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Mit der heißen Tasse in der Hand steige ich die Treppe hinauf und verharre, als ich Cash im Flur stehen sehe. Mit dem Blick auf Kodas Zimmertür gewandt steht er wie eine Statue da. Keine Emotionen sind seiner Mimik zu entnehmen. Erst als er mich bemerkt lässt er einen Hauch von Unsicherheit durchschimmern und verschwindet eilig in Zacharys Zimmer. Ich schaue ihm nach. Frage mich, ob ich etwas hätte sagen sollen. Seit einer Woche habe ich mich nicht dazu durchringen können, mit ihm zu sprechen. Er geht mir aus dem Weg, wie ein Dieb auf der Flucht und ich finde noch immer nicht die passenden Worte für all das um uns herum. Immer wieder kreist die eine Frage durch meinen Kopf. Immer wieder lässt sie mich in Ahnungslosigkeit zurück. Wie geht man damit um, wenn der Sohn nach Jahren zurückkehrt? Er ist so viel älter geworden. Mit den aufreibenden Gefühlen einer Mutter komme ich zurecht. Die Zeit wird es richten. Doch die Vorsicht aufgrund seiner anzunehmenden Gefährlichkeit kann ich weder leugnen, noch unterdrücken. Ich erwarte jederzeit einen Ausbruch seinerseits. Keinen Schritt vermag ich ihn unbeobachtet zu lassen. Kein Wort, das über seine Lippen käme, würde ich mit einer Leichtfertigkeit aufnehmen, wie ich es bei anderen tue. Jedes einzelne wäre einer genauen Analyse unterzogen. Nein, ich vertraue ihm nicht. Er ist mir fremd geworden und solange dieses Gefühl in meinen Knochen weilt, wird er unter meiner festen Beobachtung stehen. „Du stehst im Weg, Mom." Brummt Bayan schläfrig und schiebt sich an mir vorbei ins Badezimmer und schließt die Tür hinter sich, noch bevor ich ihm einen guten Morgen wünschen kann. Teenager. Wer hat diese unerbittliche Phase eigentlich erfunden? Ich hätte da ein paar Fragen und Anmerkungen. Von den hunderten Verbesserungsvorschlägen ganz zu schweigen. Noch vor wenigen Jahren hat er mich freudestrahlend am Morgen begrüßt und die gemeinsame Zeit mit mir genossen. Heute? Heute stehe ich ihm häufig im Weg herum und bin ein notwendiges Übel. Ich schmunzle. Waren wir nicht alle in diesem Alter von unseren Eltern genervt und haben sie als uncool und schräg empfunden? Ich erinnere mich nur zu gerne an die Tage zurück, an denen ich mit Dad über belanglosen Mist diskutiert habe, der für mich in diesen Augenblicken höchste Priorität besessen hat. Heute kann ich darüber nur den Kopf schütteln und herzlich lachen. Um nicht noch Wurzeln zu schlagen und den warmen Tee am Morgen endlich in Ruhe genießen zu können betrete ich mein Zimmer und schließe die Tür leise hinter mir, um Joshua nicht zu wecken. Es ist die erste Nacht, die er wieder bei mir verbringt. Nach Tagen des Schweigens stand er plötzlich wieder vor mir. Ich habe seine Zugewandtheit angenommen, ohne sie weiter zu hinterfragen. Er brauchte eben seine Zeit. In aller Stille schleiche ich durch das Zimmer zu meinem Bett, setze mich neben ihn und lächle sanft, als er meine Anwesenheit bemerkt und seinen Kopf auf meinen Schoß legt und seine Hände um meine Taille schlingt. „Guten Morgen." Murmelt der Schwarzhaarige zufrieden und genießt es sichtlich, als ich ihm mit den Fingernägeln über seinen Körper fahre. „Heute bleiben wir einfach den ganzen Tag im Bett. Deal?" Ich nippe an meinem Tee und möchte gerade antworten, da überarbeitet er seine Frage zu einer Aussage. „Du hast gar keine andere Wahl." Er zieht mich noch näher an sich heran und entlockt mir damit ein leises Kichern, gefolgt von einer Antwort, die ihn nicht sonderlich erfreut. „Ich muss arbeiten." Enttäuscht seufzend vergräbt er seinen Kopf in meinem Körper. Es tut gut, den Tag in aller Ruhe beginnen zu können. Häufig verfalle ich morgens in Stress und habe keine einzige ruhige Minute, um mich zu sammeln und auf die bevorstehenden Stunden mental vorzubereiten. Abgesehen von meinen fehlenden Kenntnissen über frühes Aufstehen, gibt es immer irgendjemanden der mich von meiner Ruhe abhält und meine Nerven strapaziert. Bayan, der sich das Verhalten gegenüber einem Wecker grandioser Weise bei mir abgeschaut hat und ihn gekonnt ignoriert. Joshua, der seinen Schlüssel sucht. Ethan, der in aller Frühe der Meinung ist, er müsse sich um die Küche kümmern und das Geschirr klirren lassen als gäbe es niemanden, den er damit stören könnte. Jayden, der einfach nur Jayden ist. Es ist immer irgendetwas dabei, das mich um meinen morgendlichen Tee bringt. Ob die anderen ebenfalls kaum Schlaf gefunden