Valeria
Vier Wochen zuvor
„Mein Enkel ist vor einer Woche zum ersten Mal Papa geworden und hat mich damit zu einem Uropa gemacht. Kannst du dir das vorstellen, Liebes?"
Fragend durchbohren mich zwei grünfarbige Augen, die aus dem von Falten überzogenem Gesicht des älteren Herrn hervorstechen, dem ich gerade dabei helfe sich anzuziehen. Ich halte kurz inne und lasse den Ärmel des Sweatshirts, das noch über den entsprechenden Arm gezogen werden muss, los.
„Gratuliere, Toni", sage ich mit realer Freude in der Stimme und streichele meinem Schützling liebevoll über die Wangen. Sofort formen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln.
„Du bist mein Schatz, Valeria", erwidert er, was mich noch mehr zum Lächeln bringt. „Ich bin immer so glücklich, wenn du Frühschicht hast und nicht Jana, die ein absoluter Miesepeter in Person ist. Vielleicht sollte sie mal einen Clown zum Frühstück essen. Ein Lächeln am Tag tut ja bekanntlich nicht weh. Nicht wahr, mein Kind?"
Ich muss grinsen. Toni nimmt nur selten ein Blatt vor den Mund.
„Jana ist... speziell, da gebe ich dir Recht. Aber sag ihr ja nicht, dass wir gelästert haben, sonst schwärzt sie mich bei Lea an."
„Keine Angst, Valeria. Dich würde ich niemals bei der Chefe anschwärzen, sonst wirst du noch versetzt oder schlimmeres. Dann wäre es in diesem Laden wirklich nur noch wie in einem Gefängnis für alte Seggl."
„Kannst du selbst zum Frühstücksraum oder soll ich Gabi holen, damit sie dich in den Rollstuhl packt?"
„Ich schaff das schon. Vielleicht sehe ich so aus, aber so alt und zerbrechlich bin ich dann auch wieder nicht." Toni zwinkert mir zu, während ich den Rollladen in seinem Zimmer nach oben kurbele und dann das Fenster in Kippstellung bringe.
„Sieh zu, dass Helga dich nicht wieder anpöbelt", meint er, als ich mich gerade auf den Weg in den Raum neben ihm machen will. „Die hat sicher vieles, aber definitiv nicht mehr alle Tassen im Schrank."
„Ich werde mir deinen Rat zu Herzen nehmen, Toni", sage ich und kichere etwas in mich hinein. „Wir sehen uns dann später. Lass dir das Frühstück schmecken."
„Den Fraß kann man doch nicht essen", mault er und stützt sich auf seinen Krückstock. „Meine Marianna, die konnte himmlisch kochen. Ein Traum, Valeria."
Kurz schaut er mich an und ich sehe, wie die Tränen sich in seinen grünen Augen sammeln. Er runzelt die Stirn, ehe er sich abwendet und davon schlurft.
Es ist ganz und gar nicht lustig, das weiß ich. Aber wenn ich mir alles zu sehr zu Herzen nehmen würde, dann hätte ich schon längst die Nerven verloren. Und das darf ich mir bei meinem Job einfach nicht erlauben.
Ich bin so gerne Altenpflegerin, auch wenn die Arbeit nicht immer so leicht von der Hand geht, wie bei Toni. Selbst er hat sehr schlechte Tage, an denen er verzweifelt, auch wenn er sonst immer versucht seinen Schmerz und die Einsamkeit mit Humor zu vertuschen. Das Leben im Altersheim, ist selten ein Zuckerschlecken. Aber all die Senioren sind hier, weil sie entweder zu krank sind, um noch alleine zu wohnen oder weil sie niemanden mehr haben, der sich um sie kümmern kann.
Durch meine Arbeit versuche ich ihnen den Tag etwas zu versüßen. Den jeder Mensch hat es verdient, dass er mit Respekt und Würde behandelt wird. Vor allem im Alter.
Trotzdem sehne ich mich im Moment so sehr nach Urlaub. Fast ein ganzes Jahr habe ich jetzt nur gearbeitet, abgesehen von den paar Tagen, an denen ich krank im Bett gelegen habe und ein paar Urlaubstagen, die ich zuhause mit meiner Katze verbracht habe. Mein Job geht mit sehr viel körperlicher Arbeit einher und auch wenn ich mit meinen fünfundzwanzig Jahren noch jung bin, gibt es durchaus manche Abende, an denen ich mit Rückenschmerzen auf dem Sofa sitze.
Meine Zwillingsschwester Sienna und ich sitzen auf der Terrasse von unserem Ferienhaus im Schwarzwald, das wir für drei Wochen gebucht haben. Am Himmel sind keine Wolken, das unersättliche Blau strahlt durch den Sonnenschein noch so viel intensiver. Ein so schöner Anblick, der mich komplett in seinen Bann zieht. In meiner rechten Hand halte ich ein Glas mit Eiswürfeln und darin ist eine schimmernde Flüssigkeit, von der ich keine Ahnung habe, was sie genau ist, die aber fantastisch schmeckt. Um uns herum nur Stille, die unendlich wohltuend ist...
„Junge Frau wird das heute noch was?", kläfft Helga mich an. Kurz zucke ich erschrocken zusammen. „Ich muss dringend los. In einer halben Stunde treffe ich doch meinen Jürgen und der Bus wartet sicher nicht auf mich!"
Mist! Jetzt bin ich doch tatsächlich für einen kurzen Moment in einem Tagtraum versunken!
„Dann sollten wir noch schnell ins Bad. Eine Frau sollte sich doch für ein Date mit dem Liebsten frisch machen."
„Wie Recht Sie doch haben, Fräulein."
Solche Momente tun mir immer im Herzen weh, vor allem wenn ich weiß, dass es diesen Jürgen nicht mehr gibt, weil er längst verstorben ist.
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Blitzlichtgewitter-Eine Liebe wie aus dem Film?!
RomanceValeria will den Alltagsstress hinter sich lassen und bucht sich zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Sienna ein kleines Häuschen im Schwarzwald. Ruhe, Wald, Entspannung. Das wünschen sich die beiden. Doch stattdessen erwartet sie eine Horde von Pa...