Atemberaubend
Das Gras neben dem Weg erstreckt sich über viele Kilometer. Es wiegt sich sanft im Wind. Da sich keiner um das Feld kümmert, wächst das Gras hoch und viele Blumen leben innerhalb von ihm. Ich erspähe orangefarbene Mohnblumen in dem saftigen, grünen Gras. Ihre Farbe leuchtet in der Sonne. Sie strecken ihre Blüten in das Licht. Aber auch andere Arten kann ich beobachten.
Vorsichtig landet eine Hummel auf einer der Blüten. Sie sieht flauschig aus. Flauschig. Aber auch empfindlich. Ich könnte sie so schnell erdrücken. Hoffentlich wird dies niemals passieren.
Ich laufe den Weg entlang. Wenige Meter vor mir erstreckt sich der riesige Wald. Die Laubbäume wedeln mit ihren Blättern im sanften Wind. Währenddessen bewegen sich die Äste und Zweige der Fichten auf und ab. Mehr kann ich noch nicht sehen.
Im Wald ist es kühler. Die Sonne dringt nicht mehr auf den Boden. Die wenigen Strahlen fange ich mit meinem Gesicht auf.
Mit geschlossenen Augen stehe ich da. Ich mache nichts. Meine Füße bleiben fest verankert an der Stelle. Durch die Blätter werden die Strahlen immer wieder unterbrochen. Es ist schön. Wunderschön. Die Vögel zwitschern im Hintergrund. Ich höre viele verschiedene Gesänge.
Nun öffne ich meine Augen. Einige Minuten stand ich nur herum. Doch es waren wundervolle Minuten. Ein Moment, den ich gerne eingefangen hätte.
Doch leider kann man Momente nicht einfangen oder aufbewahren. Darum sollte man sie mit jeder Faser des Körpers fühlen. Man sollte sie genießen und auskosten, denn sie kommen nie mehr zurück.
Ich setze mich in Bewegung. Langsam schlendere ich über den befestigten Waldboden. Es fühlt sich schön an. Manche Steine weichen meinem Fuß, sobald ich auftrete.
Behutsam rolle ich einen kleinen Stein vor mir her. Ich liebe dieses Geräusch. Leider verliere ich ihn jedoch schnell. Aber ich verkrafte das schon. Ein innerlicher Schmerz bleibt trotzdem.
Ich laufe immer noch langsam den Weg entlang. Das Grün wirkt saftig. Der Wald scheint gesund. Das ist mir sehr wichtig. Wir brauchen Wälder. Und ob man's glaubt oder nicht, wir müssen auch auf sie Acht geben.
Doch dieser Wald ist gesund. Ab und zu sehe ich zwar einen umgefallen Baum, aber das ist nichts unnormales. Der Wind kann einen alten und holen Baum ohne große Mühe umwerfen.Eine kleine Amsel landet neben mir auf einem Zweig. Sie sieht mich mit ihren großen Augen an. Es mag vielleicht eigenartig klingen, doch ich kenne diese Amsel. Ich habe sie Frederik getauft. Frederik begegnet mir oft hier im Wald. Ich weiß nicht mehr so genau wie es begann, doch nun sind wir gute Freunde.
Die kleine Amsel hüpft neben mich. Ich stupse ihn vorsichtig an, woraufhin er zusammen zuckt und einen Meter weg rennt. Doch nach wenigen Sekunden steht er schon wieder neben mir. Mein guter Freund Frederik. Er ist mir ans Herz gewachsen. Doch auf einmal fliegt er weg. Ich bin verwirrt. Habe ich etwas Falsches getan? Sicher nicht.
Ich weiß nicht warum, aber aus irgendeinem Grund warte ich auf meinen kleinen Freund. Ich hoffe sehr er kommt wieder. Ich habe schließlich nichts schlimmes gemacht.
Warum stehe ich immer noch hier? Er wird nicht kommen.
Doch gerade als ich mich in Bewegung gesetzt hatte, höre ich ein vertrautes Zwitschern. Frederik! Doch ich kann auch eine andere Amsel ausfindig machen. Besser gesagt, eine Amsel-Dame. Sie fliegt neben ihm her. Beide setzen sich auf einen Ast. Frau Amsel platziert sich jedoch weiter von mir entfernt.
Frederik scheint das nicht zu gefallen. Denn auf einmal schreit er aus vollem Hals seine Freundin an. Die zuckt benommen zusammen. Ich finde es ja nett, dass er sich für mich einsetzt, aber so bitte nicht.
„Frederik! Was soll das? Lass sie doch!", motze ich ihn an. Das erzielt die gleiche Wirkung bei ihm, wie sein Schrei bei Frau Amsel.
Jetzt ist anscheinend Frau Amsel dran. Sie zwitschert munter vor sich hin. Ich kann zwar kein Amselisch, aber ich glaube das nennt sich auslachen. Sie setzt sich neben Frederik und wird immer lauter.
Wenn ich das jemandem erzählen würde, hätte ich gleich den nächsten Titel als Außenseiterin.
Verwirrt beobachte ich das Spektakel. An sich ist es ganz normal oder? Auch Vögel können sich streiten. Und auch Vögel können Stimmungsschwankungen haben...oder?
Frederik und Frau Amsel beweisen es gerade. Sie schreien sich aus vollem Hals an. Und auf einmal sitzen sie dicht zusammen gekuschelt nebeneinander und starren mich aus ihren Knopfaugen an.
Genauso starre ich zurück. Ein Nachteil: Es hieß 2 gegen 1Das passiert gerade nicht wirklich oder? Das erzähle ich lieber niemandem...
Nach einem kurzen Starr-Wettkampf verabschiede ich mich von Familie Amsel.
Ich bin stolz auf Frederik. Endlich hat er ein Mädchen gefunden. Seine Ex hatte ihm lange Liebeskummer beschert. In dieser Zeit hatte er mir echt leid getan.
Ich bin wieder in meinem Spaziergang. Und das guten Gewissens. Schließlich habe ich Freddy in guten Flügeln gelassen. Oder doch eher Krallen? Ach ist ja auch egal.
Der Wald ist bewundernswert. Und wenn man genau hinschaut kann man so viel sehen. Aber jeder hat andere Interessen.
Meine ist der Wald. Andere lieben ihren Sport. Die nächsten mögen Zeichnen oder Instrumente. Und dann gibt es auch Leute, die lieben Mathe (nicht ich).Mathe. Ja, die Lehrer haben Recht. Mathe begegnet uns überall im Alltag. Auch hier. Das liegt daran, dass das was man hasst, nicht aus dem Kopf bekommt. Also ja, sie haben Recht.
Ach Mist! Ich hab noch Hausaufgaben. Und das in - wer hätte es gedacht - Mathe. Och nö. Das muss echt nicht sein. Gerade will ich doch den Wald genießen. Na toll. Dankeschön meine beste Freundin, liebe Mathematik.
Also drehe ich mich mitten im Schritt um und gehe den Weg zurück. Mal sehen ob das Amselpaar noch da ist.
Als ich ankomme, ist der Zweig befreit. Erst jetzt fällt mir auf wie demoliert das Bäumchen ist. Den Rehen scheint es geschmeckt zu haben.
Leicht grübelnd wie es Freddy und Frau Amsel geht, laufe ich weiter in Richtung Blumenfeld.
Es ist dunkler geworden. Die Farben der Blumen leuchten nicht mehr so stark. Doch das macht nichts. Aber vielleicht sollte ich wirklich nach Hause. Meine Eltern dürften bald da sein.
Ich laufe und laufe, bis ich endlich das kleine Häuschen erblicken kann. Es glänzt schön in der Abendsonne. Und es ist auch noch kein Auto zu sehen. Perfekt.
Vor dem Haus nehme ich einen letzten Atemzug. Ich koste diesen aus. Die Luft ist kühler, aber angenehm.
Jetzt kann ich voller Freude meine Mathe Hausaufgaben erledigen. Das beste kommt immer zum Schluss, hab ich recht?
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The Endless Forest
FantasyPure Fantasie. Das denkt jeder, wenn er an einen endlosen Wald mit eigenartigen Wesen denkt. Jeder würde es für verrückt halten. Aber, was, wenn ich dir sage, dass es tatsächlich so etwas gibt? Und ich dorthin geraten bin? Hätte mir jemand gesagt, d...