34/Schachzug

47 14 31
                                    

Jetzt

Valeria

Toni schaut mich unentwegt an, während ich sein Bett frisch mache. Heute Nacht ging mal wieder etwas daneben und ich weiß, dass es ihm peinlich ist, aber gleichzeitig ist er auch froh, dass ich mich gleich um sein kleines Missgeschick kümmere.

„Du bist heute alles andere als froh, Valeria", sagt er schließlich und legt seine Hand auf meine Schulter. „Eigentlich müsstest du vor Freude und Lebensmut strotzen, gerade weil du erst aus deinem wohlverdienten Urlaub zurück bist. Gibt es irgendwas, dass du loswerden möchtest?"

„Ach Toni", seufze ich. „Wenn ich etwas mehr Zeit hätte, dann würde ich vielleicht..."

„Die Zeit nimmst du dir gefälligst", wirft er energisch ein. „Dann hat die Morgentoilette von mir eben ein kleines bisschen länger gedauert. Das muss doch keiner erfahren. Ich sehe dich doch so gerne glücklich. Du bist sonst immer Sonnenschein pur, aber im Moment wirkst du auf mich eher wie ein verregneter Tag. Die letzten drei Wochen waren sehr trist ohne deine positive und fröhliche Art, Liebes. Nun sag schon, was dir auf dem Herzen liegt."

„Ich habe mich verliebt", murmele ich, bin mir unsicher, ob Toni das verstanden hat und will das Gesagte gerade etwas lauter wiederholen, als er schon darauf antwortet.

„Aber das ist doch schön, mein Kind."

„Nicht, wenn es nicht sein soll", sage ich unsicher. „Darf ich dich was fragen, Toni?"

Seine grünen Augen schauen mich an und ich sehe so viel Liebe in ihnen. Keines seiner Kinder oder Enkelkinder kommt Toni besuchen. So oft habe ich mich gefragt, warum das so ist, aber nie bei ihm darüber nachgehakt. Und es sollte mich auch nicht beschäftigen und trotzdem tut es mir in der Seele weh.

„Wie hast du gespürt, dass du deine Frau von Herzen liebst?"

Es ist eine intime Frage und ich befürchte schon, keine Antwort darauf zu bekommen, aber Toni nickt nur und deutet mir dann mich zu ihm auf das frischgemachte Bett zu setzen.

„Es mag absurd und verrückt klingen, Valeria... Aber ich wusste es einfach. Ich habe meine Frau gesehen und dachte mir nur, die muss ich haben." Er lächelt einen Moment in sich hinein. „Mir war sofort klar, dass ich ohne sie nicht mehr sein möchte. Ich hatte nicht einmal eine Garantie, ob es ihr genauso ging, was mich aber nicht davon abgehalten hat, es zu versuchen."

„Hat es manchmal auch wehgetan sie zu lieben?"

„Du stellst aber auch fragen, Liebes", meint er. „Ich glaube auf diese Frage gibt es von meiner Seite aus nur eine Antwort. Liebe ist Schmerz. Weißt du, es mag ein wenig seltsam klingen und auch irgendwie traurig, aber wenn man einen Menschen von Herzen liebt, heißt das automatisch, dass man sich damit verwundbar macht. Es gibt so viele schwierige Situationen und manchmal wird die Liebe auch nicht erwidert, aber Schmerz wird immer ein wichtiger Bestandteil von tiefer, bedingungsloser Liebe sein. Schau mich an... Nach fünfundvierzig Jahren Ehe bin ich ganz alleine. Unsere Kinder schauen vielleicht einmal im Jahr nach mir, aber ansonsten sind sie mit ihren eigenen Leben beschäftigt. Und trotzdem trage ich meine Marianna immer in meinem Herzen, auch wenn es mal mehr, mal weniger weh tut, an sie zu denken."

„Danke, Toni", schniefe ich. „Ich glaube, dass ich einen sehr großen Fehler gemacht habe und den Menschen, der es wert gewesen wäre, von mir geschoben habe aus lauter Angst vor meinen eigenen Gefühlen."

„Weine nicht", beruhigt Toni mich. „Es wird sich zeigen, ob eure Liebe stark genug ist. Du musst nur vertrauen, Valeria. Und jetzt husch zurück an die Arbeit, damit ich noch die Chance habe, etwas von diesem gar nicht mal so üblem Haferschleim abzustauben."

Tapfer stützt er sich auf seinen Krückstock, aber ich spüre, dass es in seinem Herzen viel düsterer aussieht.

------------------------------------------------------

„Ich bin zurück", schreie ich, nachdem ich mit dem Zweitschlüssel Siennas Wohnung aufgeschlossen habe und gerade dabei bin meine Sneakers auszuziehen.

„In der Küche", ruft sie zurück.

„Was machst du denn?", frage ich, als ich in dieser ankomme und zuschaue, wie meine Schwester ein Blech mit einer Backform in den Ofen schiebt. In ihren Haaren und an der Nasenspitze klebt etwas Rührteig.

„Eine Überraschung für Lip", sagt sie lächelnd. „Er hat sich in der letzten Woche so gut um mich gekümmert und auch wenn ich weiß, dass es für ihn selbstverständlich ist, will ich ihm etwas zurückgeben. Und außerdem will ich mit ihm feiern, dass wir schon in ungefähr sechs Monaten Eltern werden. Ich kann es noch immer nicht fassen, dass ich solange nicht gemerkt habe, dass da bereits was im Busch ist. Hätte ich doch eher zum Arzt gehen sollen, aber meine Tage sind ja sowieso meistens ziemlich unregelmäßig."

„Ich freue mich so sehr." Ich lasse mich von ihrer guten Laune anstecken. Seit einer Woche sind wir jetzt wieder vom Urlaub zurück und heute stand schon wieder der Alltag vor der Tür. Die Ablenkung kommt mir gelegen, weil ich die letzten Tage fast ausschließlich nur an Vincent denken konnte. Kein einziges Wort kam von seiner Seite, was mir eigentlich recht sein sollte. Trotzdem fühlt es sich falsch an und wäre ich nicht so verdammt stur und dazu auch noch feige, hätte ich längst seine Nummer gewählt.

Eigentlich wärst du jetzt an der Reihe! Es ist dein Schachzug, Valeria.

„In Schach war ich noch nie sonderlich gut", murmele ich meinen Gedanken zu.

„Hääh?", macht Sienna und schaut mich verdutzt an.

„Vergiss es. Das war nur ein blöder Gedanke von mir..."

„Du solltest ihn anrufen". Natürlich weiß sie woran ich gerade denke. Sie wäre nicht sie, wenn sie es nicht täte. „Ihr müsst dringend miteinander reden. Und damit meine ich wirklich reden..."

„Wenn er das überhaupt noch möchte."

„Glaub mir er will. Ich habe gesehen, wie er dich anschaut, meine Süße. Er mag gebrandmarkt sein, aber das hat ihn nicht davon abbringen können, in deiner Nähe sein zu wollen. Liebe ist nicht immer einfach und manchmal ist sie echt scheiße und wie du weißt spreche ich da aus Erfahrung... Aber sie ist für mich trotzdem das schönste und wertvollste Gefühl der Welt."

„Sowas ähnliches hat auch Toni gemeint."

„Dann solltest du auf uns beide hören und endlich einsehen, dass Mamas und Papas Geschichte nicht auch automatisch deine sein wird. Ach übrigens... Ich weiß jetzt, wen Vincent in Outlander gespielt hat."

Blitzlichtgewitter-Eine Liebe wie aus dem Film?!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt