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„Wir sollten die Füße stillhalten. Wenigstens in der Schule." Beginnt Bayan als wir die Hauptstraße verlassen haben und querfeldein nachhause stapfen. Irritiert sehe ich ihn an. Frage mich, ob er doch mehr mit sich zu kämpfen hat als angenommen. Gerade erst hat er in der Schule gezeigt, was in ihm steckt und schon macht er einen Rückzieher? Will sich weiter herumschubsen lassen und das nur, wegen eines Mädchens? Gerade dann wäre ich nicht dazu bereit mich wie ein begossener Pudel damit abzufinden. Oder hat er sich schlichtweg vor sich selbst erschrocken und das gespürt, was ich damals spürte? Keinen Ausweg zu finden. Blindlings einfach den Trieben vertrauen und zu allem bereit sein. Vielleicht zeigt es sich bei ihm anders als bei mir. Schließlich war ich sofort in einem Strudel gefangen. Hingegen er eine Wahl zu haben scheint. Zumindest dann, wenn meine Vermutung stimmen sollte. „Ich habe nur meinen Standpunkt vertreten. Nichts weiter. Ich hätte ihn nicht gehauen." Stelle ich wiederholt klar, doch Bayan scheint mit meiner Antwort nicht zufrieden zu sein. Unruhig kaut er auf seiner Unterlippe herum und weicht meinem fragenden Blick gekonnt aus. „Vorgestern wirktest du ziemlich taff, als du mit Joshua gestritten hast, und jetzt rennst du davon nur weil ich einmal knurre?" Hake ich nach und kann mein Unverständnis dabei nicht verbergen. „Ich denke nur, du solltest es ruhig angehen." Ich glaube zu ahnen, woher der Wind weht und bleibe entschlossen stehen. Mit verschränkten Armen mustere ich meinen Bruder, der ebenfalls stehenbleibt und nervös zu mir rüber sieht. „Weil sie Angst vor mir haben? Oder weil du Angst hast, dass ich jemandem etwas antun könnte?" Er schüttelt den Kopf. Erwidert jedoch nichts. Klassischer Fall von, aus der Verantwortung ziehen wollen, ohne zu wissen, wie. Eine bescheuerte Taktik. „Glaubst du im Ernst, ich bin noch so wie vor sieben Jahren? Du bist es doch auch nicht. Oder waren die Narben schon da als du noch ein Kind warst, hm?" Knurre ich ihn entschlossen an, ehe ich missmutig an ihm vorbei stapfe, ohne auf eine Antwort zu warten. Vergangenheit, Vergangenheit. Du hartnäckiges Biest. „Ich habe Angst, dass sie dich doch noch fortschicken, wenn du jemandem ein Haar krümmst. Eine normale Streiterei in der Schule und schon könnten sie dich fortjagen. Verstehst du? Was mache ich dann?" Ruft er mir hinterher und ich halte inne, drehe mich zu ihm um und lege den Kopf schief. Er kann ja richtig sprechen. So sentimental, meine ich. Ist ja widerlich. „Dann kommst du eben mit." Sage ich schulterzuckend. Probleme sind da, um gelöst zu werden. Glückwunsch, da ist die Lösung. Man muss sie nur annehmen. „Mach mit deinem Leben, was du willst, aber reiß meins nicht in Stücke." Keift er, deutlich emotionaler als er wollte. Seinem Blick nach zu urteilen zumindest. Diese sentimentale Ader ist nichts für mich. Entweder, er reißt sich zusammen oder er spielt eben weiter den Pudel. Letzteres aber ganz bestimmt ohne mich. „Ich habe sieben Jahre hinter mir, die mir gelehrt haben, mich zu beherrschen. Da bringt mich so eine Kleinstadt nicht aus der Ruhe. Also scheiß dich nicht ein." Gebe ich gleichgültig von mir und lasse ihn stehen. Seine emotionale Wortwahl lasse ich unkommentiert. Er hat es mir ganz eindeutig nicht mitteilen wollen, dass er mich für sein Glück verantwortlich macht. Dass ich ein wichtiger Teil seines Lebens darstelle und ihn Verlustängste plagen. Also besinne ich mich auf den Teil der Erziehung, der irgendwie in mir hängen geblieben ist und halte mich höflich zurück. „Kommst du jetzt, oder was?" Frage ich mürrisch als Bayan sich immer noch nicht geäußert oder in Bewegung gesetzt hat. Er mustert mich bloß, beinahe schon entschuldigend. Auf meine Aufforderung hin schließt er zu mir auf, verhält sich den Rest des Weges aber ruhig. Er entscheidet sich für den Pudel. Trottet neben mir her. Mir. Dem finsteren Wolf, der zu weit mehr bereit ist als er glauben mag. Licht und Schatten. So wie damals. Dabei hatte ich die Hoffnung, es habe sich geändert.

Als wir zuhause ankommen, werden wir von Joshuas mürrischer Miene begrüßt. Schnitzend sitzt er vor dem Schuppen, der schon früher als sein Rückzugsort hergehalten hat und sticht uns abwechselnd mit seinen Augen nieder. Was stimmt mit diesem Typen nicht? Ist er denn kein bisschen erwachsener geworden in all den Jahren? Ich kann kaum glauben, dass er angeblich friedlich und harmoniebedürftig gewesen sein soll. Und wenn Bayan das sagt, muss es der Wahrheit entsprechen. Er gönnt diesem Kerl schließlich nichts und würde niemals auf die Idee kommen, ihn auch nur einen Hauch besser darzustellen als er ist. Ich bleibe mit den Händen in den Hosentaschen stehen. Schaue ihn nachdenklich an und frage mich, was Mom an ihm findet. Ob sie bisher miteinander gesprochen haben? Oder berufen sie sich auf die allseits beliebte Funkstille und hoffen, dass all das von allein wieder gut wird? Bayan pfeift nach mir. Er ist längst an der Veranda angekommen und denkt gar nicht daran, auf mich zu warten. „Keine Ahnung, wie du das geschafft hast, aber du hast einen festen Platz in ihrem Herzen." Sage ich, möglichst leise falls uns ungebetene Gäste zuhören sollten, und gehe auf ihn zu. Möchte aus der Nähe sehen, was er dort schnitzt. Schließlich habe ich ihn damals immer für seine Kunst bewundert. Er ignoriert mich. Widmet sich stattdessen diesem unförmigen Stück Holz in seiner Hand und ich stelle mit skeptischer Miene fest, dass es sich um eine Art Pfahl handelt. „Bist du unter die Vamipirjäger gegangen?" Witzle ich und schaue zu Jayden, welcher aus dem Wohnhaus tritt und diesem Anblick kein sonderlich großes Vertrauen entgegenbringt. Nichts, was ich nicht gewohnt wäre aber auch nichts, was mich amüsiert. „Wer sagt, dass ich damit nicht das tue, was hätte schon vor Jahren passieren sollen?" Entgegnet Joshua, ohne mich anzusehen. Die Verbissenheit in seiner Stimme verrät seinen brodelnden Zorn bereits auf kilometerweite Entfernung. Gleichgültig beobachte ich ihn dabei, wie seine Bewegungen fester, ja zielgerichteter, werden. Friedfertig und harmoniebedürftig. Dass ich nicht lache. In irgendeinem Paralleluniversum vielleicht. Allerdings kann ich nicht abstreiten, ihn dadurch sogar sympathischer zu finden. Es gibt nichts ermüdenderes als Menschen, die jeder Konfrontation aus dem Weg gehen. „Diese alte Leier langweilt mich." Gähne ich und behalte dabei bewusst Jayden im Blick, der sich uns bisher nicht nähert. Ich kann niemand anderen an diesem Ort wittern. Nicht gerade optimal, wie ich finde. Heute hätte Ethan uns empfangen müssen. Abgesehen von Dad, der auch nicht da zu sein scheint. Gänsehaut breitet sich aus. Nicht aus Angst. Sondern aus der Erfahrung heraus. Als Vorbote für das, was folgen könnte. Darauf vorbereitet, mich in Windeseile aus der Miesere zu ziehen, stehe ich da. Versuche mir nichts anmerken zu lassen und frage mich, wie weit er tatsächlich gehen würde. „Ach, ist das so?" Er hat seinen Satz nicht beendet, da steht er bereits vor mir und starrt auf mich hinab, wie ein Irrer. Ich halte seinem Blick stand. Meine Hände weilen weiterhin in meinen Hosentaschen. Ich stelle keinerlei Herausforderung für ihn dar. Bin offensichtlich unvorbereitet in diese Auseinandersetzung gestolpert und weiche dennoch nicht zurück. Ich habe schlimmere Wesen getroffen als ihn. „Ich habe keine Angst vor dir." Gebe ich ihm entschlossen zu verstehen, auch wenn der Holzpfahl gefährlich nah an meine Halsschlagader wandert. „Jeder hat vor irgendetwas Angst." Ich antworte mit einem Schulterzucken und lasse Jayden, der sich mittlerweile langsamen Schrittes auf dem Weg zu uns befindet, nicht aus den Augen. Konflikte ziehen mich magisch an. Das haben sie schon immer. Ihnen zu widerstehen, obliegt mir nicht. Hat es nie, wird es nie. Und doch würde es dazu beitragen, ein deutlich risikofreieres Leben zu führen. Naja, ein Vorsatz fürs nächste Jahr. Vielleicht. Der Druck auf meinen Hals verstärkt sich. „Dann kennst du mich aber schlecht." Entschlossen schaue ich ihn an. Dafür bereit, diesen Konflikt mit der nötigen Gewalt auszutragen. Ich spanne mich an. Bemerke den Schatten seiner besseren Hälfte in unmittelbarer Nähe und grinse breit. „Worauf wartest du? Dass dein Helferlein eingreift?" Er beginnt zu knurren. Seine Augen fangen Feuer. Seine Miene verfinstert sich innerhalb eines Wimpernschlags, doch bevor er handeln kann, ertönt ein energischer Pfiff.

Einer, der mich gehörig zusammenzucken lässt. Ich schaue mich um und starre den tiefschwarzen Wagen an, der gleich darauf auf den Hof fährt. Dad schließt das Fenster, aus dem er sich zuvor bemerkbar gemacht hat und steigt aus. Zielstrebig stapft er auf uns zu und während Jayden neben seinen Freund tritt und sich dieser auf eine Rauferei einstellt, mache ich auf dem Absatz kehrt, um mich aus dem Staub zu machen. Dabei habe ich allerdings nicht die Rechnung mit Dads Reflexen gemacht und so packt er mich, trotz wegducken meinerseits, im Nacken und befördert mich an die Stelle, zurück, der ich versucht habe zu entkommen. „Hat er euch Schwierigkeiten bereitet?" Knurrt er und lässt seine Wut an mir aus. Angespannt versuche ich dem Druck zu entgehen, habe aber keinerlei Chance. Irritiert schauen Jayden und Joshua ihn an. Sie haben fest mit einer Auseinandersetzung gerechnet. Haben befürchtet, er würde mich verteidigen. Ja, mich beschützen. Blindlings in einen Konflikt eingreifen und ohne wenn und aber für mich einstehen. Tja, sie kennen nicht nur mich ziemlich schlecht. Sondern auch ihn. Im Augenwinkel erkenne ich Bayan, der vor dem Haus steht und nicht weiß, wie er sich verhalten soll. Hervorragend. Er kommt genau, wie lange? Fünf Minuten zu spät. Mindestens. Memme. „Nicht wirklich. Die Fronten sind nur ziemlich verhärtet, denke ich." Ergreift Jayden das Wort. Seine Stimme von Skepsis und Misstrauen belegt. Trägt hunderte Tattoos auf der Haut, aber fürchtet sich vor jemandem wie Dad. Wirklich amüsant, würde ich nicht gerade in einer selbst geschaufelten Grube sitzen und dazu gezwungen sein, mich ruhig zu verhalten. „Entschuldigt die Unannehmlichkeiten. Er braucht scheinbar noch etwas Zeit, um sich einzuleben." Sein letzter Satz ist derart bissig betont, dass sogar Joshua begreift, dass er nichts zu befürchten hat. Sein Schmunzeln, das er zu unterdrücken versucht, entgeht mir nicht. Umso deutlicher meine ich den Mittelfinger, den ich ihm heimlich hinterlasse als Dad mich neben sich her, in Richtung Wohnhaus schleift. Verärgert schaue ich zu Bayan, der wie ein unsicherer Welpe dasteht und beinahe unter sich macht als Dad ihn fragt, ob alles in Ordnung ist. Kleinlaut nickend lässt er uns passieren und die Hoffnung, er würde endlich auf das zurückgreifen, was uns in die Wiege gelegt wurde, nämlich hervorragende Gewalt, erlischt in mir. Er hat sich nicht verändert. Zumindest nicht in eine Richtung, die man als erfolgreich bezeichnen könnte. Ich reibe mir den Nacken als Dad die Zimmertür hinter sich schließt und mich endlich aus seinen Fängen entlässt. Lässig lehnt er sich an die Wand, verschränkt die Arme vor der Brust und mustert mich kalt. Statt mich ihm zuzuwenden gehe ich zum Fenster und schaue nach draußen. Stelle entrüstet fest, dass Joshua diesen Konflikt als gewonnen betrachtet und mir mit einem breiten Grinsen enthusiastisch zuwinkt, während Jayden nur lachend mit dem Kopf schüttelt und ihm auf die Schulter klopft. Ein Knurren ist alles, was auf meinen Unmut schließen lässt. Alle anderen möglichen Reaktionen schlucke ich hinunter und sperre sie ein. Sie haben keinen Platz in dieser Welt. „Was sollte das? Ich bin gut allein zurechtgekommen." Brumme ich, ohne Dad anzusehen und schaue weiter aus dem Fenster. Ethan kommt auf den Hof gefahren. „Glaubst du nicht, dass es genug Konfliktpotential gibt? Man muss es nicht auf die Spitze treiben. Schon gar nicht mit Joshua." Antwortet Dad, ohne auch nur einen Funken Emotion in seine Stimme zu legen. Ich beobachte Ethan dabei, wie er zu Joshua schlendert und sich mit ihm unterhält. Der lässt sich nichts von der vorausgegangenen Diskussion anmerken und feiert sich vermutlich selbst für den Ausgang des Ganzen. Dabei hat er absolut nichts dazu beigetragen. „Ich habe nichts getan." Ich drehe mich zu ihm um, doch treffe nur auf die immerzu eisernen Augen, die vor Desinteresse nur so übersprudeln. „Ich habe nur gesagt, dass sie ihn aus irgendeinem Grund wirklich zu mögen scheint und habe mich für seine Schnitzerei interessiert. Er war derjenige, der mich bedroht hat. Nicht ich ihn." Erkläre ich verbittert und gestikuliere dabei mehr als ich will. Weiß ich es doch längst besser. Es wird nichts bringen. Ich könnte ihm Videobeweise liefern und er würde auf seinen Standpunkt beharren. „Und eben weil Heather ihn mag, werden wir heute gemeinsam zu Abend essen wie eine richtige Familie und du wirst dich aufrichtig entschuldigen." Entgegnet er leichtfertig als wäre das die einzig logische Konsequenz. Entsetzt schaue ich ihn an. Das ist nicht sein Ernst. Hat er mir überhaupt zugehört? So eine Sekunde zumindest. Nur eine. „Darauf kannst du lange warten." Knurre ich entschlossen und stürme an ihm vorbei als er bloß mit den Augen rollt. „Du bist in zwei Stunden wieder hier!" Ruft er mir nach als ich den Flur entlang stapfe und ihm den Mittelfinger als Antwort präsentiere, obwohl wir beide genau wissen, dass ich mich an seine Vorgabe halten werde. Weise Erfahrung.

The Alpha And Me -Death Note-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt