|7-viel|

23 1 2
                                    

„Du siehst heute irgendwie besser aus als die letzten Tage", findet Celina, als wir zwischen zwei Veranstaltungen gemütlich zu viert zusammen sitzen. Jannik und Simon unterhalten sich über ihre Vorleistungen, doch die Hellblonde und ich hatten keine Lust, uns mehr als nötig damit zu beschäftigen.

Ich zucke mit den Schultern. „Joa", mache ich nicht besonders aussagekräftig. Sie legt den Kopf schief. „Du willst nicht reden, oder?", stellt sie fest. Ich bemühe mich um einen unbeteiligten Gesichtsausdruck, indessen es in meinem Bauch umangenehm grummelt. So sehr ich mir manchmal wünsche, dass sich jemand für mich interessiert, so wenig komme ich in der Realität damit klar.

„Worüber sollte ich reden wollen?", frage ich also. Vielleicht klingt meine Stimme ein kleines bisschen abweisend, doch Celina scheint sich davon nicht irritieren zu lassen, denn sie seufzt nur leise.

„Ich mache mir Sorgen um dich, Theo. Du bist tagelang abwesend, immer müde und irgendwie habe ich das Gefühl, dass du nie so richtig lachst", murmelt sie. Der durchdringende Blick aus ihren hellblauen Augen scheint den Druck in mir zu verstärken, weshalb ich meinen Kopf zum Fenster wende. Indessen ich ein Flugzeug am hellblauen Himmel beobachte, zucke ich erneut mit den Schultern. Was soll ich auch dazu sagen?

„Du kannst doch nicht immer alles nur mit dir selbst aus machen", fügt meine Freundin hinzu. Ich spüre, wie sie von der Seite meinen Blick sucht, weshalb ich die Kondensstreifen zähle. Es sind vier, und der eine schient ein wenig dünner zu sein als die anderen drei. Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, weit weg zu gehen, doch ich habe keine Ahnung, wohin ich will. Oder wie weit weit genug weg wäre. Oder wovor ich eigentlich fliehen möchte. Ich glaube nicht, dass ich mich irgendwo wohler fühlen werde, nur, weil die Welt ein wenig anders aussieht. Außerdem fehlt mir für eine solche Aktion der Mut.

Celina legt nun wortlos einen Arm um meine Schultern. Unfähig, mit der Situation klar zu kommen, bleibe ich einfach genau so sitzen. Sie seufzt erneut und lehnt sich gegen mich. „Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du willst. Ob zum reden oder weil du einfach mit jemandem rumhängen willst", bietet sie mir an. Ich nicke etwas zu zackig, denn ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll, dass sich jemand um mich sorgt.

Die restliche Zeit bis zum nächsten Seminar schweigen wir, doch Celina lässt mich nicht los. Irgendwie bin ich dankbar dafür, doch einem kleinen Teil von mir ist all das zu viel. Simon lacht ein wenig zu laut, Janniks Sprüche sind ein bisschen zu klug, Celina ist mir ein paar Zentimeter zu nah. Körperlich, aber auch seelisch. Wieso hat sie bemerkt, dass es mir nicht besonders gut geht? Und wieso interessiert sie das auch noch?

Neben mir diskutieren zwei Studierende so laut, dass meine Ohren klingeln, und das knallige Blau des Himmels brennt in meinen Augen. Nach drei Tagen heruntergeschraubter Sinneswahrnehmung kommt mir die Welt heute zu laut, zu hell, so groß vor. Mit einer Hand ziehe ich mir die Kapuze meines Hoodies über den Kopf, doch es hilft nicht. Alles ist ein bisschen zu viel.

Nach dem letzten Seminar verabschiede ich mich nur flüchtig von meinen Freunden, um so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Unter dem Vorwand, meine Vorleistung noch einmal überarbeiten zu müssen, verkrieche ich mich auf mein Zimmer, während ich leise Musik höre. Meine dunkelblauen Vorhänge ziehe ich zu, als ich schließlich mit meinen Laptop zu meinem Bett gehe und mich auf einer Ecke der Matratze niederlasse. Aus der Bettwäsche baue ich eine kleine Mauer, sodass ich zwischen dieser und der Wand gerade genug Platz habe, um mich zusammenzurollen.

Das Meer aus Graphen, Formeln und Zahlen scheint eine beruhigende Wirkung auf mich zu haben, denn als ich das nächste Mal auf die Uhr schaue, ist es bereits abends. Ich muss mindestens drei Stunden geschlafen haben, sodass ich jetzt alles andere als müde, dafür aber umso hungriger bin.

nachtfalterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt