18. Kapitel | Pech

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18. Kapitel | Pech

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HIMBEERPFOTE ATMETE dankbar die frische, nebelige Heideluft ein. Sie stand am Fuße eines Felsens, der die Wiesenlandschaft durchbrach. Das Gras, das sich von der langen Kältezeit erholt hatte, kitzelte ihr Bauchfell und sie roch zahlreiche Beutedüfte. Das gewohnte Gefühl unter den Ballen gab ihr Sicherheit.

»Können wir nicht lieber im Wald jagen?«, jammerte Rotpfote. Himbeerpfote wusste, dass die jüngere Kätzin es vorzog, unter einem dichten Blätterdach nach Vögeln und Wühlern Ausschau zu halten. Die rote Schülerin saß in einer unbequemen Haltung auf dem grauen, kantigen Felsbrocken. Himbeerpfote kräuselte unbehaglich ihren Pelz. Warum hatte Schattenbrise sie nur mit ihrer ehemalig besten Freundin zu einer kleinen Jagdpatrouille eingeteilt? Sie kann ja gar nicht wissen, dass wir nicht mehr so vertraut miteinander sind.

»Wir dürfen doch nur in dem Gebiet jagen, das Kleestern für die Schüler freigegeben hat. Damit wir den Kriegern nicht in die Quere kommen.« Den letzten Teil betonte Himbeerpfote leicht genervt, um nicht zu gehorsam zu erscheinen.

»Hast du etwa vor, dich an diese mäusehirnigen Regeln zu halten?« Empört drehte Rotpfote den Kopf zu ihrer Clangefährtin.

»Kleestern misstraut uns sicher eh schon. Sollen wir dann noch riskieren, eine Auszeit zu bekommen?«, eröffnete Himbeerpfote ihre Zweifel. Früher wäre ich nie so feige gewesen. Was Kleestern macht ist nicht in Ordnung. Wo ist mein Mut und meine Sorglosigkeit abgeblieben?

»Früher hättest du anders reagiert.« Rotpfote wandte ihren Blick ab und hüpfte auf die Heide. Ihre Enttäuschung war beinahe zu greifen.

»Vielleicht«, hauchte Himbeerpfote. Langsam folgte sie der kleineren Katze. Es tat weh, dass sie nicht mehr Seite an Seite durch den Wald jagten, herumalberten oder den den neusten Tratsch im Clan diskutieren konnten. Ja, Himbeerpfote vermisste einfach die Gewissheit, eine Freundin zu haben, mit der sie jederzeit über alles reden konnte. Selbst wenn die beiden sich für kurze Zeit nicht gesehen hatten, war dieser Gedanke tröstend gewesen. Doch jedes Mal, wenn Himbeerpfote sich mit der Jüngeren aussprechen wollte, wurde ihr Maul staubtrocken und ihre Wörter klangen automatisch unehrlich und gezwungen.

Die RegenClan-Heide wirkte auf einmal trostlos und trist. Die Halme der Gräser wogten sich nicht mehr beruhigend in einer leichten Brise, sondern wurden umhergeschlendert. Die Sonne spendete keine Wärme, sie brannte wie eine frische Wunde auf Himbeerpfotes Pelz und das Gefühl, viele Ameisen würden über ihren Körper krabbeln, ließ sie erschauern. 

Geduckt schlich Himbeerpfote Rotpfote hinterher. Ihr war gar nicht mehr nach jagen. Viel lieber hätte sie sich nach all dem Elend in ihrem Nest verkrochen. Wen hatte sie denn schon als Freund, außer Rotpfote? Niemanden. Dornenstreif erschien ihr jetzt furchtbar unwichtig. Was war er denn schon im Vergleich zu einer besten Freundin?

Wie kann ich das je wieder gut machen? Himbeerpfotes Gedanken kreisten und führten sie unweigerlich zu Lerchenstern. Gestohlene Zukunft. Ihre Zukunft fühlte sich grau und leer an. Vielleicht hatte die Ahnin das gemeint. Himbeerpfote musste die Zukunft ihrer freunde und Clangefährten absichern. Wenn ich das schaffe, wenn ich meinen Teil dazu beitrage, unsere Aussichten auf ein gutes Leben zu verbessern, verzeiht sie mir dann? Hoffentlich besucht Lerchenstern sie im Traum. Dann würde sie wissen, was zu tun war.

Etwas entschlossener hob Himbeerpfote den Kopf. Die Sonne zwängte sich zwischen einigen Wolken hindurch und schenkte warmes Licht. Die Kriegerschülerin hatte nicht bemerkt, wie sie einfach geradeaus gelaufen war. Sie stand am Waldrand und die ergrünenden Bäume türmten sich vor ihr auf. Doch sie kamen ihr nicht mehr wie eine unüberwindbare Mauer vor, sondern viel mehr wie uralte Wächter. Keine Bedrohung, ein neuer Abschnitt. Keine Angst, sondern Tatendrang.

Himbeerpfote wurde jedoch schlagartig aus dem Nebel ihrer Gedanken und Gefühlte gerissen, als ihr auffiel, dass Rotpfote nirgends zu sehen war. Zumindest nicht auf der Heide. Himbeerpfote öffnete ihr Maul einen Spalt breit, um die Fährte der Schülerin aufzunehmen. Besorgt stellte sich wenig später fest, dass die Geruchsspur mitten durch die hohen Eichen und Fichten führte. Die rote Kätzin hatte alle Befehle ihres Anführers ignoriert und hatte den Teil des Territoriums betreten, in dem nur die älteren Katzen jagen durften.

Himbeerpfote schnaubte. Es klang jedoch eher ängstlich und sorgenvoll als genervt. Kurzentschlossen setzte sie eine Pfote vor die andere. Die Nase am Boden, tief geduckt und schleichend bewegte sie sich zwischen knorrigen, moosigen Wurzeln über den lichten Waldboden. Hier gab es wenige Büsche oder Farne, die ihr notfalls als Versteck dienen konnten. Die erdige Luft schmeckte schwer und der Wind blies nur vereinzelt, da er an den dicken Stämmen abprallte. Unter Himbeerpfotes Ballen spürte sie Nadeln, Moos, kleine Kraute und Laub. Langsam aber sicher verdeutlichte sich Rotpfotes Geruch.

Himbeerpfote verkrampfte zunehmend. Was dachte sich Rotpfote denn? Sie möchte sich diese Ungeheuerlichkeiten nun einmal nicht gefallen lassen. Sie ist stark, anders als du. Du versteckst dich immer hinter ihr. Und jetzt bist du alleine.
Wieder hier bei ihrem Clan und ihrer Familie zu sein, hatte Himbeerpfote unweigerlich an ihr Gespräch mit Wasserohr erinnert, das sie beinahe hatte verdrängen können. Der blanke Wahnsinn in seinen Augen und der Satz, der sich bei ihr eingebrannt hatte. Sie war nichts, ohne ihre Liebsten. Und der alte Kater hatte die boshafte Stimme in ihrem Kopf ausgelöst, die sie immer und immer wieder daran erinnerte, wie einsam sie doch war. Das stimmt doch nicht!, meldete sich der Verstand der cremefarbenen gestreiften Kätzin. Hast du denn schon vergessen, wie Vater uns begrüßt hat? Er ist so froh, dass wir wieder da sind.
Ein leichtes Lächeln schlich sich an die Oberfläche, doch es verflog, als Himbeerpfote feststellte, dass es sich so anhörte, als würden fremde Stimmen in ihrem Kopf diskutieren. Das war nicht sie. Hatte sie denn keinen Einfluss auf ihr Denken? Woher kamen und wer waren sie? Oder spielte ihre Wahrnehmung ihr einen Streich? Ein eisiges Zittern kroch ihr von den Ohren- bis in die Schweifspitze.

Doch viel mehr Zeit bleib ihr nicht, um über sich nachzudenken, denn sie prallte mit dem Kopf geradewegs in Rotpfotes Flanke. Sie hatte gar nicht mehr auf den Weg geachtet.

»He!«, empörte sich diese, was erst spielerisch klang – fast wie früher – dann verbesserte sie sich mit einem kleinen Räuspern. »Was soll das? Bist du mir etwa gefolgt?!« Rotpfotes Schnurrhaare bebten aufgebracht, ihre Ohren zuckten jedoch nervös. Ihr Schweif peitschte angespannt hin und her.

»Du hast Angst«, erkannte Himbeerpfote problemlos. Es war nicht schwer, die Jüngere zu lesen.

»Ja. Und was ist daran schlimm?«

»Gar nichts.«

Stille kehrte ein. Keiner der beiden wusste, was zu tun war. Aber es war auch nicht mehr nötig, sich anzuschweigen, als eine Patrouille durch die Büsche platzte. Drei Krieger brachen durch einen Weißdornbusch vor den Schülerinnen, von dem Staub und junge Blätter aufstoben. Himbeerpfote erstarrte, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Kleestern war unter ihnen. Vor ihm Schattenbrise und daneben Mondherz. Sie trugen beute in den Mäulern und Dreck klebte in ihren Pelzen. Sie sahen keineswegs erfreut aus, wobei Schattenbrise er bedauernd dreinschaute und ihre großen dunklen Pfoten musterte. Der Anführer, seine zweite Anführerin und ein treuer Krieger. Na toll, dachte Himbeerpfote und konnte sich ein sarkastisches Schnurren nicht verkneifen. So viel Pech war doch unmöglich.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 24 ⏰

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WARRIOR CATS - Nebeljäger | Band IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt