Dankeschön und verschwindet samt meiner Klamotten wieder in der Kabine. „Hier ist kein Pullover." Schluchzt sie kleinlaut wenige Augenblicke später und schaut durch einen winzigen Türspalt zu mir. Entschuldigend kratze ich mich am Hinterkopf, lasse meine Jacke zu Boden fallen und ziehe mit geübtem Handgriff meinen Hoodie aus. „Habe ich ganz vergessen." Erkläre ich, halte ihr den Hoodie hin und muss über ihre schüchterne Art schmunzeln. Sie hat tatsächlich weggeschaut. Als wäre es etwas Beschämendes oder gar Verbotenes. Ich greife mein Sportshirt, ziehe es mir über und schlüpfe wieder in die Jacke, um nicht zu erfrieren, während ich darauf warte, dass Liz sich überwindet und aus der Kabine kommt. „Na geht doch. Das sieht verdammt cool aus." Versichere ich ihr, schiebe sie vorsichtig vor den Spiegel und nicke enthusiastisch. Die zerzausten Haare stellen ebenso wenig ein Problem mehr dar. Dank der Mütze schauen nur vereinzelte Strähnen heraus und es wirkt so, als habe sie sich einen neuen Style zugelegt. Einfach perfekt. „Keinem wird etwas auffallen. Naja, außer dass du neue Klamotten hast, natürlich." Noch immer eingeschüchtert steht sie da. Nickt sanft und bringt ein stotterndes Dankeschön heraus, ehe sie versucht die verbliebenen Tränen zu verwischen. Erst als man ihr nicht mehr ansieht, geweint zu haben ringt sie sich dazu durch, mir von dem Vorfall am Morgen zu erzählen. „Also damit ich das richtig verstehe. Sie haben dich am Waldrand auf dem Schulweg abgefangen und mit einem Eimer übergossen?" Sie nickt und beginnt gleich darauf wieder zu weinen. Fassungslos stehe ich da. Streiche und dumme Ideen habe ich zuhauf in meinem Leben umgesetzt, aber das geht zu weit. Viel zu weit. „Lio sagte, nächstes Mal ist es Farbe. Das sei lustiger." Schluchzt sie und in meinem Kopf spielen sich vielerlei Szenarien ab, die ihm blühen werden. „Bayan darf es nicht erfahren, hörst du? Das ist peinlich." Sie streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht und ist plötzlich ganz ernst. „Du musst es ihm sagen. Allein schon, weil du meine Klamotten trägst." Weise ich sie auf das Offensichtliche hin. Einfach an ihm vorbei stolzieren und dabei meine Sachen tragen? Das führt wohl kaum zu einem lösungsorientierten Gespräch unter Brüdern. Da würde wohl selbst Obermemme Bayan zu viel kriegen. Verständlicherweise. „Ich kümmere mich darum, dass dir so etwas nicht wieder passiert, und du erzählst meinem Bruder davon. Er wird mit dir sowieso zu den Lehrern gehen wollen." Sie schüttelt den Kopf und weist panisch darauf hin, dass die Lehrer keine Option sind. Dass ich nicht lache. Sowas weiß jeder. Außer mein Bruder natürlich. Aber das ist nicht mein Problem. Meins sitzt gerade im Unterricht und hältst sich passenderweise in den Pausen immer in den unbeobachteten Ecken auf. Das glaubt zumindest Liz, die ihre nassen Klamotten in meinen Sportbeutel stopft und mir dann auf den Flur folgt. „Du darfst niemandem etwas tun, hörst du." Sie zupft mir an der Jacke und entlockt mir ein höhnisches Grinsen. Wie süß. Sie glaubt wirklich, ich würde ihren Worten folgeleisten. Ich. Cash. Höre auf das, was irgendein Mädchen mir sagt. Ich glaube auch. Nicht. „Du hältst dich in der Pause woanders auf als wir. Möglichst in seiner Nähe. Vielleicht springt er auf die Kleidung an, die du jetzt trägst. Dann kläre ich das noch heute an einem exemplarischen Beispiel." Ich zwinkere ihr zu und schiebe sie vor mir her, nach draußen. Jeden Moment müsste die Schulglocke läuten. „Aber woher weißt du, dass er mir etwas tut, wenn du ganz woanders bist?" Ängstlich schaut sie mich an. Scheint verstanden zu haben, dass ihre Bitte, ihm nichts zu tun, bei mir keine Wirkung hat. Immerhin ist sie nicht auf den Kopf gefallen und nutzt ihre Gehirnzellen. Das vereinfacht mir einiges. „Ich werde da sein und jetzt mach dir nicht ins Hemd. Vor allem nicht in meins." Witzle ich und mache mich aus dem Staub als im selben Augenblick die Schulglocke ertönt. Das wird ein Nachspiel haben. Für ihn. Für seine bekloppten Freunde und für jeden, der ihm versucht den Rücken freizuhalten. Vielleicht wäre ich höflicher, gar friedlicher, wenn ich einer von ihnen wäre. Ein Mensch, meine ich. Aber ich bin weder ein guter Mensch noch ein guter Wolf. Ich bin ein pflichtbewusstes Wesen, das seine Aufgabe auf dieser Welt kennt. Blöd nur, dass niemand hier davon weiß. Sonst blieben mir Pausen wie diese, sicherlich erspart. Während ich Liz im Auge behalte, rufe ich Bayan unaufhörlich an. Es vergehen ganze zehn Minuten. Zehn Minuten einer zwanzig Minuten Pause, die er normalerweise auf dem Schulhof nutzt. Nur heute nicht. Zumindest kann ich ihn nirgends entdecken. Als Lio auf der Bildfläche erscheint, lasse ich mein Handy zurück in meine Hosentasche sinken. Werden wir doch mal sehen, wie entschlossen er ist, Liz das Leben zur Hölle zu machen. Wenn jemand an solch einen Ort gehört, dann ja wohl ich. Was ein glücklicher Zufall, dass ich sie sogar zu ihm bringen kann. Talente, die man nutzen sollte. Nicht? Liz ist kreidebleich, als sie den Kerl entdeckt. In der hintersten Ecke des Schulhofs traut er sich tatsächlich, ihr blöd zu kommen. Gemütlich schlendere ich die kleine Baumreihe entlang, die mir hervorragende Deckung bietet. Wenn er nur wüsste. „Von wem hast du denn die Klamotten? Einem neuen Verehrer?" Er lacht wie eine Hyäne. Amüsiert sich über sich selbst und zieht Liz dabei mit Leichtigkeit auf. Die versinkt nahezu im Erdboden und versucht irgendwie aus der Ecke herauszukommen, in der sie mittlerweile steht. „Oder bist du jetzt nicht nur eine Schlampe, sondern gehst auch noch fremd? Dein Bayan Baby trägt doch solche Sachen nicht." Krächzt er und begutachtet den Hoodie sorgfältig. Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus. Gefolgt von dem Verlangen, das mir jahrelang ein treuer Diener gewesen ist. Langsam zähle ich hinab und beobachte dabei, wie er Liz festhält als diese sich aus der Enge zu befreien versucht. Als dann auch noch seine Freunde auf der Bildfläche erscheinen, schiebe ich die vornehme Zurückhaltung beiseite und trete aus meiner Deckung. Ich räuspere mich und erlange genug Aufmerksamkeit, um meine Forderung ohne jedes Wort klar und deutlich auszudrücken. „Wen haben wir denn da. Das Brüderchen sollte es sein, Lizzy? Wie widerlich." Seine Stimme klingt kratzig, als kämpfe er gegen seine Stimmbänder an, die ihm das Reden genauso sehr verbieten wollen, wie ich. „Ich warne dich ein einziges Mal. Lass sie in Ruhe oder ich breche dir jeden einzelnen Knochen." Meine Stimme klingt ruhig. Deutlich besonnener als mein Innerstes, das