Aura

6 1 3
                                    

Mein Atem bleibt stehen. Sie ist definitiv anders. Furchtlos, unvorhersehbar und herausfordernd. Schon so oft hatte mir dieser Wolf allein durch seine Ausstrahlung das Blut gefrieren lassen. Doch diesmal steht sie direkt vor mir. 

»Wo wolltest du hin?«, fragt sie mich. „Einfach hier weg. Das hier ist kein Ort für mich", erwidere ich angespannt. »Da stimme ich dir zu. Du gehörst nicht hierher, aber die anderen halten viel von dir. Du bist ihre Hoffnung. Denke bloß nicht, dass ich das genauso sehe«, erklärt sie. „Was meinst du?", entgegne ich ihr. »Ich meine das, was sie dir nicht erzählen«, antwortet sie.

Ich soll ihre Hoffnung sein und das erfahre ich von einer Person, die mich für unwichtig hält? Gut, ich finde Aura auch nicht so sympathisch. Sie scheint mir zu überheblich. Ihre Wolfsgestalt scheint ihr an den Kopf gestiegen zu sein.

»Pah! Du hältst mich für überheblich? Ich kann es einfach nicht ertragen, dass alle ihre Hoffnung auf dich setzten. Du hast nicht geleistet und trotzdem vertrauen alle auf dich! Ich kann nicht zu sehen, wie meine Heimat zerstört wird und hoffen, dass du uns rettest!«, knurrt Aura. „Ich habe auch keine Ahnung, was ich hier machen soll. Warum hassen mich hier alle, obwohl ich vor kurzem nicht einmal wusste, dass ihr existiert!?", erwidere ich wütend. Was habe ich denn getan?

Auras drohende Haltung lockert sich. Ihre Muskeln entspannen sich und sie hebt allmählich den Kopf. Ihr Knurren verstummt.

»Verzeih mir mein Verhalten«, meint sie. Woher kommt auf einmal dieser höfliche Ton?

»Ich versuche nur, meine Heimat zu beschützen. Mein Rudel unternimmt nichts und vertraut auf dich, beziehungsweise die Person, für die du gehalten wirst«, strömt es ruhig von Aura in meinen Kopf. „Für wen werde ich gehalten?", frage ich neugierig. »Wir sollten mit Smaragda reden. Warte einen Moment, ich möchte nur in meine andere Gestalt wechseln«, sagt sie erhaben. „Du musst nicht so hochtrabend sprechen", entgegne ich. »Danke. Es ist wirklich anstrengend, ständig auf seinen Tonfall zu achten«, meint die Wölfin erleichtert.

Sie kehrt mir urplötzlich um und verschwindet zwischen den Büschen und Sträuchern. Okay, ich warte mal lieber.

Einige Minuten vergehen. Komisch, bei Saphira hat es nicht so lange gedauert. Was, wenn ihr etwas zugestoßen ist?

Da kann ich auf einmal eine menschliche Gestalt erkennen. Das Mädchen kommt ganz gemütlich auf mich zu. Sie ist etwas muskulöser gebaut als die Wiesel-Mädchen und nicht so zierlich. Ihre Haare sind leicht gewellt und besitzen Auras fellfarbenen Farbton. Ihr Gesicht ist kantig und sie besitzt diese klaren braunen Augen. Nur Auras Hautton irritiert mich. Ich hätte ihn mir etwas gebräunter vorgestellt. Stattdessen besitzt sie eine äußerst helle Haut.

„Da bin ich wieder! Was ist? Warum siehst du mich so an?", fragt mich das Mädchen verwirrt. „Warum bist du so..eh..hell?", frage ich leicht stotternd. Diese Frage fühlt sich nicht richtig an.

„Kann man wahrscheinlich erwarten, anhand von meinen Fell. Aber ich verwandle mich nicht oft und in meiner Wolfsgestalt ist mein ganzer Körper von Fell bedeckt. So kann meine Haut nicht bräunen und mein Hauttyp an sich ist hell", erklärt sie. Die Frage hatte sie nicht gestört. Die Hautfarbe eines Menschen ist eigentlich egal. Es hatte mich nur etwas verwundert.