haben und deshalb bereits so früh auf den Beinen sind? Ich für meinen Teil habe kaum ein Auge zu bekommen. Tausende Gedanken haben mich bis tief in die Nacht zum Nachdenken gezwungen und die Angst, es könnte einem von uns etwas geschehen hat mich letztlich eine Woche lang nur in Halbschlaf sinken lassen. Ich hätte ablehnen sollen. Sie fortjagen und dieses Rudel vor den Strapazen ihres Besuches bewahren. Sie haben gute Chancen dort draußen zurechtzukommen. Unseren Schutz benötigt keiner von beiden und doch habe ich mich für sie entschieden. Wie könnte ich es auch über das Herz bringen? Gänsehaut flutet meinen Körper bei dem Gedanken daran, wie die Begegnung nach all den Jahren andernfalls hätte aussehen können. All die Jahre habe ich getrauert. Ich bin in Liebeskummer versunken und habe mir stundenlang den Kopf zerbrochen. Sorgen und Ängste zogen mich hinunter in die Tiefe und ließen sich nur mühsam überwinden. Immer wieder habe ich mich gefragt, warum sie nicht zurückgekehrt sind. Ob sie uns vergessen haben. Ich habe für unser Wiedersehen gebetet und gefleht. Ich hätte es nicht tun können. Sie fortschicken. Zu viele Fragen plagen mich noch heute. Zu viele Emotionen verbinde ich mit ihnen und zu wenig Wissen habe ich über all die Jahre, die sie in den Wäldern Alaskas verbracht haben. Doch was erhoffe ich mir von ihnen? Antworten? Antworten, die der Wahrheit entsprechen und mir vielleicht ein weiteres Mal das Herz zerbrechen werden? Ist es das denn wert? Und warum würde es mich verletzen, wenn sie die Zeit dort in vollen Zügen genossen haben? Ich sollte mich für sie freuen. Doch wie schließt man mit seinem Kind ab? Einem derart speziellen Kind. Wie schließt man Frieden mit einer solcher Entscheidung? Ich weiß es nicht. Ich will es auch nicht wissen. Es fühlt sich nicht richtig an dieses einst hilflose und verlassene Kind fortzuschicken und sich selbst zu überlassen. Nicht einmal die fremden Blicke und Worte treffen mich derart, wie das Wissen er würde seinen einzigen Rückzugsort verlieren. Mein Rudel wird jederzeit Zuflucht bei mir finden. Zumindest so lange, bis sie bereit sind erneut dieser Welt entgegenzutreten und weiterzuziehen. Das bin ich ihnen schuldig. Ich bin ihr Anker, ihre Festung, ihr Fels in der Brandung. All das, was ich mir gewünscht habe und weder mein Dad noch mein Familienrudel mir geben konnte. All das steht meinem Rudel zu. Egal wie unbequem es sein mag. Sie haben zumindest das Recht darauf sich hier geborgen zu fühlen und Schutz zu erfahren. Sich aufzurappeln und Mut zum weitermachten zu finden. Selbst jemand, der uns schon einmal bewiesen hat, was für ein Scheusal in ihm steckt. Vielleicht ist es die naive Hoffnung auf Veränderung, Verbesserung und den Fortschritt, die mich dazu bringt. „Steck dir deine heuchlerische Freundlichkeit sonst wohin." Höre ich Bayan mit knirschenden Zähnen knurren und trenne mich von meinen Gedanken. Joshua brummt etwas unverständliches in meinen Bauch hinein und umklammert mich fest, als ich aufstehe, um nach dem Rechten zu sehen. „Müsstest du nicht auch längst umherirren und deinen Schlüssel suchen?" Kichere ich, winde mich aus seinem Griff und trinke den letzten Schluck Tee aus. „Spätdienst." Brummt der Schwarzhaarige mitleidig, dreht mir den Rücken zu und verkriecht sich unter die Decke. „Dann kannst du Bayan also nicht von der Schule abholen? Diese Info hätte ich gerne etwas früher gehabt." Ich verdrehe die Augen, als er mir zu verstehen gibt, er habe nicht damit gerechnet, dass Bayan ab heute wieder zur Schule geht. Doch ich belasse es auch dieses Mal dabei und gehe einer Diskussion aus dem Weg. Ich werde diesen Morgen nicht mit einem Streit enden lassen. Stattdessen greife ich nach seinem Hoodie und verlasse das Zimmer. Eilig hüpfe ich die Treppe hinunter und stolpere geradewegs in die Auseinandersetzung von Zachary und Bayan. Entschuldigend lächle ich dem Morgenmuffel Teenie zu, der mir allerdings keine Beachtung schenkt und schleiche mich an ihm vorbei zur Küche. „Wir sollten das Filmen und in ein paar Tagen ein Best of zusammenschneiden!" Schlägt Milow vor und stößt, wie ich es erwartet habe, bei Ethan auf Ablehnung, während Jayden ihm jubelnd einen Highfive gibt. Ich mache mir nichts weiter aus dieser dämlichen Idee und stelle meine Tasse auf die Theke. Das permanente Knurren von Bayan entgeht mir dabei keineswegs.

The Alpha And Me -Death Note-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt