James Wilson – dieser Name ging mir seit Wochen nicht mehr aus dem Kopf. Er raubte mir den Schlaf und zerstörte mein gesamtes Verhältnis zu Farmacia. Seit dem Abend, als Hiro mir diesen Namen verriet, versuchte ich verzweifelt, das Gesicht zu diesem Namen zu finden.
Eigentlich war es mein Auftrag gewesen, genau diesen Namen herauszufinden und ihn Ms. Tung mitzuteilen. Doch das erste Mal in meiner Karriere entschloss ich mich, diese Information für mich zu behalten.
Ich hatte herausgefunden, dass Hiro tatsächlich Ware von Farmacia umgeleitet hatte. Diese Information hatte ich sofort per SMS an Ms. Tung weitergegeben. Aber von der Auseinandersetzung zwischen Hiro und mir, die danach stattfand, hatte ich nichts erwähnt.
Ich hatte es mir fest vorgenommen, aber die Worte blieben mir im Hals stecken. Zuerst hatte ich die geheimen Dokumente gelesen, die ich von Dr. Beckmann für Farmacia zurückgeholt hatte, und nun verschwieg ich auch noch den Namen, an den die Ware von Farmacia weitergeleitet wurde. Ich steckte wirklich tief im Schlamassel.
Ich fühlte mich miserabel, doch mein Bauchgefühl sagte mir, dass etwas nicht stimmte. Die letzten Tage war ich so zerrissen, dass ich mich von allen abgeschottet und mich voll und ganz auf die Mission konzentriert hatte. Der Paradox war, dass meine Mission darin bestand, den Empfänger der Cruor-Infusionen herauszufinden, den ich ja bereits kannte.
Ich verfolgte Spuren, die ich Ms. Tung brav meldete und fühlte mich dabei absolut bescheuert. Doch es konnte nicht ewig so weitergehen, weshalb ich beschloss, James Wilson heimlich zu finden.
Deshalb saß ich jetzt verzweifelt in dieser kleinen Bibliothek, abgelegen und fernab der Stadt, in der ich lebte. Zuerst hatte ich alle Bücher durchwühlt, in der Hoffnung, etwas Nützliches zu finden – vergeblich. Schließlich setzte ich mich frustriert an einen Laptop und durchsuchte doch den Namen im Internet.
Eigentlich wollte ich das vermeiden, aus Angst, dass jemand meine Suchverläufe überprüft und Farmacia herausfindet, dass ich den Namen längst kannte.
Nun starrte ich auf die Seite, die verschiedene Bilder von irgendwelchen James Wilsons auf der ganzen Welt zeigte. Es war abzusehen, dass es mehrere gibt, und ich wusste immer noch nicht, wo ich weitersuchen sollte.
Normalerweise war ich ein Profi darin, Menschen weltweit ausfindig zu machen. Doch normalerweise hatte ich auch die richtige Ausstattung und die Unterstützung von Farmacia. Ohne diese sah die Sache anders aus.
Ich brauchte eigentlich nur einen PC, mit dem ich bedenkenlos ins Darknet gehen und dort nach personalisierten Daten suchen konnte – einen James Wilson, den man mit Farmacia und Yuki Hiro in Verbindung bringen konnte.
Frustriert fuhr ich mir durch die Haare, während ich weiterhin genervt auf den Bildschirm vor mir starrte, der sich zu meiner Enttäuschung nicht veränderte. Die Bibliothek, in der ich saß, war zwar klein, aber sehr gut besucht. Zwischen den Bücherreihen schlängelten sich die Menschen, manche vertieft in ihre Lektüre, andere auf der Suche nach dem nächsten Buch.
Die Regale waren dicht gedrängt mit Büchern, die vom Boden bis zur Decke reichten. Es herrschte eine gedämpfte, aber lebendige Atmosphäre. An den Tischen saßen Menschen mit ihren Laptops, einige in hitzige Diskussionen vertieft, andere still in ihre Arbeit versunken.
Ich beobachtete, wie jemand vor einem Regal stand, das Fantasy-Romane beherbergte. Verträumt zog der junge Mann ein Buch heraus und vertiefte sich in die ersten Seiten. Seine Augen verfolgten die Zeilen und ich sah, wie er in eine andere Welt abdriftete.
Diesen Blick des jungen Mannes, der in eine andere Welt abtauchte, kannte ich nur zu gut. Jedes Mal, wenn ich mir vorstellte, wie mein Leben ohne Farmacia wäre, fühlte es sich an wie ein unerreichbarer Fantasy-Roman, den ich mir immer häufiger ausmalte. Und in diesem Moment hatte ich genau denselben Blick wie dieser junge Mann.
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Cruor
Novela JuvenilCruor - ein Mittel, das Leben rettet. Ein Mittel, das einen Preis fordert, den diejenigen zahlen müssen, die Cruor in sich tragen. Aber es ist ein Preis, den diejenigen nicht zahlen wollen! ------------------------- Helena, zieht nach dem Verlust ih...