„Komm, wir suchen Smaragda. Wo hast du sie zuletzt gesehen? Vielleicht ist sie noch dort", will mein Gegenüber wissen. Es ist komisch, ihre Stimme nicht mehr in meinem Kopf zu hören.
„Also zuletzt habe ich sie bei eurem Heiligtum gesehen. Und Rubina mag mich definitiv nicht mehr", erwidere ich. Aura lacht auf. „Rubina hat eine etwas...eigene Art, aber sie ist eine tolle Person. Du wirst sie noch mögen", kommt es von Aura zurück. Ich glaube Rubina ist zu anstrengend für mich, aber man weiß nie.

„Also hast du sie beim Heiligtum gesehen? Da wird sie sicher nicht mehr sein", Aura seufzt, „Dann werden wir sie suchen müssen." „Wieso ist sie nicht mehr beim Heiligtum?", erwidere ich. „Ich erkläre es dir auf dem Weg", entgegnet sie.

Wir setzten uns in Bewegung und laufen in irgendeine Richtung. Besser gesagt folge ich Aura nur und sie läuft in irgendeine Richtung.

„Also", beginnt sie spontan, „Das Heiligtum ist ein Ort der Geister. Dort dürfen sich nur die Gestaltwandler aufhalten. Es müssen Leute sein, die zwischen den beiden Gestalten wechseln können. Außerdem muss der Respekt bewahrt werden, weshalb es kein Aufenthaltsort sein darf." Ah, leuchtet ein.

Aura fährt fort: „Unser ganzes Leben beruht auf diesem Glauben an die Geister. Früher vereinigten sich die Geister der Tiere und die Menschen des Waldes. Sie schufen Wesen, die zwischen den Welten wechseln konnten. Dies sind die Gestaltwandler. Sie sollten als Hüter und Wächter der beiden Welten leben. Doch manche hielten zu viel von sich und ihrer Kraft. Die Geister schritten ein und stahlen manchen ihre Kräfte. Sie schufen 3 Arten der Wesen. Die Nachkommen der Geister, die Waldseelen, die Waldflüsterer und die Gestaltwandler. So teilten sie die Kräfte auf."

„Okay, aber was sind diese Wesen?", frage ich verwirrt. „Die Waldseelen sind Tiere, die einen inneren Menschen besitzen. Waldflüsterer sind Menschen, die ein inneres Tier besitzen. Ich zum Beispiel bin ein Gestaltwandler, genau wie Smaragda und ihre beiden Cousinen", erklärt das Wolfsmädchen. „Verstehe", entgegne ich.

„Und was hat es mit der Wolfsgestalt und der Schriftrolle auf sich?", frage ich. „In der Schriftrolle ist die Prophezeiung aufgeführt und die Wolfsgestalt ist als Verkörperung der Geister dort aufgestellt." „Welche Prophezeiung?" „Genau deswegen gehen wir zu Smaragda", erwidert sie.

Aufgrund unseres Gesprächs habe ich nicht bemerkt, wie sich die Umgebung geändert hatte. Hier stehen viele solcher Zelte und viele Tiere rennen hier entlang. Wahrscheinlich lebt unser Wiesel hier.

Aura zeigt auf eines der Zelte. Es hat grüne Verzierungen. Ein klares Zeichen auf Smaragda.

Wir laufen weiter und Aura zieht die Decke es Eingangs zur Seite. Drinnen finden wir ein meditierendes Mädchen. „Smaragda. Wir müssen reden", meint Aura ernst. Warum auch lange drum herum reden, wenn man gleich mit der Tür ins Haus fallen kann?

Smaragda nickt und seufzt. Ihr Blick fällt auf mich. „Alles klar. Setzt euch", entgegnet sie. Woher...ach stimmt, hier können alle Gedanken lesen.

Aura zieht mich mit sich in das Zelt und zerrt 2 Kissen aus der Ecke. Sie gibt mir ein Zeichen, mich zu setzen und pflanzt sich auf das andere. Ernst blickt Aura zu Smaragda. Diese atmet tief ein und nickt.

The Endless Forest Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt