So wie ich zur Tür herein platze, erhalte ich auch schon einen Anruf. Doch ich beschließe, erst meine Schuhe und Jacke auszuziehen. Dann schaue ich auf das Display meines Handys.
Ina hat mich angerufen. Vielleicht ist was passiert? Ich sollte sofort zurückrufen.
Doch gerade als ich die Nummer eintippen will, höre ich ein weiteres Klingeln meines Handy. Es vibriert in meiner Hand. Ich sehe Inas Nummer erscheinen. Sie ruft zum 2. Mal an. Das muss wichtig sein. Ich hoffe ihr ist nichts passiert...
„Hey Ina! Was ist denn los?", platze ich sofort hervor. Doch auch Ina redet nicht lange drum herum: „Wo bist du?" „Zuhause." „Warst du im Wald?", fragt sie. Warum fragt sie so etwas? Die Antwort kennt sie eigentlich schon. „Ja klar. Ich gehe doch jeden Tag im Wald spazieren", erwidere ich. „Geh bitte nicht mehr dorthin. Bitte lass es einfach", antwortet sie. Wie bitte? Das ging zu weit! Sie konnte es mir nicht einfach verbieten! Also echt! „Ach ja? Warum denn?", sagte ich genervt. „Ist nicht wichtig. Bleib einfach hier." „Doch! Für mich ist das wirklich wichtig! Also sag es! Oder ich komme deiner Bitte nicht nach", schrie ich. Das macht mich aus irgendeinem Grund verdammt wütend. Es ist als würde man mir einen Teil meines Herzens entziehen. Das lasse ich nicht mit mir machen.
„Es geht nicht...", murmelt Ina. „Bitte mich erneut darum wenn du ein Argument hast", motze ich und lege ohne ein weiteres Wort auf.
Ich mache da ganz sicher nicht mit. Ina und ich waren schon immer wie Pech und Schwefel. Wie Feuer und Flamme. Wie ein Herz und eine Seele. Wie..wie...mir fällt nichts mehr ein. Aber es geht ums Prinzip.
Soll jetzt alles vorbei sein? Habe ich gerade meine Freundin verloren? Sie ist mir so wichtig. Ich hoffe ich habe nicht alles zerstört.
Mein Handy. Ich brauche es. Schon tippe ich auf das kleine abgerundete Viereck von WhatsApp. Ina thront auf dem obersten Platz. Logisch. Schließlich habe ich sie an gepinnt. Aber darum geht's jetzt nicht.
Ich öffne die Tastatur. Ihr Profil Bild ist schwarz. Hoffentlich nicht. Nein bitte nicht.
„Hey Ina! Bitte verzeih mir. Ich wollte nicht so harsch herüberkommen. Ich meinte es nicht so. Ehrlich. Aber der Wald liegt mir so am Herzen. Bitte. Bitte nenn mir erst einen Grund."
Schon tippe ich auf den Pfeil. Und abgeschickt.Nur leider erscheint kein 2. Hacken. Nein bitte nicht.
Sie muss wahnsinnig sauer sein.
Ich rufe sie an. Mehrfach. Keine Reaktion. Habe ich falsch gehandelt? Sie weiß, der Wald ist meine Heimat. Aber ja, ich war zu hart. Und dies ist die Strafe.
„Ruf zurück. Bitte", sind die letzten Worte die ich schnell in die Mailbox spreche. In meinem inneren ist es leer. So still. Meine Seele ist betrübt. Ich kann ihren Schmerz spüren. Schon seit dem Kindergarten sind wir befreundet. Eine Freundschaft die ewig hält. Soll so eine Freundschaft wegen einem Streit komplett zerfallen?
Mir fällt gerade erst auf, dass ich den Wald statt Ina gewählt habe. War das die richtige Entscheidung? Ist der Wald mir wichtiger als meine beste Freundin?
So viele Fragen. Keine Antworten. Und die Stille in meinem inneren. Sonst nichts.
Es ist ein grausames Gefühl. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich wirklich allein. Es war immer jemand da gewesen. Ina, Freddy, Leonardo, meine Eltern...
Und nun kann ich zu niemanden. Ina ist sauer, Frederik muss sich um sich und seine Freundin kümmern, Leonardo hat andere Probleme und meine Eltern sind nun der Meinung ich bin erwachsen und brauche sie nicht länger.Ich fühle mich als hätte ich im Lotto gewonnen. Nur habe ich Lotto mit negativen Preisen gespielt.
Vor Frust falle ich zusammen. Meine Beine verlieren ihre Kraft und geben nach. Schon liege ich wie gerädert auf dem Boden. Nichts bewegt mich dazu aufzustehen. Ich kann einfach dort liegen bleiben und mich voll und ganz dem Schicksal hingeben.
Wieso liefen die letzten Tage so bescheiden? Mein Leben spielt mit mir. Und es spielt gegen meine Karten.
Ich schließe meine Augen. Mir kann nichts mehr passieren. Wenn meine Eltern nach Hause kommen sehen sie mich auf dem Boden liegen. Aber es ist mir egal. Ich werde ihnen sagen, mir geht's gut und ich bin nur gestolpert.
Doch eigentlich sollte ich meine Eltern nicht anlügen. Aber es ist auch nicht wichtig. Wenn, nein falls ich es schaffe aufzustehen, muss ich nichts erklären. Doch gerade weiß ich nicht ob ich wirklich aufstehen möchte. Ich kann niemanden anrufen. Für mich gibt es gerade nur einen Ort.
Der Wald
Er ist mein einziger Rückzugsort. Doch ich weiß nicht. Wenn meine Familie nach Hause kommt, wird es für mich kompliziert. Also doch eher das Zimmer? In dem ich einfach das Fenster öffne? Ich weiß nur nicht was der richtige Weg ist.
Ich weiß gerade nichts.
Es ist zu viel. Ich will nur auch in meinem Leben das Licht spüren. Sowie das Licht das an einem warmen Sommertag durch die dichten Baumkronen vereinzelt den Boden berührt. In das ich meine Nase stecken kann und es sie wärmt.
Doch wenn ich jetzt in den Wald gehe verliere ich Ina vielleicht für immer. Doch wenn ich nicht gehe, gehe ich hier kaputt. Und vielleicht bekommt sie es nicht heraus. Und außerdem habe ich doch eh schon entschieden. Kann ich noch mehr verlieren?
Meine Entscheidung steht fest. Ich gehe in den Wald. Er ist meine Heimat. Meine Zuflucht. Ich fühle mich nirgends wohler.
Mühsam rappele ich mich auf. Ich stehe wieder auf meinen Füßen. Die Leere ist nicht verschwunden aber anders geht es jetzt nicht. Also los.
Vorsichtig schlüpfe ich in meine Sneaker, ziehe meine dünne Jacke an und fasse nach dem Griff unserer hölzernen Tür.
Doch schon höre ich ein vertrautes Klimpern. Es ist das Klimpern eines Schlüssel. Ich schnappe von der Haustür nach hinten. Schon wird der Schlüssel herumgedreht und die Tür springt auf.
Meine Mutter. Sie steckt ihren Schlüssel wieder zurück in die Tasche und tritt ins Haus. Noch hat sie mich nicht bemerkt. Zumindest bis jetzt.
„Oh hallo Flora!", sagt sie, „Wie war die Schule. Kamst du erst jetzt nach Hause?" „Oh hi! Nein bin schon länger hier. Wollte gerade raus gehen", erwidere ich. „Soll ich Platz machen?", fragt meine Mutter. „Nee alles gut. Jetzt kann ich auch drinnen bleiben. Hatte nur Langeweile", antworte ich. „Okay. Super", sagt sie fröhlich.
Nur leider fällt mir wieder meine Trauer ein. Sofort verändert sich mein Gesichtsausdruck. Dies scheint auch meine Mutter zu merken.
„Alles gut Schatz? Du siehst irgendwie traurig und frustriert aus", fragt sie besorgt. „Ja. Alles gut." „Ich kenne dich seit 17 Jahren. Du kannst mir nicht viel vormachen. Also, was ist los?", erklärt sie.
„Ich habe Streit mit Ina. Ich bin sie übel angegangen und jetzt hat sie mich überall blockiert und ruft nicht mehr zurück", sage ich deprimiert. „Ach Flora. Das wird wieder. Wenn du sie angegangen bist, kannst du nicht erwarten, dass es sie nicht verletzt. Aber Freundschaften zerbrechen nicht von einem Streit. Wenn es eine gute Freundschaft ist, hält sie ein paar Stürme schon aus", erwidert meine Mutter einfühlsam.
Wow. Das hat gut getan. Ein Stück wärmer wurde mir um mein Herz. Es war ein wunderschönes Gefühl. Sie versteht meinen Schmerz nicht komplett, aber wenigstens geht es mir nun ein wenig besser. Mehr kann ich nicht erwarten. Schließlich versteht sie meinen Schmerz nicht vollkommen. Aber so reicht es.
In den Wald werde ich jetzt nicht mehr gehen. Dazu ist es nun schon doch ein wenig dunkel. Wie lange lag ich denn bitte auf dem Boden?! Na ist auch egal. Ich kann es nicht ändern.
Also ich jetzt doch lieber in das Zimmer und genieße die frische Luft des Waldes. Ein leichter Duft liegt in der Luft. Vielleicht sind es aber auch nur die Blumen auf meinem Fensterbrett.
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The Endless Forest
FantasyPure Fantasie. Das denkt jeder, wenn er an einen endlosen Wald mit eigenartigen Wesen denkt. Jeder würde es für verrückt halten. Aber, was, wenn ich dir sage, dass es tatsächlich so etwas gibt? Und ich dorthin geraten bin? Hätte mir jemand gesagt, d...