*TW: Erwähnung von Übergriffigkeit und queerfeindlichem Verhalten*
Am Wochenende beginnt der März und bringt vorsichtig frühlingshaftes Wetter mit sich. Ich treffe mich mit meinen Freund:innen für einen großen Spaziergang, der das erste Eis des Jahres beinhaltet, und habe eine lustige Zeit mit ihnen. Jannik fragt mich, wie es mit Tomke läuft und ich berichte etwas lückenhaft, dass ich das Gefühl habe, dass zwischen uns tatsächlich mehr als Freundschaft ist, ich dem Ganzen aber alle Zeit der Welt geben will. Zumindest scheint das meinen Kumpel zu beruhigen, welcher sich nach wie vor darum sorgt, dass ich auf etwas hoffe, was nicht passieren wird und mich damit selbst enttäusche. Allerdings glaube ich fest daran, dass Tomke und ich eine Zukunft haben, die über das Platonische hinausgeht.
Am Montag beginnt mein Praktikum bei einem biochemischen Forschungsinstitut in der Abteilung der Datenanalysen. In meiner ersten Woche stelle ich fest, dass ich nur selten volle acht Stunden am Tag arbeiten muss, außerdem ist das Team wirklich nett. Alle Mitarbeitenden sind eher schweigsam, aber hilfsbereit, freundlich und geben mir das Gefühl, dass ich schon etwas in meinem Studium gelernt habe, was ich nun anzuwenden lerne. Die Arbeit macht mir Spaß und schon nach wenigen Tagen habe ich die Vermutung, dass ich in dieser Branche am richtigen Platz bin.
Tomke und ich treffen uns nicht nur am Montag, sondern an fast jedem Tag unter der Woche, selbst, wenn es nur für ein oder zwei Stunden ist. Oft kochen wir zusammen, oder besser gesagt, ich koche in der WG, während Tomke mit den Beinen baumelnd und überaus hübsch aussehend auf der Arbeitsplatte sitzt. Unser Umgang miteinander wird immer selbstverständlicher, und wann immer Niklas ebenfalls von der Partie ist, macht er bedeutungsschwere Sprüche über uns. Führte das am Anfang noch zu Verlegenheit, so nehmen wir es nach ein paar Abenden mit Humor.
Am Mittwoch Abend haben wir etwas mehr Zeit, weil Tomke an diesem Tag keinen Sport macht, und mir gelingt es endlich, ihn dazu zu überreden, dass er mir etwas vorspielt. Und falls das noch möglich ist, verliebe ich mich noch mehr in ihn, als er da so an seinem Klavier sitzt und dem Instrument die mitreißendsten Melodien entlockt.
Am Freitag holt er mich von meinem Praktikum ab, weil er einen kürzeren Tag hat als ich, und versucht sich erneut daran, mit das Skaten näherzubringen. Am Samstag Nachmittag besuchen wir gemeinsam eine Veranstaltung von queeren Künstler:innen, bei der abwechselnd Autor:innen aus ihren Büchern vorlesen und Musiker:innen ihre Songs vorstellen. Wieder findet diese in dem Literaturhaus statt, wo ich schon mit meinen Freund:innen in der queeren Ausstellung war, und Tomke und ich sind uns einig darin, dass wir öfter an solchen Ereignissen teilhaben wollen.
Auch in der zweiten Woche meines Praktikums sehe ich Tomke beinahe täglich. Ich genieße die Zeit mit ihm von ganzem Herzen und die Tatsache, dass wir immer weiter zusammenwachsen zu scheinen, lässt mich in seiner Gegenwart immer sicherer und genau richtig fühlen. Längst verschwende ich keinen Gedanken mehr daran, wie laut ich lache, was ich von mir erzähle oder wie ich mich kleide. Doch auch, wenn ich mal ohne Tomke bin, zweifel ich beinahe gar nicht mehr an mir. Einzig und allein das fehlende Interesse meiner Familie darüber, wo ich die ganze Zeit über hin verschwinde, nagt ein wenig an mir. Allerdings ziehe ich daraus immer weniger den Rückschluss, dass es meine Schuld ist, dass sie sich nicht um mich kümmern, und glaube daran, dass mit mir alles richtig ist. Diese Tatsache wiederum wirkt sich positiv auf meinen Schlaf aus, denn auch, wenn ich nach wie vor nicht durchschlafen kann, liege ich nur seltenst nachts lange wach.
Am Freitag ist das Wetter zum ersten Mal seit Beginn des März wieder grau und verhangen. Aus diesem Grund schreibe ich Tomke, dass er mich nicht vom Praktikum abholen muss und ich stattdessen zu ihm nach Hause komme, sobald ich Feierabend habe. Da wir heute länger als gedacht Probleme damit hatten, Ausreißer in einem Datensatz zu finden, habe ich tatsächlich beinahe bis sechzehn Uhr gearbeitet. So stehe ich nun etwas gehetzt vor der Haustür, bis ein verzehrtes „Hallo?" aus der Gegensprechanlage erklingt. Verwirrt runzle ich die Stirn, da mit Tomke normalerweise sofort aufmacht. „Hier ist Theo", antworte ich also, woraufhin der Öffner kommentarlos summt.

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Fiksi Remajanachtfalter - das einzig besondere an mir bist du. Mein ganzes Leben lang war ich immer der Unscheinbare. Ich entspreche in so vielen Punkten dem Durchschnitt, fühle mich normal oder noch viel eher langweilig. Ich bin weder besonders hübsch, noch sc...