Die Kapuze meines Hoodies ist ziemlich durchnässt, als ich nach der Vorlesung zu Hause ankomme. Vielleicht sollte ich morgen eine Regenjacke mitnehmen. Andererseits mag ich es, den Regen auf meiner Haut zu spüren. Ebenso wie die Dunkelheit umhüllt er mich wie ein schützender Mantel. Oder eine Tarnkappe, um gänzlich unsichtbar zu werden.
Seufzend schließe ich mein Fahrrad am Zaun vorm Haus an, da ich nachher noch Handball habe. Schon seit Jahren bin ich in dieser gleichen Aufbau-Gruppe, von der nach und nach alle in die Mannschaft wechseln, welche auch Matches hat. Nur ich bleibe immer dort, da ich einfach nicht besonders begabt bin. Und nicht besonders ehrgeizig. Jannik ist schon vor Jahren aufgestiegen und spielt mittlerweile in irgendeinem Kader, weshalb meine Motivation noch weiter nachgelassen hat. Um den Verein zu kündigen, bin ich aber auch zu faul zu. Außerdem würde ich sonst beinahe gar kein Sport machen.
Im ersten Stock schließe ich die Wohnungstür auf und schlüpfe aus meinen nassen schwarzen Sneakern. Wie aus dem Nichts taucht mein Vater auf. „Machst du deine Schuhe bitte erst sauber, Theophil? Du machst hier alles dreckig", stellt er fest, obwohl ich bereits nur noch auf Socken unterwegs bin. „Wenn du Hunger hast, kann ich dir was zu Essen warm machen", fügt er noch hinzu, ehe er wieder verschwindet. Wahrscheinlich, um sich um meine Geschwister zu kümmern.
Schulterzuckend lasse ich meine Schuhe, so wie sie sind, im Regal stehen und gehe wortlos in mein Zimmer. Desinteressiert lasse ich meinen Rucksack zu Boden fallen, ziehe meine feuchte Jeans aus und tausche sie gegen eine dunkelgraue Jogginghose, ehe ich mich mit meinem Handy und aktuellem Buch auf mein Bett fallen lasse. Als ich aus meinem Kinderbett herausgewachsen bin, habe ich meinen Eltern gesagt, dass ich einfach eine große Matratze haben will, welche jetzt in einer Ecke meines Zimmer liegt. Dafür steht an jedem freien Fleck meines Raums ein Bücherregal.
Als ich kurze Zeit später aufstehe, um mir eine auf dem Schreibtisch stehende Wasserflasche zu holen, fällt mein Blick aus dem Fenster. Automatisch schaue ich zum Haus schräg gegenüber, und tatsächlich steigt unten gerade jemand von seinem Rad ab. Ich meine, meinen hübschen Nachbarn zu erkennen. Er bückt sich, wahrscheinlich, um sein Fahrrad anzuschließen, sodass ich mir aufgrund seines prominenten Hinterns quasi sicher sein kann, dass er es ist. Gebannt starre ich nach draußen. Der Typ schiebt sich jetzt die Kapuze vom Kopf und streicht sich ein paar feuchte Strähnen aus der Stirn, was ihn ziemlich attraktiv wirken lässt. Zu meiner Enttäuschung dreht er sich währenddessen um und ist kurz darauf durch die Haustür verschwunden.
Ich finde heraus, dass mein Nachbar mit dem karamellfarbenen Haar jeden Tag um zwanzig nach fünf nach Hause kommt, was sicherlich nicht daran liegt, dass ich am Montag auf die Uhr geschaut habe. Zumindest bis Mittwoch bin ich mir dessen sicher, doch am Donnerstag findet der Unisport-Kurs „Spiel und Spaß", bei welchem ich mich mit Simon angemeldet habe, statt, weshalb ich selbst erst um viertel nach sieben verschwitzt nach Hause komme.
Schnell werfe ich einen Blick auf die andere Straßenseite, doch sein Fahrrad steht nicht an seinem angestammten Platz. Ob er heute, ebenso wie am Montag und Dienstag, um halb sieben wieder davongefahren ist? Was er wohl abends immer macht? Die Tasche über seiner Schulter lässt auf Sport schließen. Ich frage mich, was er für einen Sport macht und fühle mich dabei wie ein Stalker. Doch so richtig kann ich ja nichts dafür, dass mein Schreibtisch direkt am Fenster steht und mein Gehirn außerdem ein Radar für diesen Menschen zu haben scheint.
Etwas erledigt von meinem langen Tag steige ich direkt unter die Dusche, dann schmiere ich mir auf der Arbeitsplatte drei Brote, während meine Mutter den Geräuschen nach zu urteilen gerade Tarjei ins Bett bringt. Mein Vater sitzt schätzungsweise bei meiner Schwester im Zimmer, doch mir ist es ein bisschen egal. Ich will nur noch lesen. Und dann am liebsten schlafen, doch in wie weit das klappt, bleibt abzuwarten.
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Ficção Adolescentenachtfalter - das einzig besondere an mir bist du. Mein ganzes Leben lang war ich immer der Unscheinbare. Ich entspreche in so vielen Punkten dem Durchschnitt, fühle mich normal oder noch viel eher langweilig. Ich bin weder besonders hübsch, noch sc...