Das Wochenende geht mit dem neuen Buch wie im Flug vorüber und ehe ich mich versehe, ist auch die nächste Uniwoche halb rum. Nach der dritten Veranstaltung verlassen meine Freunde und ich zusammen die Uni. „Machen wir diese Woche mal wieder was zusammen?", will Celina wissen. „Am Wochenende fahren wir mit unseren Eltern weg, deshalb vielleicht vorher", fügt sie hinzu.
„Aber klar", lacht Simon gewohnt langsam, dann stößt er mich etwas zu heftig mit seiner Schulter an. Ich muss einen Ausfallschritt machen, um wegen diesem tollpatschigen Riesenbaby nicht mit dem Boden bekannt zu werden. „Ja, ich bin auch dabei", nicke ich grinsend. Die anderen drei Lachen ebenfalls, dann nehmen wir uns alle auf diese kumpelhafte Weise halb in den Arm. „Wir schreiben", legt Jannik fest, indessen er seiner Schwester einen Arm um die Schultern legt und uns zuwinkt.
Eine Viertelstunde später schließe ich die Wohnungstür auf. Unschuldiges Kinderlachen schallt mir entgegen, weshalb ich dem Geräusch folge und schließlich in die Küche trete. Dort steht mein Vater, welcher wie jeden Mittwoch nur halbtags arbeitet und gerade den Einkauf verräumt. Mein jüngster Brunder Tarjei sitzt, mit den Beinen baumelnd, auf der Anrichte und strahlt mich an. „Theophil!", ruft er freudig aus, was mir ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Sanft wuschle ich dem Neunjährige durch die Haare, ehe ich das Klopapier nehme, um es in die Abstellkammer zu bringen.
„Danke, Großer", freut sich Papa lächelnd und streicht mir einmal liebevoll über den Rücken, als ich an ihm vorbei gehe. Auch, wenn es nur eine kleine Geste war, freut es mich, dass mein Vater mir wenigstens ein bisschen Aufmerksamkeit zukommen lässt. Und selbst wenn ich auch beim Abendessen kaum zu Wort komme, fühle ich mich heute irgendwie wohl zwischen meinen Familienmitgliedern. Zumindest stelle ich mir nicht, wie sonst häufig, vor, dass ich woanders wäre.
Die Nacht zum Donnerstag und geht vergleichsweise gut vorüber. Zwar habe ich sicherlich nicht mehr durchgeschlafen, seit ich zwölf bin, doch ich wache nur drei Mal auf und liege jedes Mal nicht länger als eine halbe Stunde wach. Gut gelaunt stehe ich auf und bewege mich unter die Dusche, dann mache ich mir ein Müsli. Genervt stelle ich fest, dass es wieder einmal keine Hafermilch im Kühlschrank gibt, weil meine Eltern scheinbar jedes verdammte Mal beim Einkaufen vergessen, dass ich keine Kuhmilch mag. Aus diesem Grund frühstücke ich ohne Kaffee, bevor ich meinen Rucksack hole und rausgehe. Am Donnerstag habe ich nämlich immer erst um elf Uni, weshalb ich erst mal einen kleinen Besuch vorhabe.
Im Supermarkt kaufe ich nicht nur Hafermilch, sondern auch Haferkekse und diese seltsamen Waffelkekse für Herrmann, obwohl ich keine Ahnung habe, wie man diese so gern mögen kann.
Der Buchhändler meine Vertrauens begrüßt mich freudig und fragt mich, wie mein langer Tag gestern war. Ich bin wirklich fasziniert, dass er sich teilweise sogar meine Klausurtermine merkt. Im Gegensatz dazu kann ich mich glücklich schätzen, wenn meine Eltern sich meine Semesterferien merken, da diese nunmal deutlich von den Schulferien meiner restlichen Geschwister abweichen.
„Ist die Uni schon stressig?", will Herrmann zwischen zwei Schlücken Kaffee wissen. Ich schüttle den Kopf, meine Hände um meine Lieblingstasse geschlungen. „Dann muss ich wohl ganz viele Bücher für dich auf Lager haben", stellt er schmunzelnd fest, ehe er sich langsam erhebt. „Tatsächlich habe ich was Neues reinbekommen. Nur weiß ich nicht so genau... Ich denke, es könnte dir gefallen, aber wenn ich da falsch liege, dann sei mir bitte nicht böse", murmelt er, indessen er ernst auf mich hinab schaut.
Ich zucke verwundert mit den Schultern. „Du kennst du meinen Buchgeschmack ziemlich gut, also warum sollte ich dir böse sein?", lächle ich fragend. Der ältere Herr seufzt leise. „Ich hole es eben. Wenn du es nicht haben willst, räum ich es einfach wieder weg", verspricht er. Während ich seiner vertrauten Gestalt hinterherschaue, welche ich irgendwie mit Gemütlichkeit assoziiere, überlege ich weiterhin, warum er so unsicher mit diesem Buch ist.
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Novela Juvenilnachtfalter - das einzig besondere an mir bist du. Mein ganzes Leben lang war ich immer der Unscheinbare. Ich entspreche in so vielen Punkten dem Durchschnitt, fühle mich normal oder noch viel eher langweilig. Ich bin weder besonders hübsch, noch sc...