mittlerweile Feuer gefangen hat und ungeduldig auf das Startsignal wartet. Die Hyäne lacht. Natürlich. Was auch sonst. Er ist schließlich noch keinem wie mir begegnet. Zu schade. Diese Erfahrung hätte ihm einiges erspart. „Spielst du jetzt den Beschützer, weil dein Brüderchen sich nicht traut?" Ich verdrehe die Augen. Was eine billige Methode, jemanden zu provozieren. „Du langweilst mich. Also lässt du sie in Zukunft zur Ruhe oder..." Er unterbricht mich harsch. „Oder was?" Wieder rolle ich mit den Augen. Ist er nicht die hellste Kerze auf der Torte oder will er es nicht verstehen? Wirklich ermüdend. „Oder wir klären das miteinander. Gibst du auf, lässt du sie in Frieden. Gebe ich auf, halte ich mich raus." Liz versinkt tief im Boden. Eine Mischung aus Angst und Enttäuschung breitet sich auf ihrem Gesicht aus, was Lio ebenfalls bemerkt. So dumm scheint er doch nicht zu sein. Immerhin springt er voll darauf an und scheint tatsächlich zu glauben, er hätte eine Chance. „Du langweilst mich." Knurre ich und schlendere tiefenentspannt an ihm vorbei, zu Liz. Bevor ich allerdings bei ihr angekommen bin, spüre ich einen Schlag auf den Hinterkopf. Zugegeben, er hat Kraft. In Windeseile drehe ich mich um und tue das, was mich ausmacht. Gewalt.

Zufrieden schaue ich auf mein Werk hinab. Adrenalin schießt durch meine Venen. Blut strömt aus seiner Lippe und der Platzwunde am Hinterkopf. Mindestens ein Auge wird wochenlang in allen Farben schimmern. Meine Gliedmaßen brennen wie Feuer. Alles in mir schreit danach, mein Werk fortzusetzen. Es zu perfektionieren. Doch ich passe. Greife auf die Techniken zurück, die Dad mir mühsam beigebracht hat und lasse mich von den Freunden des Idioten von ihm runterziehen. Einen Blick riskiere ich noch, genieße die Befriedigung, die meinen Körper überströmt. Stehe auf, um einem Rückfall zu entkommen und trete zurück. Entsetzt starren mich seine Freunde eine Weile an, ehe sie mir den Rücken zu drehen, sich an ihren Kameraden wagen und diesem aufhelfen. Ich stehe da, beobachte sie dabei, wie sie den schwachen Körper zu stützen versuchen und empfinde ausnahmslose Genugtuung dabei als er krächzend nach Luft ringt und gleich darauf Blut spuckt. Karma kommt. Und wenn es durch jemanden wie mich ist.

Erst als Liz mich am Arm packt, löse ich mich von den Dreien und kehre in die Gegenwart vollständig zurück. „Du bist mein Held!" Quietscht sie in höchsten Tönen, ehe sie mir um den Hals fällt und in mir Irritation auslöst. Mit dieser Reaktion habe ich nun wirklich nicht gerechnet. In einer Parallelwelt mag ich für solch eine Auseinandersetzung gefeiert werden, aber hier? Auf dieser Welt herrscht ein eigenartiges Bild von Gewalt. Einerseits wird sie strikt abgelehnt. Andererseits führen wir im großen Stil Kriege und feiern unsere Soldaten für ihre Berufung. In der Schule darf ein Kind nicht in Schlägereien verwickelt sein. Zuhause steht Gewalt jedoch an der Tagesordnung. Eine Gesellschaft, die ihre inneren Konflikte noch nicht gelöst hat und dies vermutlich auch nie wird. Dennoch gilt, die Allgemeinheit lehnt Gewalt in der Öffentlichkeit ab. Was also stimmt mit diesem Mädchen nicht? Erst wollte sie genau das unbedingt verhindern und nun ist sie doch froh, dass ich ihn in Grund und Boden befördert habe. Warum nicht gleich so.

