Mit dem Vortrag von Jannik und mir neigt sich auch der November dem Ende entgegen. Meine Abgaben habe ich fürs Erste alle geschafft, schlafen klappt mittlerweile besser und auch mit meinen Freund:innen fühle ich mich wieder wohler. Nach der Leere und der darauffolgenden Überreizung habe ich jetzt das Gefühl, dass ich mich wieder eingependelt habe. Ich bin sicher nicht der glücklichste Mensch auf Erden, aber alles ist gewohnt und okay.
Gut, vielleicht gibt es da dieses eine Detail, dass nicht gewohnt ist: Die Aufregung meines Körpers, wann immer ich Tomke sehe. Sei es nur von Weitem oder, wenn wir uns auf der Straße treffen - jedes Mal fühle ich mich irgendwie lebendiger. Es ist, als würde ich meine Atmung und meinen Herzschlag im Unterschied zu sonst deutlich wahrnehmen, als würden meine immer gleichen Gefühle mit einem Mal ausschwenken, als würde Licht und Farbe meine sonst so abgeschottete und graue Welt erreichen.
Mittlerweile habe ich mich auch schon ein wenig daran gewöhnt, ab und an mehr zu fühlen und bin nicht mehr ganz so überfordert damit. Dadurch sinkt auch meine Unsicherheit in seiner Gegenwart. Selbstverständlich fühle ich mich im Vergleich noch immer wie ein langweiliger Nerd, doch da dieses Empfinden keinen Unterschied zu meinem restlichen Leben macht, komme ich damit ganz gut klar.
Am dritten Dezember schneit es zum ersten Mal. Es ist ein Montag und so wenig begeistert ich eigentlich von einem langen Unitag bin, so sehr freue ich mich, als ich während meiner letzten Veranstaltung aus dem Fenster schaue und die weißen Flocken gen Boden tanzen sehe.
Schnee hat etwas Beruhigendes, finde ich. Zumindest, solange es nicht parallel stürmt. Doch wenn es draußen ruhig ist, alle Geräusche durch den Schnee gedämpft werden und die weichen Kristalle so langsam und friedlich zu Boden schweben, ja, dann fühle ich mich beinahe so wohl wie in der Nacht. Fast, als würde der Schnee sich wie eine schützende Decke auf meine Schultern legen.
Gegen Ende der Vorlesung nimmt der Schneefall dann deutlich zu, sodass man kaum die Gebäude gegenüber des Fensters sehen kann. Simon, welcher diesen Wetterumschwung zunächst natürlich überhaupt nicht mitbekommen hat, ruft mit einem Mal laut „Oha!" aus, was den Rest des Kurses lachen lässt. Auch ich muss schmunzeln, denn manchmal ist die Verpeiltheit meines Freundes wirklich niedlich.
„Guck mal! Schnee!", ruft er aus, als wir uns schließlich zu den Fahrradständern begeben. „Ja, ich weiß", erwidere ich und grinse über seine kindliche Freude. Als er dann losrennt und sich in der nächsten Kurve direkt auf die Nase legt, heben sich meine Mundwinkel noch mehr. Dieser Tollpatsch, wirklich.
„Alles gut?", erkundige ich mich nach seinem Befinden. Er lacht und nickt, indessen er sich den Schnee von der Hose abklopft. „Vielleicht sollten wir unsere Räder lieber nach Hause schieben", schlägt er dann vor, was ich ebenfalls für eine gute Idee halte.
Schon nach wenigen hundert Metern müssen wir uns voneinander verabschieden, weshalb ich daraufhin allein durch den Schnee stapfe. Meine Sneaker sind so gar nicht für dieses nasskalte Wetter gemacht, weshalb ich bereits nach wenigen Minuten das Gefühl habe, zwei Eisklötze an meinen Beinen hängen zu haben. Doch ich genieße diesen eher unfreiwilligen Spaziergang trotzdem. Die Welt ist nicht so laut und voll und das Schneetreiben macht alles ein wenig unscharf, sodass ich mich, ähnlich wie im Nebel, fast als Teil des großen Ganzen fühle. Auch die anderen Menschen haben sich Kapuzen über den Kopf gezogen und wirken nun ähnlich unscheinbar wie ich. In diesem Augenblick fühle ich mich beinahe wohl mit mir und der Welt.
„Oh, hi, Theo", unterbricht eine hohe, raue Stimme meine Gedanken. Überrascht hebe ich meinen Kopf und linse zur Seite. Sofort reiße ich meine Augen auf, denn wenn mich der Blick durch meine beschneite Brille nicht täuscht, trottet Tomke mit seinem Rad neben mir her.
„Oh... Hey", erwidere ich, nur leicht überfordert, und lächle ihn vorsichtig an. Tomkes Mundwinkel heben sich ebenfalls. Kurz schweigen wir, dann fragt er mich, ob ich ebenfalls schon gestürzt bin und deshalb schiebe.
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Teen Fictionnachtfalter - das einzig besondere an mir bist du. Mein ganzes Leben lang war ich immer der Unscheinbare. Ich entspreche in so vielen Punkten dem Durchschnitt, fühle mich normal oder noch viel eher langweilig. Ich bin weder besonders hübsch, noch sc...