~Aura~
Ich wünschte sie würde hören. Sie versteht es nicht. Wie kann man so naiv sein? Flora vertraut ihm, obwohl sie ihn nicht kennt. Seit er damals aufgetaucht ist, hat er irgendetwas merkwürdiges an sich.
Als wir Flora ausfindig gemacht hatten und verstanden hatten, wer sie war, kam ein Kater in unseren Wald. Er hatte zwar den Vorwand gehabt, ein Zuhause finden zu wollen, aber so glaubwürdig war es nicht gewesen. Warum war er damals genau zu diesem Zeitpunkt gekommen. Es kann einfach kein Zufall sein. Ich kann mich nicht so täuschen.
Wütend trabe ich auf meinen Wolfpfoten zurück. Ich kann sie verstehen, aber wieso vertraut sie ihm mehr als mir? Nur weil er wie sie eine Katze ist? Das kann ich nicht glauben.
Dennoch. Ich kann an ihrer Entscheidung nichts ändern. Vielleicht sollte ich sie ihrem Schicksal überlassen? Ich glaube sowieso nicht an die Prophezeiung. Wieso sollte ich sie beschützen? Sie ist nur eine Katze.
Nein. Nein, sie ist nicht nur eine Katze. Sie bedeutet mir als Mensch etwas. Ich kann sie nicht so aussetzen. Er hat sie getäuscht, oder vielleicht habe ich mich auch nur getäuscht, schließlich habe ich mich auch mit Flora getäuscht. Ich habe es nicht gemerkt, dass sie eine Gestaltwandlerin ist, obwohl es so offensichtlich war. Wahrscheinlich habe ich einfach nur Vertrauens Probleme.
Dennoch. Ich werde sie beobachten. Schließlich ist sie eine von uns. Und außerdem bedeutet sie mir etwas.
Ich sollte fürs erste zu meinem Rudel gehen. Noch kann nichts passiert sein.
~Flora~
Der restliche Tag verläuft normal. Ich unterhalte mich ein wenig mit Saphira und Smaragda, Rubina läuft mir über den Weg und sieht mich böse an und von Aura ist keine Spur.
Wo kann sie nur sein? Ich hoffe ich habe sie nicht zu sehr verärgert. Sie wirkte doch schon etwas angekratzt. Außerdem hält sie nicht viel von mir. Ich bewundere sie. Sie ist so anmutig und furchtlos. Schade, dass sie mich nicht besonders mag. Vielleicht hätte sonst eine sehr gute Freundschaft entstehen können.
Endlich komme ich an meinem Zelt an. Erschöpft lasse ich mich auf meine Matte fallen, diesmal ohne zu fallen.
Verträumt kuschle ich mich in Menschengestalt in meine Decke. Diese Augen werde ich niemals vergessen.
Plötzlich steigt eine Art Sehnsucht in mir auf. Ich will ihn unbedingt wiedersehen, wieder meinen Körper an dem seinen spüren und seine Stimme wieder hören können.
Stärker hülle ich in die Decke, doch die Kälte bleibt. Ohne ihn ist es so kalt und einsam. Noch nie hatte ich mich so geborgen gefühlt. Ich kenne ihn zwar nicht lange, aber ich weiß, dass er definitiv das beste ist, was mir passieren konnte.
Meine Augen öffnen sich. Das Licht kitzelt meine Nase und es ist lauter im Wald geworden. Ein neuer Tag. Ein neuer Tag an dem ich Sky sehen kann.
Schnell mache ich mich fertig und laufe auf die Lichtung zu. Dort werde ich ihn wiedersehen.
Meine Füße berühren den Boden der Lichtung. Anscheinend ist Sky noch nicht hier. Naja, macht nichts. Ich kann warten.
„Wow, du bist schon da", höre ich Skys Stimme hinter mir. Mein Körper versteift sich und mein Herz schlägt so schnell, das es fast weh tut.
Langsam kommt er näher, bis er direkt hinter mir steht. Mein Atem geht schneller. „Warum bist du so angespannt", flüstert er mir zu. „Ich...eh...bin ich das?", erwidere ich nervös. „Ja, das bist du. Hat das einen Grund?", fragt er eigenartig und doch irgendwie amüsiert. „Nein. Natürlich nicht!", antworte ich schnell. „Dann ist ja gut. Ich dachte, vielleicht hat es etwas mit mir zu tun", entgegnet er. Ich schlucke fast unmerklich. Bin ich wirklich so leicht zu lesen?
„Willst du mit dem Training beginnen?", wechselt Sky ruhig das Thema. Langsam löse ich mich aus meiner Starre und nicke. Deswegen bin ich schließlich hier...naja, zum Teil.
Schnell verformt sich Skys Körper. Seine Haut verändert sich und bekommt Fell. Seine Kopfhaare bilden sich zurück und seine Ohren verformen sich. Der Kleiderhaufen schrumpft zusammen und eine kleine Wildkatze kommt hervor.
»So, heute möchte ich deine Verwandlung sehen. Falls das nicht klappt, werden wir das üben, alles klar?«, meint er und deutet mir, es ihm gleich zu tun.
Ich hatte es bis jetzt noch nie wirklich gemacht und das letzte Mal habe ich mich liegend auf dem Boden wiedergefunden.
„Ich habe keine Ahnung wie das geht", entgegne ich verlegen. »Konzentriere dich einfach darauf, was du machen möchtest. Du musst dir jedes kleinste Detail, deiner jetzigen Gestalt, deiner Verwandlung und deiner Katzengestalt vorstellen«, antwortet er und ermutigt mich, es zu versuchen.
Okay, ich kann das. So schwer kann das nicht sein.
Nach einem eigenartigen Gefühl sehe ich an mir herab. Ich bin immer noch ein Mensch, nur mit Katzenfell. Toll.
»Du hast Angst vor der Verformung, oder?«, höre ich Skys Stimme in meinem Kopf. Ja, er hat genau ins Schwarze getroffen. „Ja schon. Ich kann es mir nicht richtig vorstellen und außerdem ist es beängstigend, was mit meinen Organen passieren könnte", beichte ich. »Deinen Organen passiert nichts. Diese Verwandlung ist völlig ungefährlich«, versucht er mich zu beruhigen.
Noch ein Versuch. Vor meinem inneren Auge stelle ich mir alles genauestens vor. Übelkeit überkommt mich, bei dem Gedanken an diese Verformung. Egal, weitermachen.
Nach einigen qualvollen Minuten öffne ich meine Augen. Ich befinde mich weiter untem am Boden, aber nicht weil ich umgefallen bin, sondern weil ich in der Gestalt einer Wildkatze stecke.
»Schön. Du hast es geschafft. So richtig klappt es noch nicht, aber das wird noch etwas. Du musst es noch üben, aber du wirst es irgendwann schaffen«, lobt mich mein Gegenüber, »Jetzt fehlt nur noch die Verwandlung von Tier zu Mensch.«
Verblüfft zucke ich zusammen. Meine Klamotten liegen weiter hinten. Außerdem wusste ich schon von gestern, dass ich dann komplett nackt da stehen würde. Es war gestern relativ einfach gewesen, ich hatte mich nahezu automatisch verwandelt, doch musste er es nun wirklich sehen?
»Keine Sorge. Ich verlange nicht, dass du dich jetzt hier verwandelst. Du hast es schon einmal hinter dir. Wenn du mich in deine Gedanken lässt, weiß ich, wie glatt es gelaufen ist und kann dir eventuell Tipps geben«, erklärt er. »Ich weiß nicht so ganz«, entgegne ich zögernd. »Vertraust du mir nicht?«, er wird doch jetzt nicht diese Nummer auffahren. »Doch schon, es ist nur...«, was wenn er nicht nur das mitkriegt? »Es ist schon okay«, erwidert er.
»Okay. Du kannst in meinem Kopf rumstöbern«, gebe ich nun zögernd nach. Auf seinem Gesicht erscheint ein kleines Grinsen.
Er schließt die Augen. Schon spüre ich eine winziges Gefühl in meinem Kopf. Ob das die richtige Entscheidung war?
Nach einer Weile öffnet er die Augen. Sein Gesichtsausdruck wirkt frustriert. Bin ich wirklich so schlecht?
»Was ist passiert?«, frage ich verlegen, »War ich so schlecht?« »Was meinst du?«, fragt der Kater tonlos. »Meine Verwandlung?« »Ach ja. Ehm, du warst super. Klasse. Ich habe keine Tipps für dich«, antwortet er abwesend. Was hat er?
»Hey, wie wäre es, wenn wir mal spazieren gehen würden? Ich weiß eigentlich nichts über dich und es würde mir echt helfen, wenn ich wüsste, wer du eigentlich bist, Flora«, schlägt Sky vor. Mein Herz pocht, als würde es gleich aus meiner Brust brechen. Er will Zeit mit mir verbringen. Sky will mit mir Zeit verbringen!
»Das klingt super!«, erwidere ich. Diese Worte tropfen nur so von Freude. »Okay, wäre es okay, das Training für heute zu beenden und vielleicht jetzt spazieren zu gehen?«, meint er. »Warum nicht. Ich hätte nichts dagegen«, erwidere ich bewundernd. »Super, aber ich denke, es wäre in Menschengestalt besser«, beschließt Sky nachdenklich.
Wir verziehen uns in verschiedene Richtungen und treffen beide als Menschen auf einander. Er ist tatsächlich einen halben Kopf größer als ich.
„Kommst du?", fragt er und wendet sich einem Pfad zu. Sofort laufe ich neben ihn. Wow, nur wir beide. Wir beide schlendern dicht nebeneinander im Wald umher. Dieser Moment soll bitte niemals vergehen.
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The Endless Forest
FantasyPure Fantasie. Das denkt jeder, wenn er an einen endlosen Wald mit eigenartigen Wesen denkt. Jeder würde es für verrückt halten. Aber, was, wenn ich dir sage, dass es tatsächlich so etwas gibt? Und ich dorthin geraten bin? Hätte mir jemand gesagt, d...