„Die ärgern mich bestimmt nie wieder." Kichert sie und lässt von mir ab, nur um mich ein weiteres Mal zu umarmen und mir zu danken. Verdammt, Bayan. Das wäre deine Aufgabe gewesen. „Und falls doch, beschützt du mich." Mit großen Augen schaut sie in meine, vor Überforderung schreienden Augen. Doch, wie erwartet, sieht sie nur das, was sie sehen will und so sieht sie sich bloß in ihrem Wunsch bestätigt. Beschützt zu werden. Ein Bedürfnis, das sie wohl als letztes bei mir erfüllt sehen sollte. „Ich halte meinen Kopf für niemanden hin. Also, nein. Das muss für die Zukunft reichen." Weise ich sie harsch ab und drücke sie von mir weg. In diese Rolle lasse ich mich nicht stecken. Ich darf sie schlicht und ergreifend nicht erfüllen. Es hat hier keinen Platz. Diese Seite von mir hat hier keinen Platz. Schon gar nicht bei ihr. „Bayan passt schon gut genug auf dich auf. Du brauchst mich nicht, klar?" Knurrend versuche ich sie von dieser Idealvorstellung abzubringen, doch ihre hoffnungsvollen Augen zeugen nicht davon, dass sie mir überhaupt zugehört hat. „Du weißt selbst, dass Bayan viel zu pazifistisch ist, um es mit solchen Typen aufzunehmen." Damit mag sie recht haben, doch auch das geht mich nichts an. Was habe ich schon mit ihr zu tun? Gar nichts. Es gibt für mich keinen Grund, mich selbst in Schwierigkeiten zu bringen. Umso früher ich die Hoffnung in ihr ersticke, desto besser. „Das ist nicht mein Problem." Gebe ich ihr gleichgültig zu verstehen und lasse ihren enttäuschten Blick an mir vorbeiziehen. „Ich habe dir gern geholfen. Das heißt aber nicht, dass ich jetzt dein Wachhund bin oder so ein Scheiß." Sie nickt und schaut zu Boden. Ich mache auf dem Absatz kehrt und lasse sie stehen. Meine Aufgabe ist erfüllt. Ab sofort kümmert sich jeder wieder um sein eigenes Leben und die damit einkehrenden Probleme. Und davon habe ich eine Menge. Ich habe den Hof nicht einmal überquert, da sehe ich Lio und seine bescheuerte Gefolgschaft bei einem Lehrer stehen und sich lautstark beschweren. Ich beschließe, es möglichst schnell hinter mich zu bringen und schlendere mit Händen in den Hosentaschen tiefen entspannt auf das Gespann zu. Anstatt mich jedoch sofort zum Schuldirektor zu schicken, zitiert man mich zum Vertrauenslehrer. Ich nicke ruhig, stolziere an der Hyäne vorbei und schlendere in aller Ruhe durch die Flure. Als ich Bayan begegne, werfe ich ihm einen mürrischen Blick zu. „Wo warst du, verdammt." Knurre ich und überrumple ihn damit gehörig. Kein Wunder, er hat ja auch keine Ahnung, was er alles verpasst hat. „Ich habe mich mit dem Mathelehrer über meine Note unterhalten und ein Referat zum Ausbessern rausgehandelt. Mom besteht darauf, wegen dem Gespräch mit Frau Summer." Gleichgültig nehme ich seine Ausrede zur Kenntnis und erkläre ihm dann, wo er Liz findet. „Ist etwas passiert?" Entsetzt sieht er mich an. Ich hingegen zucke mit den Schultern und verdrehe die Augen als im selben Moment dieser Vertrauenslehrer auf der Matte steht. Er scheint nicht damit gerechnet zu haben, dass ich selbständig zu ihm komme. Tja, falsch gedacht. Manchmal tue ich tatsächlich das, was von mir verlangt wird. „Liz erzählt dir alles." Gebe ich meinem Bruder zu verstehen, der mich irritiert mustert und stapfe dem Typen hinterher, der dafür sorgt, dass ich sogar den Physik Unterricht verpasse. Hervorragend.


The Alpha And Me -Death Note-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt