Auf dem Rückweg vom Buchladen treffe ich draußen auf meinen Nachbarn, welcher gerade von der Arbeit zu kommen scheint. „Hey", lächle ich ihm zu, weitaus sicherer mit mir selbst als beim letzten Mal. Natürlich lange nicht so sicher, wie ich mich in der Dunkelheit fühlen würde, immerhin kann er gerade meinen langweiligen Körper sehen. Zudem habe ich im Hellen immerzu das Gefühl, dass man mir ansieht, wie unwohl ich mich in dieser Welt fühle.
„Hallo", erwidert er, vorsichtig die Mundwinkel hebend. Er ist wirklich süß. Kurz überlege ich, ihn nach seinem Namen zu fragen, doch in diesem Moment vibriert mein Handy in meiner Hosentasche. „Was?", mache ich, nachdem ich gesehen habe, dass es Celina ist. „Jannik hat Kuchen gebacken! Kommst du vorbei?", will sie wissen. Ich zucke mit den Schultern, obwohl sie mich nicht sehen kann. „Zu Kuchen sag ich doch nicht nein. Ist Simon auch dabei?", erkundige ich mich und erfreue mich an dem leichten Grinsen, welches den hübschen Mund meines hübschen Nachbars umspielt.
Celina quatscht irgendetwas in mein Ohr, doch ich beobachte, wie mein Nachbar sein Rad abschließt und mir dann schüchtern zuwinkt, ehe er im Haus verschwindet. Mit fällt auf, dass ich ziemlich seltsam mitten auf der Straße herumstehe und mache, dass ich ebenfalls reinkomme.
„Theo?", macht meine Freundin, weshalb ich verplant „Hmm?" antworte. „Was ist jetzt?" Ich schließe die Wohnungstür auf, da ich noch meine Buch-Beute ablegen muss. „Wann soll ich da sein?", frage ich zurück, worauf sie dramatisch seufzt. „Hab ich doch schon gesagt, fahr einfach jetzt los. Wo warst du mit deinen Gedanken?", hakt sie nach. „Uhm...", grinse ich. Vorsorglich schließe ich kurz meine Zimmertür hinter mir, obwohl keines meiner Familienmitglieder zu sehen war. „Vielleicht hab ich meinen Nachbarn beobachtet", antworte ich ihr dann. Celina lacht. „Okay, dann sei dir verziehen. Du machst dich aber jetzt auf den Weg, oder?", erkundigt sie sich. Ich schüttel amüsiert den Kopf. „Klar, ich schwinge mich sofort aufs Rad. Bis gleich!"
Wie gewohnt sind meine drei Freunde diejenigen, die den allergrößten Teil der Konversation betreiben. Die Zwillinge erzählen von einem Ausflug mit ihren Eltern, Simon lacht viel, verschluckt sich regelmäßig an seinem Tee und stößt sich am Tisch, wenn er seinen andauernd abstürzenden Kuchen vom Boden rettet. Ich habe keine Ahnung, wie dieser Junge überlebt.
Nachdem ich auf Nachfrage nur geantwortet habe, dass ich das lange Wochenende über viel gelesen habe, erhebe ich fast gar nicht mehr meine Stimme, doch es ist okay. Ich fühle mich nicht unwohl, denn meine Freund.innen halten mich davon ab, dass meine Gedanken abstürzen.
Am Dienstag beobachte ich meinen Nachbarn nur durch das Fenster, am Mittwoch treffe ich ihn, eventuell ein kleines bisschen beabsichtigt, als er von der Arbeit kommt. Wieder grüßen wir uns freundlich, doch mehr passt irgendwie nicht in die Situation. Ich ärgere mich etwas darüber und nehme mir vor, ihn das nächste Mal vernünftig anzusprechen.
Am Donnerstag kann ich bereits um viertel nach sechs Uhr nicht mehr schlafen, weshalb ich an diesem Morgen alle Zeit der Welt habe. Die Sonne geht zwar erst gegen halb acht auf, da es mittlerweile Ende Oktober ist, doch um kurz nach sieben wird es schon langsam hell. Aus diesem Grund verlasse ich nach einem einsamen Frühstück mit meinem Rucksack das Haus.
Draußen ist es noch ganz still. Ich radle ein wenig zum Stadtrand, welcher nicht allzu weit entfernt ist, und beobachte, wie sich der Himmel über den Feldern langsam verfärbt. Das beinahe einzige Geräusch sind die singenden Vögel und ich genieße die Ruhe. Niemand ist um mich herum, der mich nerven oder bewerten könnte.
Die Umrisse der Bäume sind erst noch ziemlich ungenau, werden jedoch immer deutlicher, je heller es wird. Ein Rabe zieht krächzend ganz nah an mir vorbei, als wäre ich Teil der Landschaft. Als würde ich dazugehören, statt mich, wie es zumeist unter Menschen der Fall ist, ausgeschlossen zu fühlen.

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Teen Fictionnachtfalter - das einzig besondere an mir bist du. Mein ganzes Leben lang war ich immer der Unscheinbare. Ich entspreche in so vielen Punkten dem Durchschnitt, fühle mich normal oder noch viel eher langweilig. Ich bin weder besonders hübsch, noch sc...