Helena 08

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Ich starrte monoton auf den kleinen Bildschirm, der meinen Puls anzeigte. Ein winziger roter Pfeil schnellte hoch und dann wieder hinunter. Um meinen Zeigefinger war eine Kapsel geschlungen, während der Arzt auf seinem Stuhl im Raum hin- und her rollerte und Daten auf seinem Computer studierte.

Umgeben von frischer Kleidung aus meinem Zimmer saß ich auf der Behandlungsliege, während mich die drückende Stille und das monotone Piepsen fast in den Wahnsinn trieben.

In diesem Moment hätte ich am liebsten aufgeschrien, alles umgestoßen und wäre einfach weggelaufen. Aber in der vergangenen Nacht hatten meine Gedanken unaufhörlich in meinem Kopf gekreist und ließen mich keine Minute schlafen.

Also hatte ich ganz viel Zeit zum Nachdenken (was mir einen Nervenzusammenbruch nach dem anderen bescherte, da ich immer wieder feststellen musste, dass es keinen Ausweg aus dieser erbärmlichen Situation gab). Nun wurden meine Augen von tiefen Ringen umgeben und meine Kraft, gegen diese ausweglose Situation anzukämpfen, war endgültig geschwunden.

Oren hob seinen Blick vom Computer und fixierte mich intensiv: „Helena, ich habe gehört, dass du bereits auf unserer Patientenstation warst und dich ausführlich mit Samira unterhalten hast." Da ich nicht genau wusste, worauf er hinauswollte, nickte ich einfach stumm.

„Samira ist, wie du sicherlich mitbekommen hast, schwer krank. Ihre einzige Hoffnung liegt in unserer Infusion." Das Bild von Samira in ihrem Bett mit dünnen Armen, kahlem Kopf und blasser Haut erschien vor meinen Augen, die sich sofort mit Tränen füllten.

„Um ihr die benötigte Infusion zu geben, sind neben dem erforderlichen Blut auch die passenden Stammzellen notwendig. Da deine Blutwerte im Moment die Einzigen sind, die mit Samiras übereinstimmen, werden wir dein Blut verwenden", erklärte Oren.

Er rollte mit seinem Stuhl hin und her und betrachtete mich mit seinen braunen Teddybär Augen. „Die bisher entnommene Blutmenge wird vorerst ausreichen. Die Entnahme der Stammzellen wird morgen früh durchgeführt."

***

Mit jedem Einatmen, das meine Lungen füllte, schien die Luft dünner zu werden und die sterilen Wände des Krankenzimmers, die mich umgaben, erdrücken mich förmlich. Das grelle Licht brannte auf meinen geschlossenen Augenlider, als mir der Geruch von Desinfektionsmittel in die Nase drang, der sich mit einem Hauch von Metall mischte.

Nervös gruben sich meine zitternden Finger in die kühlen Laken von der Patientenliege unter mir, während die Uhr an der Wand unaufhörlich tickte und mich kontinuierlich an die wenigen verbleibenden Minuten vor der unausweichlichen Operation erinnerte.

Ein sanftes Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Die Krankenschwester betrat das Zimmer mit einem freundlichen Lächeln. Als sie mir den dünnen, kühlen Katheter anlegte, spürte ich, wie eine eisige Flüssigkeit meinen Arm hinaufkroch.

Mein Blick glitt zum OP-Tisch in der Mitte des Raumes. Die glänzenden Instrumente lagen fein säuberlich aufgereiht, bereit, meinen Rücken aufzuschneiden und mir meine Zellen zu entnehmen. Plötzlich überzog meinen Körper ein Schaudern und eine unangenehme Kälte nahm mich ein, die meine Atmung panisch verschnellerte.

Die Ärztin trat an mein Bett und lächelte mir krampfhaft zu. Ihr Gesicht verschwamm leicht vor meinen Augen, als ob sich die Realität langsam auflöste. Ich konnte das Klopfen meines eigenen Pulses in meinen Ohren hören, während der Raum sich zu drehen schien und alles in einem weichen, diffusen Licht verschwand.

Ein letzter Gedanke flackerte durch meinen Kopf - niemand hatte mir eine Wahl gelassen. Aber ich will nicht, dass mir ein Teil meiner Selbst genommen wird!

***

Ich öffnete meine Augen und wurde von einem unerträglichen Druck in meinem Magen geweckt. Panik ergriff mich, als ich spürte, wie sich mein Magen umdrehte und sich eine Welle von Übelkeit mich einnahm. Hastig tastete ich nach dem Lichtschalter und blendete mich mit dem grellen Licht.

Mein Mund fühlte sich trocken an und ich schaffte es gerade noch, mich aus dem Bett ins Badezimmer zu wuchten, bevor ich mich übergeben musste. Jede Bewegung verschärfte die Qual und ich kauerte mich auf den kalten Badezimmerfliesen zusammen. Der kalte Schweiß brach aus, und ich konnte fühlen, wie meine Haut kalt und feucht wurde. Mein Atem ging flach und hektisch, als versuchte ich, gegen die Welle der Übelkeit anzukämpfen, die mich überrollte.

Ich konnte den widerlichen Geschmack von Magensäure in meinem Mund schmecken und spürte, wie meine Kehle sich verkrampfte, als ich erneut würgte -

Frustriert versuchte ich den säuerlichen Geschmack aus meinem Mund zu entfernen, als ich mich erschöpft in die Badezimmerecke kauerte und meine Beine an meinen Körper zog.

Hektisch wischte ich mir eine einzelne Träne von der Wange, die langsam hinabkullerte. Ich versuchte meinen panisch zitternden Körper durch ruhiges Ein- und Ausatmen zu beruhigen. Krampfhaft konzentrierte ich mich nur auf meinen Atem, der schmerzhaft durch meine brennenden Lungen strömte.

Mit jedem Atemzug wurde mir immer bewusst, dass diese Operation gegen meinen Willen durchgeführt worden war. Die Erkenntnis traf mich wie ein harter Schlag und hinterließ einen bitteren Geschmack.

War es wirklich fair, mich diesem Leiden auszusetzen? War es wirklich gerechtfertigt, meine Selbstbestimmung zu opfern, selbst wenn es darum ging, jemand anderen zu helfen? Die Verzweiflung nahm mich ein, denn ich hatte nie gewollt, dass es so weit kommt. Ich hatte nie gewollt, dass mein Körper ohne meine Zustimmung angefasst wurde.

Meine Gedanken überschlugen sich, während ich an Samira dachte, das kleine Mädchen mit großen Hoffnungen, dem ich vielleicht eine Zukunft schenken konnte. Doch plötzlich überkam mich ein Gefühl der Scham. Scham darüber, dass ich mich schmutzig und verletzt fühlte, obwohl ich vielleicht Samira die Möglichkeit bot, ihre Wünsche und Hoffnungen zu verwirklichen - und mein einziges Problem war, dass ich mich nach der Operation furchtbar fühlte.

Dennoch rollten unaufhaltsam Tränen über meine Wangen.

Irgendwann nahm ich durch meine verschwommenen, von Tränen verschmierten Augen abwesend wahr, wie jemand meinen zitternden Körper behutsam vom kalten Boden hob und zurück ins Bett trug.


CruorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt